Umweltschutzgruppe Vinschgau über Artenverlust und Pestizide

“Pestizide hemmen Aktivität der Regenwürmer”

Mittwoch, 19. Mai 2021 | 11:10 Uhr

Schlanders – Aufdecken, Informieren, Bewusstmachen war die Zielsetzung des Online-Meetings, das am 14. Mai von der Umweltschutzgruppe Vinschgau-  unterstützt von der Vereinigung der Südtiroler Biologen – zum Thema Biodiversitätsverlust und Pestizide organisiert wurde. “Neben dem Klimawandel stellt der weltweite dramatische Verlust der Artenvielfalt die größte Herausforderung dar, deren Bewältigung die Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Gruppierungen und Kräfte in Anspruch nehmen wird”, so die einhellige Meinung.

Eingeladen waren ein Forscherteam aus den Niederlanden: Margriet Mantingh (Assen) und Jelmer Buijs (Bennekom) sowie Johann Zaller, Prof. für Ökologie an der Bodenkultur Wien. Alle drei beschäftigen sich seit Jahren unabhängig von Lobbys und Politik mit dem Thema.

“Die Untersuchungen von Mantingh und Buijs zeichnen sich dadurch aus, dass nach einer hohen Anzahl von Wirkstoffen (600 – 800) mit hoher Messgenauigkeit gesucht wird. Wer viel sucht und genau misst, findet viel. Viel gefunden haben sie tatsächlich in den Proben, die sie in Gelderland und Drehnte (NL) sowie in Nordrhein Westfalen und Rheinland Pfalz (D) in Viehbetrieben, Naturschutzgebieten und bei Privaten gezogen haben”, so die Umweltschutzgruppe Vinschgau.

“In 24 Viehbetrieben in den NL wurden 134 verschiedene Substanzen gefunden, in konventionellen Betrieben wesentlich mehr als in Biobetrieben. Deren Auswirkungen auf Mistkäfer und Vögel wurden untersucht und festgestellt: Je mehr Pestizide im Kraftfutter, desto weniger Mistkäfer in Kuhfladen und äußerst geringes Vorkommen von Vögeln auf konventionellen Betrieben. Bodenanalysen in den NL ergaben einen 20 Mal höheren Pestizidgehalt und das Achtfache an Substanzen im konventionellen Anbau als im Bioanbau. Als ‘Pestizidquellen’ konnten Stroh, Kraftfutter, verseuchtes Wasser, Klärschlamm, Arzneimittel, Altlasten und Verwehungen aus anderen Betrieben und Regionen ausgemacht werden. Betont wurde, dass die Zulassungsverfahren von Pestiziden nur die menschliche Gesundheit berücksichtigen, nicht das Ökosystem. Die Zulassungsbehörde EFSA hat dies anerkannt, aber noch nicht darauf reagiert”, heißt es weiter.

“Für Überraschung haben die Erkenntnisse gesorgt, wonach sogar in Naturschutzgebieten in den Niederlanden und in Deutschland eine Vielzahl an Pestiziden gefunden wurde. Die Entfernung zu Agrarflächen – 30 Meter oder 4 Kilometer Entfernung – machte dabei weder bei der Anzahl noch bei der Menge einen signifikanten Unterschied. Bei Privatproben (NL) wie Gemüse, Haare, Kot, Wasser.. wurden 100 verschiedene Pestizide gefunden, von denen mehr als die Hälfte krebserregend und/oder Hormon schädigend oder Nervengifte sind. Sichere Grenzwerte gibt es laut Buijs nicht”, so die Umweltschutzgruppe.

Johann Zaller konzentrierte sich in seinem Referat auf den Einfluss von Pestiziden auf die Bodenorganismen. “25 Prozent aller Arten auf der Erde leben im Boden, das sind pro ha das Gewicht von 20 Kühen. Er strich eingangs die enorme Ökosystemleistung des Bodens hervor, die Pimentel et. al. 1997 Bioscience, mit einer Geldsumme von 1.542 Milliarden Dollar/Jahr bezifferte. Die Bodenschicht, von der wir leben, ist sehr dünn, haarsträubend, was wir mit der begrenzten Ressource Boden anstellen. Die Bodenorganismen sind durch eine Vielzahl von Faktoren gestresst, Pestizide sind einer davon. Johann Zaller hat es in seinen Ausführungen nicht versäumt, den Bezug zu Südtirol herzustellen. In Südtirol wird verglichen mit Österreich und den anderen Regionen Italiens eine riesige Menge an Pestiziden (Wirkstoffe und Beistoffe) ausgebracht. Mit seinen Experimenten konnte Zaller belegen, dass Pestizide sowohl die für Pflanzen äußerst wichtige Aktivität der Regenwürmer als auch deren Fortpflanzung stark beeinträchtigen”, heißt es weiter.

Zaller stellte aktuelle Studien anderer Wissenschaftler vor, die den negativen Einfluss von Pestiziden auf Bodenorganismen untermauern: “Für Südtirol liegt die Studie von T. Peham, Uni Innsbruck, 2021 vor. Diese zeigt auf, dass dort wo im Apfel- und Weinanbau chemisch – synthetische Pestizide eingesetzt wurden, signifikant weniger Bodenorganismen vorhanden waren. Durch die Überproduktion im Apfelanbau (das 122-fache von dem was Südtiroler essen können) wird das Ökosystem in Südtirol übermäßig belastet. In einer brandaktuellen Zusammenfassung von 394 Studien weltweit (Gunstone et. al. 2021 Frontiers in Environmental Science), die 275 Arten von Bodenorganismen und 284 Pestizide umfassen, bestätigen 71 Prozent der Studien einen negativen Einfluss von Pestiziden auf Bodenorganismen”, so die Umweltschutzgruppe in einer Aussendung.

Sie fordert die Politik in Südtirol auf, diese Forschungsergebnisse bei ihrem Vorhaben Südtirol zum Land der Artenvielfalt zu machen zu berücksichtigen.

Die Vorträge der Referenten und Links zu verschiedenen Studien sind auf hier abrufbar.

Von: luk

Bezirk: Vinschgau