Von: luk
Bozen – Bereits zum 15. Mal wird am 1. Oktober in Europa der „Tag der Depression“ begangen. Ziel dieses Tages ist es, die Öffentlichkeit über das Krankheitsbild Depression aufzuklären und mögliche Hilfen aufzuzeigen. Auch der Südtiroler Sanitätsbetrieb beteiligt sich an der Aufklärungskampagne.
Am kommenden 1. Oktober wird das Netzwerk „Europäische Allianz gegen Depression“ in allen Krankenhäusern Südtirols mit einem Informationsstand präsent sein. Den ganzen Tag über wird in den Eingangsbereichen der Krankenhäuser die Broschüre „Depression – was tun?“ zum Mitnehmen aufliegen. Diese Broschüre bietet einen leicht verständlichen Überblick über das Krankheitsbild Depression, die eine der häufigsten psychischen Krankheiten des 21. Jahrhunderts ist.
Das Informations-Projekt wird von der Sozialgenossenschaft EOS, dem Südtiroler Sanitätsbetrieb, dem Verein „Ariadne“ und von der Selbsthilfevereinigung psychisch Kranker „Lichtung/Girasole“ gemeinsam getragen.
Unterstützung und Hilfe
Die wichtigsten und ersten Anlaufstellen für depressiv Erkrankte sind Hausärzte und -ärztinnen, die Zentren für psychische Gesundheit sowie die psychologischen Dienste des Südtiroler Sanitätsbetriebes – aber auch privat praktizierende Psychiater, Psychotherapeuten und Lebensberater. In Notfällen, die mit schwerer Erkrankung oder Suizidgefahr verknüpft sind, können sich die Betroffenen an die Notaufnahmen der Krankenhäuser von Bozen, Meran, Brixen und Bruneck wenden. Dort gibt es rund um die Uhr einen psychiatrischen Bereitschaftsdienst.
Außerdem gibt es in Südtirol ein breites Netzwerk, das Beratung und Unterstützung anbietet. Die „Telefonseelsorge“ der Caritas, das „Telefono Amico“ sowie die Beratungsstelle des Jugendringes „Young + direct“ sind wertvolle Anlaufstellen und bieten Gesprächspartner bei seelischen Krisen.
Selbsthilfegruppen für Betroffene werden von der Vereinigung „Lichtung/Girasole“ im ganzen Land angeboten (Tel. 0474 530266). Angehörigengruppen können über den Verein „Ariadne“ kontaktiert werden (Tel. 0471 260303).
Anlässlich des Europäischer Depressionstages lädt „Telefono Amico“ alle Interessierten am Montag, 10. Oktober 2018 um 20.30 Uhr im Theater Cristallo in Bozen, Dalmatienstr. 30, zu einer Themenkonferenz mit dem Psychotherapeuten und Psychiater Roger Pycha. Der Abend ist dem Thema “Depression, Verbesserung, Heilung” gewidmet und wird von der bekannten RAI-Journalistin Floriana Gavazzi moderiert. Der Eintritt zur Konferenz ist frei.
Niemand ist gefeit
Depression kann jeden Menschen treffen, Berühmtheiten wie Wolfgang Amadeus Mozart, Abraham Lincoln, Winston Churchill und Prinzessin Diana litten daran, ebenso Tom Waits, Jean-Claude van Damme und Sting. Ernest Hemingway, Adalbert Stifter, Heinrich von Kleist und Robin Williams starben deshalb.
Fünf Prozent der erwachsenen Bevölkerung krankt in der westlichen Welt in jedem Augenblick an Depressionen. Auf Südtirol hochgerechnet sind das gut 20.000 Menschen. Frauen erkranken zweimal häufiger daran als Männer. In den Großstädten kommen Depressionen noch öfter vor: Zehn Prozent ihrer Bewohner leiden daran. Allein schon dieser Umstand beweist, dass Depressionen auch mit der Leistungsgesellschaft zusammenhängen, mit dem hektischen Lebensrhythmus und den vielen sozialen Verpflichtungen, denen wir ausgesetzt sind. Darüber hinaus spielen erbliche Einflüsse und frühkindliche Erfahrungen bei ihrer Entstehung eine große Rolle, so Roger Pycha, Leiter des Psychiatrischen Dienstes des Gesundheitsbezirkes Brixen.
Depression kostet
Die Erkrankung Depression kostet die Menschheit laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich 1.000 Milliarden Dollar. Dabei sind die Behandlungskosten vergleichsweise gering, die wirtschaftlichen Kosten entstehen durch Fehltage und Leistungsminderung, wenn Betroffene krank zur Arbeit gehen anstatt zu Hause zu bleiben und sich gezielt behandeln zu lassen. In diesem Zusammenhang spricht man von Absenteismus und Präsenteismus.
Eine in der renommierten Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlichte Studie weist nach, dass sich Investitionen in die Behandlung von Depressionen unmittelbar lohnen. Jeder investierte Dollar führt zu vier Dollar Gewinn durch bessere Arbeitsleistung und Gesundheit. „Wir wissen, dass Therapien gegen Depressionen helfen“, sagt die ehemalige WHO-Generaldirektorin Margareth Chan. „Die neue Studie zeigt nun, dass das auch ökonomisch sinnvoll ist.“ Und Weltbank-Präsident Jim Yong Kim ergänzt: “Wir müssen jetzt handeln, weil sich die Weltwirtschaft die verlorene Produktivität nicht leisten kann.“ Depression verschlingt in hoch entwickelten Ländern ein Prozent des Bruttosozialproduktes, was ungefähr der Hälfte des Ausmaßes der Weltwirtschaftskrise von 2008 entspricht.
Allerdings wird auf diese Erkenntnisse noch nicht reagiert. Laut dem Atlas der psychischen Gesundheit 2014 investieren die Regierungen weltweit nur zirka drei Prozent ihres Gesundheitsbudgets in psychische Gesundheit. Einkommensschwache Länder rangieren bei einem Prozent, einkommensstarke beim Zehnfachen. Bernardo Carpiniello, der Präsident der Italienischen Psychiatriegesellschaft, präsentierte bei den deutsch-italienischen Psychiatrietagen in Brixen vor zwei Wochen beeindruckende Zahlen. Deutschland verwendet inzwischen 15 Prozent seiner Gesundheitsausgaben für die psychische Gesundheit, England, zwölf Prozent, Frankreich elf Prozent und Italien gerade einmal 3,4 Prozent.
Volkskrankheit Depression
Die Depression ist laut einer anderen Studie der WHO jene Volkskrankheit, die der Menschheit am meisten gesunde Lebensjahre raubt. Laut Schätzungen der Weltbank und der WHO wird sie 2020 für Frauen die weltweit bedeutendste aller Erkrankungen sein, für Männer die zweitbedrohlichste nach Herzinfarkt und Hirnschlag. 2030 schließlich wird Depression die häufigste Störung der Welt sein.
Ein Drittel aller depressiv Erkrankten sucht keine Hilfe. Nur die Hälfte aller depressiven Patienten wird von Ärzten als solche erkannt und richtig behandelt. 40 bis 70 Prozent aller Selbsttötungen sind laut internationalen Schätzungen auf die Krankheit Depression zurückzuführen.
Diese Tatsachen zeigen, dass Handlungsbedarf besteht: Aufklärung der Bevölkerung, Schulung der Fachleute, Stärkung der Selbsthilfe. Denn Depression ist eine häufige, ernst zu nehmende Erkrankung, die heute sehr gut behandelt werden kann.
Die drei wichtigsten Kennzeichen der Depression sind dauerhaft gedrückte Stimmung, der Verlust von Freuden und Interessen und ein kompletter Mangel an seelischer Energie. Betroffene haben manchmal nicht mehr die Kraft, Entscheidungen zu treffen, sich Hilfe zu holen oder zu klagen. Viele beschreiben sich als so leer, dass sie nicht einmal mehr weinen können. Andere sind innerlich unruhig, verspannt und voller körperlicher Symptome. Kopf- oder Rückenschmerzen, Druck auf der Brust, unerträgliches Kribbeln im Bauch, Schwindel und Schwäche bei allen Bewegungen sind die häufigsten körperlichen Merkmale einer Depression. Aber auch Mundtrockenheit, Sehstörungen und Haarausfall können auftreten.
Behandlung ist möglich
Die Säulen der Behandlung stellen Psychotherapie, antidepressive Medikamente und Teilnahme an Selbsthilfegruppen dar. Psychotherapie ist Behandlung und Heilung durch das Wort, durch Gespräche, durch Übungen und das Erlangen neuer Einstellungen zu alten Problemen. Bis Psychotherapien wirken, können allerdings Monate vergehen. Medikamentöse Behandlungen mit Antidepressiva sind hilfreich, um innerhalb weniger Wochen die Energie und die Stimmung wieder zu normalisieren. Häufig wird beides kombiniert, um rasche Besserung und nachhaltige Veränderung zu erreichen. Aber auch Schlafentzug, Lichttherapie oder die Elektrokrampftherapie können in bestimmten Fällen zu Heilerfolgen führen, so Roger Pycha.