Von: apa
“Es ist kein Missbrauch, es ist Vergewaltigung” war der Slogan der feministischen Proteste, die sich nach dem “La Manada”-Gerichtsurteil im Jahr 2018 in ganz Spanien organisierten. Durch den anhaltenden zivilgesellschaftlichen Druck wurde das spanische Sexualstrafrecht vor drei Jahren nach dem “Nur Ja heißt Ja”-Prinzip reformiert. Trotz schwierigem Start sorgt das Gesetz für mehr Sichtbarkeit und einen Anstieg gemeldeter Vergewaltigungsfälle.
Von außen deutet nichts darauf hin, was sich im Inneren des in die Jahre gekommenen Gebäudes abspielt. Geschlossene, hellgrau-gelblich verfärbte Jalousien und keine Schilder, die auf die verschiedenen Frauenorganisationen aufmerksam machen, die hier arbeiten. Aus gutem Grund, wie Marina Cortijo, Direktorin der Empoderadas Madrid, erklärt: Hier werden auch Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt betreut. Die Adresse wird deshalb geschützt. Neben einer stark befahrenen Straße im Zentrum Madrids, unweit des Justizministeriums und des Plaza España, wo 2018 Zehntausende demonstrierten, sitzt Marina Cortijo in dem kleinen, funktional eingerichteten Büro der feministischen Organisation für junge Frauen. “Ich war in meinem Leben bei vielen Protesten, aber keine haben mich so geprägt wie die nach ‘La Manada'”, erzählt die 26-Jährige. Auch sie ist 2018 auf die Straße gegangen, um gegen das Urteil eines europaweit bekanntgewordenen Gruppenvergewaltigungsfalls zu protestieren.
“Eine Botschaft an alle Frauen”
Fünf Männer – sie nannten sich selbst “La Manada” – “Das Rudel” – vergewaltigten 2016 eine 18-Jährige in einem Hauseingang in Pamplona während der traditionellen Stierläufe und filmten sich dabei. Weil die junge Frau auf den Aufnahmen passiv wirkte und sich nicht aktiv zu wehren schien, wurden die fünf Täter zwei Jahre später nach altem spanischem Sexualstrafrecht lediglich wegen “sexuellen Missbrauchs” und nicht wegen “sexuellen Angriffs”, also Vergewaltigung, verurteilt.
“Ich erinnere mich genau an den Tag, an dem das “La-Manada”-Urteil verkündet wurde. Es war eine Botschaft an alle Frauen, denn es hätte jede von uns treffen können und es hätte das gleiche Urteil gegeben”, so Cortijo. Unter dem Einfluss der anhaltenden feministischen Proteste stufte der Oberste Gerichtshof die Taten schließlich doch als sexuellen “Angriff” ein. Im Herbst 2022 erließ die damalige Regierung dann das neue Gesetz über die “umfassende Gewährleistung der sexuellen Freiheit”, das auch als “Nur Ja heißt Ja”-Gesetz bekannt ist. Damit wurde die Unterscheidung zwischen “sexuellem Missbrauch” und “sexuellem Angriff” aufgehoben und Konsens bzw. Zustimmung in den Mittelpunkt gerückt: Jede sexuelle Handlung ohne freiwillige – verbale oder körperliche – Zustimmung ist nun strafbar. Es muss also nicht mehr unter Beweis gestellt werden, dass gegen den Willen des Opfers gehandelt wurde und sexuelle Handlungen abgelehnt wurden. Die Abwesenheit eines “Ja” reicht.
Wann kommt das Zustimmungsprinzip in Österreich?
In 14 EU-Ländern wurde das Sexualstrafrecht bereits nach dem “Nur Ja heißt Ja”-Prinzip reformiert, etwa in Schweden, Dänemark, Belgien, Portugal oder Irland. Zuletzt stimmte auch das norwegische Parlament dafür. Anders ist die Lage in Österreich: Hier gilt seit 2016 ein “Nein heißt Nein”-Modell, das sexuelle Übergriffe erst dann bestraft, wenn sie aktiv abgelehnt werden. Das Opfer muss also “Nein” sagen oder sich körperlich zur Wehr setzen. Diese Gesetzeslage beinhalte “Regelungslücken”, wie beispielsweise beim “Freezing” – wenn eine Frau in Schockstarre verfällt und die Tat über sich ergehen lässt, ohne dass direkte Gewalt ausgeübt wird, wie die österreichische Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) auf APA-Anfrage erklärt. “Solche und andere Graubereiche würden entfallen, wenn eine eindeutige Zustimmung der Sexualpartner und Sexualpartnerinnen Voraussetzung wird.”
Demnach hat sich die österreichische Regierung auf eine Evaluierung des Sexualstrafrechts verständigt: “Ich begrüße, dass im Rahmen der aktuellen Arbeiten zum Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen auch das Zustimmungsprinzip Teil der Gespräche ist”, so Sporrer. Auch auf europäischer Ebene sei es der Justizministerin zufolge weiterhin wichtig, über das Zustimmungskonzept zu sprechen und eine mögliche europaweite Lösung zu finden.
24-Stunden-Krisenzentren und Schulungen
Das Konsensmodell nach dem Zustimmungsprinzip ist laut der spanischen Rechtswissenschaftsprofessorin Tasia Aránguez Sánchez nicht neu, sondern lediglich die Anwendung der Geschlechterperspektive im Recht. Das Gesetz sei weniger radikal oder transformativ, als oft argumentiert wird, denn es gehe vor allem um ein Sexualstrafrecht, das nicht – wie zuvor – nahelegt, dass Opfer sexueller Gewalt, meist Frauen, lügen würden. “Wenn jemand sagt, dass sein Handy gestohlen wurde, denken weder Richter noch Polizei, dass diese Person die Unwahrheit sagt. Das ist nur bei sexuellen Übergriffen der Fall.” Letztendlich hänge die Umsetzung des Gesetzes aber vor allem von den Richtern und der Polizei ab.
Daher umfasst das spanische “Nur Ja heißt Ja”-Gesetz neben der Strafrechtsreform auch Präventionsmaßnahmen und einen besseren Opferschutz. Für Berufsgruppen, die mit Vergewaltigungsfällen zu tun haben, wie etwa Polizei und Justiz, sind Schulungen vorgesehen. Zudem ist die Einrichtung von 24-Stunden-Krisenzentren für Opfer sexueller Gewalt in allen 17 autonomen Gemeinschaften Spaniens verpflichtend.
Vier dieser Krisenzentren werden von der NGO Fundación Aspacia mithilfe öffentlicher Gelder in Madrid verwaltet. Hier arbeiten Sozialarbeiter, Psychologen und Anwälte, um Frauen über ihre Möglichkeiten und die nächsten Schritte zu informieren. Gewaltopfer werden ins Krankenhaus oder zur Polizei begleitet. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen liegt jedoch bei den Opfern, so Virginia Gil Portolés, Direktorin der NGO. Neben dem Betreuungsangebot der Krisenzentren bietet die Organisation auch Schulungen für Jugendliche und junge Männer sowie Präventionsarbeit für öffentliche Institutionen und andere NGOs an.
“Spanisches MeToo”: Mehr Anzeigen sexueller Gewalt
Unweit der Gran Vía, der wichtigsten Straße Madrids, befindet sich der Hauptsitz der Fundación Aspacia. Im Wartebereich der NGO hängen über einer olivgrünen Couch Bilder in Lila und Orange mit feministischen Sprüchen: “Solo Sí es Sí” – “Nur Ja heißt Ja” – und “Me quiero libre” – “Ich will frei sein”. Auch im gegenüberliegenden Büro der Direktorin sind ähnliche Bilder an den Wänden angebracht. “Seit der Verabschiedung des Gesetzes ist die Nachfrage nach Schulungen und Hilfsangeboten gestiegen, weil das Thema an Bedeutung gewonnen hat”, erzählt Gil Portolés der APA. Ein weiterer positiver Effekt sei, dass mehr Vergewaltigungsfälle bei der Polizei gemeldet werden, da immer mehr Frauen über ihre Erfahrungen sprechen.
Das “spanische MeToo” sei insbesondere durch die große Solidaritätswelle nach “La Manada” ins Rollen gebracht worden. Denn lange Zeit wurde über Sexualdelikte geschwiegen, sie wurden nicht zur Anzeige gebracht. Dadurch schien sexuelle Gewalt auch kein akutes gesellschaftliches Problem zu sein. Der Anstieg gemeldeter Vergewaltigungsfälle stehe in direktem Zusammenhang mit einer veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung.
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Zahlen des Ministeriums für Gleichstellung wider: Bis 2016 waren die Zahlen gemeldeter Fälle sexueller Gewalt recht konstant, ab 2017 – ein Jahr nach “La Manada” – stiegen die Zahlen aber jährlich. So wurden 2017 um die 8.000 sexuelle Gewalttaten gemeldet, 2023 – ein Jahr nachdem “Solo Sí es Sí” in Kraft trat – waren es etwa 18.000. Bei wie vielen dieser Fälle es tatsächlich zu Verurteilungen kommt, sei nicht ganz klar. Hier fehlen laut Gil Portolés bisher noch die Daten.
Wichtiges Zeichen für die jüngere Generation
Bei keinem Gespräch über “Nur Ja heißt Ja” in Spanien bleiben die Kontroversen rund um die Strafrechtsreform aus. Die anfänglichen Probleme aufgrund einer Gesetzeslücke, durch die bereits verurteilte Sexualstraftäter reduzierte Strafen erhielten, hinterlassen weiterhin einen bitteren Nachgeschmack. Zudem gibt es teils zu wenig Budget für die Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen. Trotz dieser Kritikpunkte sei das Gesetz ein guter Ausgangspunkt, um das Mindset in Spanien zu verändern, so Marina Cortijo. Es setze insbesondere für junge Menschen ein wichtiges Zeichen und regt dazu an, über das Konzept von Konsens und aktive Zustimmung nachzudenken. Nun sei es besonders wichtig, in Sexualbildungs- und Aufklärungsprogramme für Burschen zu investieren. Denn während die spanische feministische Bewegung unter jungen Frauen viel Zuspruch genießt, nehmen immer mehr junge Männer eine kritische Gegenposition ein.
Trotz der derzeitigen Sorgen bezüglich digitaler Gewalt gegen Frauen und der zunehmenden Beliebtheit der “Mannosphäre”, einem misogynistischen Online-Netzwerk, verliert Marina Cortijo nicht ihre Zuversicht. “Ich blicke positiv in die Zukunft, weil es sonst keinen Sinn macht, sich feministisch zu engagieren. Die Zeit, die wir hier investieren, ist unentgeltlich. Wir tun das, weil wir fest davon überzeugt sind, dass sich dadurch die Situation für Frauen in Spanien verbessert.”
(Von Tabea Mausz/APA aus Spanien)
(S E R V I C E – in Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, u. a. Hilfe und Informationen bei der Frauen-Helpline unter: 0800-222-555, www.frauenhelpline.at; beim Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) unter www.aoef.at; Gewaltschutzzentrum Wien: https://www.gewaltschutzzentrum.at/wien/ und beim 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien: 01-71719 sowie beim Frauenhaus-Notruf unter 057722 und den Österreichischen Gewaltschutzzentren: 0800/700-217; Polizei-Notruf: 133)
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