Von: mk
Bozen – Die erste Zwischenbilanz der Studie „DEM-CARE Südtirol/Alto Adige 2024-2026″ liefert eine ernüchternde Antwort: Die psychische und emotionale Belastung ist häufig erheblich und sie wird bislang unterschätzt. Seit Februar 2024 untersucht das Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen gemeinsam mit dem Verein Alzheimer Südtirol/Alto Adige (ASAA), wie sich die häusliche Demenzpflege auf Angehörige und andere Hauptpflegepersonen auswirkt.
Mehr als 80 Interviews wurden bereits geführt, nun wird die Studie ausgeweitet. „Ab sofort können auch Personen teilnehmen, die früher gepflegt haben und aktuell nicht mehr in der Betreuung tätig sind”, erklärt Studienleiterin Dr. Barbara Plagg.
Pflege unter Druck: Was die bisherigen Daten zeigen
Die ersten Auswertungen machen deutlich: Die emotionale und psychische Belastung pflegender Angehöriger ist hoch und sie wird oft unterschätzt. Nahezu jeder Zweite empfindet die Pflege als „ziemlich bis sehr belastend”, etwa jeder Zehnte der betreuenden Angehörigen zeigt bereits depressive Symptome im Grenzbereich. „Auch wenn für Südtirol bisher keine belastbaren Daten vorlagen, wussten wir schon, dass viele pflegende Menschen auf dem Zahnfleisch gehen. Unsere Interimsauswertung zeigt aber: Es ist noch schlimmer als angenommen”, so Studienleiterin Dr. Barbara Plagg, Wissenschaftlerin am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen.
„Den offenen Antworten unserer DEM-CARE-Studie entnehmen wir, dass vielen Pflegenden die Bürokratie Sorgen bereitet: Konkret geht es um die Pflegegeld-Stufe, Zuzahlungen oder die steuerliche Absetzbarkeit”, führt Dr. Plagg weiter aus. Ulrich Seitz, seines Zeichens Präsident des Vereins ASAA (Alzheimer Südtirol/Alto Adige) fügt hinzu: „Die monatelangen Wartezeiten für die Pflegeeinstufung und der dazugehörige bürokratische Aufwand für die zu stellenden Anträge werden immer mehr, auch zur finanziellen Belastung für die rund 10.800 Familien im Lande, die im Durchschnitt weit über fünf Jahre daheim ihre Angehörigen aufgrund invalidisierender Pathologien rund um die Uhr betreuen.”
Ein weiteres Problem ist der Mangel an psychosozialer Unterstützung: „Viele Interviewpartnerinnen und -partner berichten von Stress und Schlafproblemen. Den Schock nach der Demenzdiagnose müssen sie oft allein verarbeiten, vor allem im ländlichen Raum”, erklärt Dr. Barbara Plagg. Auch Tages- und Kurzzeitpflege werde als zeitlich zu knapp oder regional ungleich empfunden. Plagg betont dennoch: „Mit einem stützenden Versorgungsangebot sind Entlastung und ein guter Verbleib zuhause selbst bei fortschreitender Erkrankung möglich.”
Wie geht es weiter?
Die DEM-CARE-Studie läuft noch bis Ende 2026. Weiterhin werden dringend Angehörige gesucht, die eine Person mit Demenz zuhause betreuen. „Wir wissen, wie knapp die Zeit Pflegender ist. Dennoch bitten wir alle Betroffenen eindringlich, teilzunehmen – nur mit verlässlichen Daten können wir gezielte Entlastungsangebote für Südtirol entwickeln”, betont Dr. Plagg. Angesichts steigender Demenzzahlen verschärft sich der Pflegenotstand in Südtirol. Viele Familien finden keinen freien Heimplatz. „Es ist daher entscheidend, die häusliche Pflegesituation nachhaltig zu stärken”, sagt Institutspräsident Dr. Adolf Engl.
Eine geschulte Mitarbeiterin besucht die Hauptpflegeperson daheim und füllt gemeinsam mit ihr einen Fragebogen aus. Alle Angaben werden vollständig anonymisiert. Interessierte können sich weiterhin unter folgender Handynummer melden: +39 345 4307904
Als Anerkennung und um sofort praktische Hilfe zu bieten – finanziert der Verein ASAA allen bisherigen und künftigen Teilnehmenden auf Wunsch eine zweistündige Ergotherapie-Hausvisite: Ein:e Therapeut:in begutachtet die Wohn- und Pflegesituation und gibt direkt umsetzbare Verbesserungsvorschläge.
Neue Online-Befragung für ehemals Pflegende
Die alarmierenden Zwischenbefunde zeigen, dass die Belastung vieler Familien weit über die aktive Pflegephase hinaus nachwirkt. „Unsere Halbzeitauswertung macht deutlich: Um das ganze Bild zu verstehen, müssen wir auch jene hören, die die Pflege bereits hinter sich haben”, betont Dr. Barbara Plagg. „Ihre Rückschau hilft uns, langfristige Folgen und Versorgungslücken sichtbar zu machen und daraus konkrete Verbesserungen abzuleiten.”
An der Online-Befragung können alle teilnehmen, die in den vergangenen zehn Jahren eine demenzkranke Person zuhause betreut haben – unabhängig davon, wie lange die Pflege dauerte oder wie sie endete. Die Befragung ist vollständig anonym, dauert etwa 15 Minuten und erfolgt online unter: https://www.soscisurvey.de/Pflegeerfahrungen/Jeder ausgefüllte Fragebogen trägt dazu bei, belastbare Daten zu gewinnen, politische Entscheidungen fundiert zu untermauern und zukünftigen Pflegenden gezieltere Unterstützung anbieten zu können. Plagg schließt daher mit einem Aufruf: „Bitte beteiligen Sie sich jetzt – jeder ausgefüllte Fragebogen bringt uns einen Schritt näher an Entlastung für die 10.800 Familien in Südtirol, die Tag für Tag die Demenzpflege stemmen.”
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