(Lebens-)gefährliche Situationen sollen vermieden werden

ÖBB wollen mit drastischer Sicherheitskampagne aufrütteln

Donnerstag, 07. September 2023 | 17:20 Uhr

Jedes Jahr gibt es in Österreich zahlreiche Todesopfer bei Unfällen mit Bahnstrom, an Gleisanlagen sowie Eisenbahnkreuzungen. Die ÖBB wollen nun mit einer drastischen Sicherheitskampagne aufrütteln, Aufmerksamkeit schaffen und zum Nachdenken anregen. Viele wissen nicht um die Gefahren, die von Bahnanlagen ausgehen. Slogans wie “riskiert riskiert eliminiert” oder “ignoriert ignoriert skalpiert” sollen das nun ändern und Bewusstsein für die sichere Benutzung schärfen.

Vorgestellt wurde die laut Eigenangaben “maximal aufmerksamstarke Sicherheitskampagne” am Donnerstag in Wien. Besonders Kinder und junge Erwachsene begeben sich demnach häufig aus Unwissenheit und Leichtsinn in Lebensgefahr. Zu ihnen gehörte auch der 18-jährige Nino Laitinen. Am 26. Februar 2022 war er am Praterstern in Wien auf einen Zug geklettert und von einer Leitung am Kopf getroffen worden, erzählte er.

Oberärztin Viktoria König von der Uni-Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie der MedUni/AKH Wien operierte den jungen Mann. “Nino wurden Rückenmuskel und ein Teil vom Oberschenkel an den Kopf transplantiert”, schilderte die plastische Chirurgin. Strom kann in Form eines Lichtbogens auch über eine Distanz von mehreren Metern lebensgefährlich sein. Durch den Lichtbogen der Stromleitung gibt es bei den Opfern Eintritts- und Austrittsstellen, meist sind Kopf und Fuß besonders stark betroffen, berichtete die Ärztin. An den Unfall selbst hat der junge Mann keine Erinnerung. Nino sitzt seither im Rollstuhl, hat unter anderem auch Nervenschäden im Bein davongetragen. “Man muss nicht bei jedem Blödsinn dabei sein”, appelliert er bei der Pressekonferenz.

Auf der Meduni werden pro Jahr im Schnitt ein bis zwei Starkstromverletzte behandelt, meistens handelt es sich dabei um Arbeitsunfälle, berichtete König. 2022 gab es jedoch einen “drastischen Anstieg an Trainsurfern und Trainclimbern”. Sie wurden vom Lichtbogen mit 15.000 Volt getroffen, “die wenigsten wussten über diese Gefahr bescheid”. Sieben Unfallopfer gab es im Vorjahr, “zwei haben es nicht mal zu uns geschafft, ein 21 Jahre alter Bursche ist am Aufnahmetag verstorben”, schilderte die Medizinerin. Bei derartigen Unfällen sind die Patienten “in der Stromquelle gefangen und fangen nicht selten zu brennen an, ehe sie akut weggeschleudert werden”. Durch den Sturz aus großer Höhe – etwa von Zugdächern – gibt es schwerwiegende Begleitverletzungen wie Brüche oder Schädel-Hirn-Trauma. Dazu kommen die Stromverletzungen, die oft auch unsichtbar sind, etwa wenn die Muskulatur oder die Niere stark geschädigt wird.

Auch der 15-jährige Jakob ist Ende 2022 bei einem Stromunfall schwer verletzt worden. Der nunmehr wieder in seiner Heimat lebende Amerikaner meldete sich via Videobotschaft zu Wort und warnte vor Leichtsinnigkeiten. Er wollte in Hietzing Graffiti sprayen, als er ebenso von einem Lichtbogen getroffen wurde, ohne einen Zug zu berühren. Er verlor bei dem Unfall seinen rechten Arm und ist seither querschnittgelähmt. “Bei ihm war die Eintrittsstelle der rechte Arm, er hatte eine Metallspraydose in der Hand gehalten”, berichtete die Chirurgin König. Die Experten rieten dazu, von Stromanlagen auf jeden Fall drei bis vier Meter Abstand zu halten. “Opfer von derartigen Unfällen sind meist mähliche junge Patienten zwischen 14 und 25 Jahren. Sie wollen ein cooles Foto, die Aussicht genießen, haben Liebeskummer oder wollen am Zug ein Bier trinken, einer war dabei der Yoga machen wollte”, berichtete die Ärztin.

Noch mehr Unfälle gab es 2022 bei unüberlegtem Überqueren von Bahnanlagen, laut Johann Pluy, Vorstand der ÖBB-Infrastruktur, waren es elf Unfälle, von denen fünf tödlich endeten. 66 Unfälle gab es an Eisenbahnkreuzungen, zwölf Menschen starben. “Jeder einzelne der Unfälle wäre vermeidbar gewesen”, sagte Pluy. “Heuer lagen wir hier im ersten Halbjahr deutlich unter 50 Prozent vom Vorjahr”, berichtete der ÖBB-Vorstand. Bei all den Gefahrenquellen werden die möglichen Folgen drastisch unterschätzt, warnte er und verwies auf die jährliche Sicherheitskampagne. “Bewusstsein zu schaffen, ist eine Daueraufgabe, man darf nie aufhören”, sagte Pluy. Die möglichen Folgen werden in den laut ÖBB “bewusst aufrüttelnden Sujets auf Bahnhöfen, in Print-, Online – und den Sozialen Medien” mittels 3D-Figuren dargestellt. Das eigene Verhalten soll hinterfragt werden.

“Hauptunfallursache für Unfälle an Eisenbahnkreuzungen ist in 99 Prozent der Fälle immer menschliches Fehlverhalten”, erläuterte Christian Schimanofsky, Direktor des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV). Das ist zum Beispiel mangelnde Aufmerksamkeit, fehlender Kontrollblick, Nichtanhalten bei einem Stopp-Schild oder die Missachtung des Rotlichts. Eine kürzlich durchgeführten Umfrage unter 2.500 Führerscheinbesitzerinnen und Besitzern ergab den Bedarf an vermehrter Bewusstseinsbildung. So wissen beispielsweise 13 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher nicht, was das Verkehrsschild “unbeschrankter Bahnübergang” bedeutet, sagte Schimanofsky. Dieses Zeichen kündigt einen nicht durch Schranken gesicherten Eisenbahnübergang an. KFV-Erhebungen würden immer wieder zeigen, dass Sicherungseinrichtungen – wie beispielsweise Schranken oder Lichtanlagen – sogar wieder ignoriert werden. “Aufgrund der Masseunterschiede der Verkehrsteilnehmerarten, die an Eisenbahnkreuzungen aufeinandertreffen, ist die Verletzungsschwere bei Kollisionen mit einem Zug im Vergleich zu anderen Unfällen sehr hoch. Prävention schützt und rettet Leben”, sagte der KFV-Direktor.

Falsch verhält sich laut Bahn, wer Gleise quert um Wege zu verkürzen oder auf abgestellte Waggons klettert. Damit wird auch – ohne die Leitung zu berühren – ein Stromüberschlag riskiert. Eisenbahnkreuzungen dürfen zudem weder unachtsam noch trotz Rotlichts bzw. herannahendem Zug gequert werden. Nicht ignoriert werden darf auch die Sicherheitslinie am Bahnsteig.

Von: apa