Aggression in der Notaufnahme

“Gewaltsituationen bei der Arbeit – Reden hilft”

Dienstag, 12. März 2024 | 12:18 Uhr

Bozen – Die Erfahrungen von Matteo Gavinelli, einem 40-jährigen Arzt der Notaufnahme im Krankenhaus Bozen und Opfer einer Aggression, zeigen, dass der Weg zu einem respektvollen Umgang mit dem am stärksten gefährdeten Gesundheitspersonal noch ein weiter ist.

Nicht ohne Zufall erscheint die Geschichte von Matteo Gavinelli am 12. März, dem nationalen Tag für die Vorbeugung von Gewalt gegenüber dem Personal im Gesundheitswesen. „Ich begann vor etwa 15 Jahren mit meiner Tätigkeit in der Notaufnahme. Für mich ist es einer der interessantesten Bereiche, haben wir doch tagtäglich mit zahlreichen und unterschiedlichen medizinischen Fällen zu tun“, so der Facharzt der Notfallmedizin. Seit zwei Jahren arbeitet er in der Notaufnahme des Landeskrankenhauses Bozen. „Und, als ich mit der Facharztausbildung begann, war dies noch ein junges Fach, das mir interessante Karrieremöglichkeiten eröffnete.“

Gavinelli stammt aus der Provinz Novara und ist Vater zweier Kinder von zwei und sechs Jahren. Er hat eine analytische und umfassende Sicht auf die Problembereiche in der Notaufnahme, die er als ein „genaues Abbild“ unserer Gesellschaft bezeichnet. „Anders als bei dem im Fernsehen weit verbreiteten Bild des „Arztes aus vorderster Front“ ist die Notaufnahme, vor allem in Italien, nicht nur ein Ort für echte Notfälle, sondern oft auch ein Ort für soziale Problemfälle. Viele Situationen sind auch eher dem pflegerischen als dem medizinischen Bereich zuzuordnen. Dies alles führt zu langen Wartezeiten und hat zur Folge, dass bei den Patienten und den Angehörigen, aber auch beim Gesundheitspersonal selbst, Unzufriedenheiten entstehen.“

Anspannung pur

Selbst wenn Gavinelli den Angriff vom vergangenen November schildert, bleibt er nüchtern und konzentriert sich mehr auf die Analyse der Fakten als auf die erlittene Beleidigung selbst: „Der Patient war sehr jung, vermutlich keine 30 Jahre alt. Schon bei der Triage hatte er ein aggressives und unangemessenes Verhalten an den Tag gelegt. Dies führte dazu, dass das Sicherheitspersonal sofort auf ihn aufmerksam wurde.“

Wir neigen oft dazu, nur körperliche Aggressionen als Gewalt zu bezeichnen und spielen andere Verhaltensweisen – wie Drohungen, Belästigungen und schwere verbale Beleidigungen – herunter, wie sie der Mediziner auf der Notaufnahme erlebte und die ebenso schädlich und perfide sind. „Es ließ sich nicht feststellen, ob sich der Mann in einem durch Substanzen hervorgerufenen veränderten Bewusstseinszustand befand“, erklärte Gavinelli. „Tatsache war, dass der Patient eine instrumentaldiagnostische Untersuchung für ein Problem, das seit mindestens einem Monat bestand, verlangte. Darüber hinaus hatte er eine zuvor vorgeschlagene Behandlung abgelehnt. Unter diesen Bedingungen war es äußerst kompliziert, mit ihm ins Gespräch zu kommen.“

Vermittlungsversuche

Der Arzt des Südtiroler Gesundheitsbetriebes bemühte sich jedoch um eine Einigung mit dem Patienten, zeigte sich versöhnlich und verständnisvoll. „Obwohl er nicht bereit war, vernünftig zu reden, versuchte ich ihm zu erklären, warum einige seiner Forderungen fehl am Platz waren. Dann versicherte ich ihm, dass verschiedene Untersuchungen zu seinem Gesundheitszustand gemacht werden würden. Auf diese Weise versuchte ich die Situation zu beruhigen und wollte außerdem keine weitere Zeit verschwenden, denn wir sind in der Notaufnahme für die Gesundheit von vielen Menschen verantwortlich.“

Der Übergriff

Gavinelli dachte, dass sich die Lage beruhigt hätte und bat den Patienten erneut zu warten, bis er an die Reihe kam. Er verließ den Untersuchungsraum und setzte seine Arbeit in der Ambulanz fort. Einige Minuten später begann der Patient jedoch erneut zu schreien, noch heftiger als vorher. „Er machte wieder einen Aufstand, begann zu schimpfen, drohte uns mit Gewalt und mit dem Tod. Außerdem schlug er auf die Einrichtungsgegenstände in der Notaufnahme ein.“

In diesem Moment wurde eine Intervention durch die Ordnungskräfte, die sofort alarmiert worden waren, notwendig. „Der Patient wurde verhaftet und abgeführt. Wäre der interne Wachdienst nicht da gewesen, hätte alles noch viel schlimmer ausgehen können.“

Ist „De-Eskalation” (un)möglich?

Es war nicht das erste Mal, dass Gavinelli zum Zeugen eines derartigen Vorfalls, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, wurde. „Es gibt klassische Situationen, in denen wir uns in Gegenwart von Patienten und Angehörigen befinden, die versuchen, unser Handeln mit passiv-aggressiven Verhalten zu beeinflussen und damit ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen. Natürlich hat jeder Mitarbeiter seine Grenzen und auch unterschiedliche Fähigkeiten, derartige Ereignisse zu verarbeiten. Nach dem Vorfall hatte ich weniger Mühe wieder zur Arbeit zu gehen, aber ich fühlte eine gewisse Frustration angesichts der Tatsache, dass es offensichtlich länger gedauert hatte, den Vorfall anzuzeigen, als der Mann brauchte, um die Polizeistation wieder zu verlassen.“

Manchmal können auch Konflikte entstehen, weil Patienten, zu Recht oder zu Unrecht, ein mangelndes oder völliges Fehlen von Empathie derjenigen spüren, die sie behandeln. Dazu hat der Arzt der Notaufnahme sehr klare Vorstellungen: „Wir befinden uns gerade in einer klassischen Situation eines ‘Kriegs unter Armen’. Auf der Notaufnahme treffen einerseits die Wünsche der Patienten und der Angehörigen, die oft denken, dass ihr Problem sofort gelöst werden muss, auf ein manchmal müdes Gesundheitspersonal, das vielleicht schon seit vielen Stunden in einem hohen Tempo im Einsatz steht. Bei 80 Prozent der Fälle von Aggressionen ließe sich mit ausreichend Zeit für Gespräche und guten Erklärungen eine Deeskalation erreichen. Leider ist dies nicht immer möglich, weil der Patient schon aggressiv ist und nicht die Absicht hat, zuzuhören oder weil er Substanzen konsumiert hat. Außerdem kann die sprachliche Barriere einen Einfluss haben, wenn jemand eine wenig bekannte Sprache verwendet und kaum Deutsch, Italienisch oder Englisch beherrscht. Es kann natürlich auch eine Kombination all dieser Faktoren sein.“

Das Schreckgespenst Burnout

Bei all dem besteht für das Gesundheitspersonal immer das Risiko für ein Burnout, da es das Gefühl hat, sich in einem permanenten Ausnahmezustand zu befinden. „Überall auf der Welt, aber besonders in Italien, besteht für Mitarbeitende in der Notaufnahme ein sehr hohes Risiko für Burnout. Durch Covid hat sich diese Situation noch weiter verschärft, insbesondere für das Personal der Triage. Außerdem ist zu bedenken, dass diese ständigen Anspannungen und laufenden Unterbrechungen zu klinischen Fehlern führen könnten, die den Patienten selbst schaden.“

Aber wie kann das Problem in den Griff bekommen werden? „Bei 80 Prozent der Fälle würde es schon genügen, sich ausreichend Zeit für ein Gespräch zu nehmen, auch wenn die Zeit oft nicht zur Verfügung steht. Genauso muss oft erklärt werden, dass man nicht in der Reihenfolge des Eintreffens behandelt wird, sondern nach unterschiedlichen Dringlichkeitsstufen. Wenn ich jedoch einen Rat geben müsste, um das Risiko eines Angriffs zu verringern, wäre es, die Unterstützung anderer Mitarbeitenden zu suchen, sobald man in eine Situation gerät, die als potenziell gefährlich eingestuft wird.“

Der Südtiroler Sanitätsbetrieb bietet den Mitarbeitenden spezielle Kurse zur Bewältigung von Aggressionssituationen an. Weitere Maßnahmen, die getroffen worden sind, sind unter anderem Videoüberwachung, abschließbare Räume, in denen bei Bedarf Zuflucht gefunden werden kann, eine ausreichende Beleuchtung aller Bereiche und der Parkplätze, Systeme, mit denen direkt die Ordnungskräfte gerufen werden können und die Installation von Bildschirmen, die die Reihenfolge der bei der Aufnahme vergebenen Nummern anzeigen und ständig aktuelle Informationen zu den Wartezeiten liefern.

Begegnungen – unter diesem Titel stellt der Südtiroler Gesundheitsbetrieb regelmäßig Patientengeschichten vor, die aufzeigen, welche Schicksale und Wendungen Menschen in ihrer gesundheitlichen Betreuung erfahren.

Von: mk

Bezirk: Bozen

Kommentare
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Homelander
Homelander
Universalgelehrter
2 Monate 5 Tage

Normal sollte Reden helfen, ja… obo mit gewissa Klientele konn man net diskutiern und Redn… sebm brauchts epas ondos…

So ist das
2 Monate 4 Tage

Leider hilft Reden wohl immer weniger.
Da muss man wohl nur hart durchgreifen 🤔

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