Selbst Maschinengewehrschüsse vertreiben Protestierende nicht – VIDEO

Ohne Angst: Demos für die Ukraine auch in den besetzten Städten

Freitag, 11. März 2022 | 08:03 Uhr

Von: ka

Melitopol – in der europäischen und amerikanischen Öffentlichkeit findet der überraschend große Widerstand, den sich in dieser Größe weder westliche Militärexperten und vermutlich noch weniger Putins Generäle erwartet haben, großes Lob. Die leidende Bevölkerung steht vollkommen hinter den Männern und auch Frauen, die gegen die Invasionsarmee der Russischen Föderation zu Felde ziehen. Aber auch die Menschen, die in den von der russischen Armee besetzten Städten leben, finden sich nicht mit ihrem Schicksal ab.

Twitter/WAR IN UKRAINE 2022

Eine dieser Städte, die stellvertretend für viele andere besetzte Orte in der Ukraine steht, ist Melitopol. Die in der Südukraine gelegene, 153.000 Einwohner große Stadt befindet sich seit einer Woche in russischer Hand. Um den Besatzern zu zeigen, dass sie hier nicht willkommen sind und die Bevölkerung in keiner Weise gewillt ist, die Invasoren auch nur passiv zu unterstützen, finden in Melitopol fast täglich „Demonstrationen für die Ukraine“ statt. Mit der blaugelben Fahne in der Hand versammeln sich die Stadtbewohner auf dem Hauptplatz und ziehen die Nationalhymne der Ukraine singend und die russischen Besatzungstruppen verwünschend durch die wichtigsten Straßen der Stadt.

Im Gegensatz zu Demonstranten in westlichen demokratischen Staaten gehen die Ukrainer, die gegen die Besetzung ihrer Heimatstadt demonstrieren, ein hohes Risiko ein. Manchmal riskieren sie sogar ihr Leben. Um die Demonstranten auseinanderzutreiben, schießen russische Soldaten auch in die Luft. Vielen Videos zufolge lassen sich die erzürnten Bewohner davon aber kaum beeindrucken. In einem Video sind wütende Einwohner von Melitopol zu sehen, wie sie Soldaten der Besatzungsmacht abdrängen.

Mit erhobenen Händen gehen sie auf zurückweichende und in die Luft schießende Soldaten zu, die vergeblich versuchen, auf die Menge einzureden und sie zur Umkehr zu bewegen. Ein anderes Video zeigt Demonstranten, die durch die Besetzung einer Straße einen russischen Nachschubkonvoi aufhalten. Um einen Jeep der russischen Truppen an der Weiterfahrt zu hindern, legt sich ein Protestierender vor ihn auf die Straße. Aber auch ein Soldat, der den wütenden, aber unbewaffneten Ukrainern sein Sturmgewehr ins Gesicht hält und in die Luft schießt, ist außerstande, die Menge zu zerstreuen.

Auf der anderen Seite versuchen die russischen Besatzer mit „humanitärer Hilfe“, wenn schon nicht die Herzen, so doch wenigstens die passive Zustimmung der Einwohner von Melitopol zu gewinnen. Russischen Quellen zufolge wurden von der Krim 110 Tonnen von Lebensmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs herangeschafft und an die Einwohner von Melitopol verteilt. Da die Stadt von jeglicher Versorgung abgeschnitten ist und es kriegsbedingt am Nötigsten fehlt, sind viele Einwohner gezwungen, die Hilfe anzunehmen. Die Videos der Verteilung der Lebensmittel sollen zusammen mit anderen Videos und Bildern, die „dankbare Ukrainer“ und ein lebendiges Straßenleben zeigen, eine in Melitopol wiedereingekehrte „Normalität“ zeigen, die dazu gedacht ist, die die offizielle Propaganda Putins einer „angeblichen Befreiung“ der Stadt durch seine Truppen zu unterstützen.

Twitter

Die lange Warteschlange, die sich vor den Lastkraftwagen und der Verteilungsstelle bildete, kann aber nicht hinwegtäuschen, dass die russische Armee von praktisch fast der gesamten Bevölkerung als unerwünschter Besatzer empfunden wird. Selbst vor den von den russischen Soldaten scharf bewachten Lastkraftwagen demonstrierten Ukrainer für ihre Heimat und gaben den russischen Soldaten zu verstehen, dass ihre „Hilfe“ in Melitopol unerwünscht sei.

Die Besatzer scheinen inzwischen mit ihren Nerven am Ende zu sein. Am Mittwoch verhängte die russische Militärverwaltung für Melitopol ein Demonstrationsverbot, das von den Einwohnern der Stadt aber prompt missachtet wurde. Letzten Meldungen zufolge sollen nun rund tausend prorussische Milizionäre aus den „separatistischen Republiken“ des Donbas in Melitopol für „Ruhe und Ordnung“ sorgen.

Twitter/NAQA_Ukraine

Am Beispiel Melitopols zeigt sich, in welcher Sackgasse sich Russland befindet. Anstatt wie geplant die Ukraine in einem nur wenige Tage dauernden Blitzkrieg unterworfen zu haben, sehen sich die Truppen der Russischen Föderation heftiger Gegenwehr und schmerzhaften Verlusten ausgesetzt. Das Verhalten der Bewohner der südukrainischen Stadt, die selbst unter Besatzung ihrem Land die Treue halten, zeigt auch, dass es unmöglich ist, den Ukrainern – einem Volk mit 44 Millionen Einwohnern – eine von ihnen nicht gewollte Herrschaft aufzuzwingen.