Besetzte Gebiete in Aufruhr – VIDEO

Russische Soldaten schießen erstmals auf Demonstranten: Mehrere Verletzte

Dienstag, 22. März 2022 | 07:58 Uhr

Kherson – Die russischen Truppen haben seit Anbeginn der Invasion große Probleme damit, die von ihnen besetzten Gebiete der Ukraine unter ihrer Kontrolle zu halten.

Neben Angriffen auf Nachschubkonvois, an denen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Ukrainer der von den Russen kontrollierten Gebiete mitwirken, finden in den größeren Städten fast täglich lautstarke Demonstrationen gegen die russischen Truppen statt. Seit Kurzem zeichnet sich aber eine härtere Gangart der Besatzer ab. Das erste Mal eröffneten russische Soldaten auf friedliche Demonstranten das Feuer. Dabei wurden mehrere Personen verletzt.

In den besetzten Gebieten der Ukraine wird seit Wochen gegen die Invasoren protestiert. Dies gilt insbesondere für die einzige ukrainische Großstadt, die die russischen Truppen bisher einnehmen konnten – Kherson. Auf den Straßen der 290.000 Einwohner großen Stadt kommt es immer wieder zu lautstarken Protesten, bei denen die Stadtbewohner mit blaugelben Fahnen und Sprechchören ihre Treue zur Ukraine bekundeten. Selbst russische Nationalgardisten, die, um die Demonstranten einzuschüchtern, von ihren Panzerfahrzeugen aus in die Luft schossen, vermochten die wütenden Protestierenden bisher kaum beeindrucken. „Haut ab! Verschwindet nach Moskau! Faschisten! Ihr seid Bestien!“, tönte es aus der Menge. Am Sonntag wurden zwei Nachschub-Lkw von Demonstranten sogar zur Umkehr gezwungen.

Auch dem Versuch der Besatzer, nach dem Vorbild der beiden separatistischen „Volksrepubliken“ im Donbass auch in Kherson eine „Volksrepublik“ zu errichten und zu diesem Zweck ein „Referendum“ abzuhalten, dürfte bisher wenig Erfolg beschieden sein. Unter den Regionalräten von Kherson konnten bisher anscheinend kaum Personen gewonnen werden, die dazu bereit sind, mit den russischen Truppen zusammenzuarbeiten.

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In einer Resolution wies der Oblastrat von Kherson sogar das russische Referendumsvorhaben zurück. Einige Politiker und Personen des öffentlichen Lebens kündigten aber ihre Bereitschaft an, die russische Militärverwaltung zu unterstützen. Präsident Wolodymyr Selenskyj drohte aber möglichen „Kollaborateuren und Unterstützern Russlands“ in der Ukraine. Wer sich von Angeboten der russischen Besatzer in Versuchung geführt sehe, unterschreibe damit sein eigenes Todesurteil.

Facebook/Денис Казанский

Dass diese Drohungen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt der gewaltsame Tod von Pavel Slobodchikov. Pavel Slobodchikov, der als rechte Hand des Lokalpolitikers und Kollaborateurs der Besatzungstruppen, Vladimir Saldo gilt, wurde in der Nähe der Stadt in seinem Mercedes sitzend von unzähligen Kugeln durchsiebt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Urheber des Attentats ukrainische Partisanen waren.

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Diese Rückschläge und die nicht enden wollenden Demonstrationen für die Ukraine scheinen die russischen Besatzer nun zu einer härteren Gangart zu veranlassen. Als am Montag protestierende Ukrainer erneut die Besatzer beschimpften, eröffneten russische Soldaten im Stadtzentrum das Feuer auf die Menge.

„Heute versuchten sie in Kherson, die friedlichen Demonstranten gewaltsam auseinanderzutreiben. Es wurde geschossen. Sie warfen auch Tränengas- und Betäubungsgranaten. Mindestens ein Demonstrant wurde von den Russen gekidnappt. Mehrere Personen erlitten Verletzungen. Einen Rentner, der durch eine tiefe Wunde an einem Bein viel Blut verloren hatte, erwischte es am schwersten“, so der Oblast-Abgeordnete Yuriy Sobolevsky, der an der Demonstration teilnahm und eines der ersten Videos veröffentlichte.

Einige Experten werten das brutale Durchgreifen der Besatzer als Signal an die ukrainische Bevölkerung, dass sie in der von ihnen besetzten Teilen der Ukraine keine offene Opposition mehr dulden werden.

Twitter/NAQA_Ukraine

Ein Politikwissenschaftler wertet das Vorgehen der russischen Truppen gegen friedliche ukrainische Demonstranten aber auch als Schwäche. „Ich glaube, die Russen wissen nicht, was sie tun sollen. Ich halte ihre Aktionen in Kherson für chaotisch und unkoordiniert. Sie verfügen nicht über die Mittel, das Umland ganz zu besetzen, und sehen sich einer starken Opposition gegenüber. Daraus folgt, dass sie für die Unterstützung ihrer „Scheinrepublik“ zu wenig Kollaborateure finden. Daher sind sie dazu gezwungen, ein Besatzungsregime zu errichten“, meint der ukrainische Politikwissenschaftler Serhiy Danilov.

Twitter/Russia Ukraine Live

Solche Überlegungen werden von Experten für plausibel gehalten. Sollte dies stimmen, heißt das aber auch, dass Protestierende und Opponenten, die den Besatzern im Weg stehen, sich in höchster Gefahr befinden.

Von: ka