Von: ka
Kiew – Am Ende des Winters beginnen die ukrainischen Bauern normalerweise mit ihrer Feldarbeit. Sie säen Weizen, Sonnenblumen und Buchweizen und kümmern sich um ihre Geflügelfarmen, deren Erträge in die ganze Welt exportiert werden. In großen Teilen der Ukraine wird in diesem Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit leider nichts daraus. Aufgrund der Kriegshandlungen wurde die Bestellung von Millionen von Hektar landwirtschaftlicher Nutzflächen aufgegeben.
Zudem griffen auch viele Bauern zu den Waffen und zogen gegen die russischen Invasoren in den Krieg. Da die wenigen produzierten Nahrungsmittel dringend im Land selbst gebraucht werden, wird die Ukraine, aus der in normalen Jahren rund 15 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelexporte stammen, zumindest in diesem Jahr als Exporteur vollkommen ausfallen. Während Europäer und Amerikaner die Folgen dieser Marktverknappung „nur“ als Teuerung zu spüren bekommen werden, könnte diese Entwicklung in ärmeren Ländern zu Hungersnöten führen.
Wie der The Kyiv Independent berichtet, kommt ein nicht zu unterschätzender Anteil des weltweiten Nahrungsmittelangebots, darunter vor allem Weizen, Mais, Sonnenblumenöl, Sojabohnen und Gerste sowie Geflügel und Eier, aus der Ukraine. Aus dem osteuropäischen Land stammen rund 15 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelexporte. Zu den größten Importeuren ukrainischer Lebensmittel gehören Indien, China, Ägypten, die Türkei, Polen und Deutschland.
Kriegsbedingt wird die ukrainische Nahrungsmittelproduktion heuer aber stark einbrechen und den Lebensmittelexport vollkommen zum Stillstand bringen. „Die Ukraine verpasst im Süden des Landes bereits jetzt die Aussaat und die Pflanzsaison“, so ein Experte, der darauf hinweist, dass derzeit besonders in der Südukraine die Kampfhandlungen am stärksten und die Verwüstung der Felder durch russische Kampfpanzer am größten ist.
Er schätzt, dass die Ukraine viele Monate lang nichts mehr exportieren kann und dass es Jahre dauern wird, bis erneut das Produktionsniveau vergangener Jahre erreicht werden wird. Der Experte und seine Kollegen glauben, dass der kriegsbedingte Exportausfall der Ukraine durch die daraus folgende Nahrungsmittelverknappung eine weltweite Ernährungskrise auslösen könnte, die in ärmeren Ländern mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Unterernährung führen wird. Nach Angaben der Kyiv School of Economics könnten davon weltweit bis zu 400 Millionen Menschen betroffen sein.
Infolge der Kriegshandlungen, die in weiten Teilen des Landes toben, schätzt der Präsident des Ukrainian Agribusiness Club, Alex Lissitsa, dass in diesem Jahr nicht mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Ukraine, das heißt etwa zehn Millionen Hektar, bebaut werden wird. Um den erwarteten Nahrungsmittelengpässen zu begegnen, wurde kurz nach Beginn der russischen Offensive das Kriegsrecht verhängt. Dieses sieht auch ein Verbot wichtiger Agrarexporte vor. „Wir müssen die Ukraine mit allem versorgen, was das Land braucht“, so der Ministerpräsident der Ukraine, Denys Shmyhal.
Hafer, Buchweizen, Roggen, Hirse, Rindfleisch, Zucker und Salz sind von einem absoluten Exportverbot betroffen. Für die Ausfuhr einer Reihe anderer Erzeugnisse, darunter Weizen, Sonnenblumenöl, Mais, Geflügel und Eier, sind seit Kriegsbeginn Sondergenehmigungen des Wirtschaftsministeriums erforderlich. Um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, wurden in die umkämpften und von den russischen Truppen belagerten Städte Tausende Tonnen von Nahrungsmitteln gebracht. Laut dem Direktor des Gesamtukrainischen Landwirtschaftsrates, Andriy Dykun, wird die heurige Ernte gerade dazu ausreichen, die Binnennachfrage zu decken. Die Agrarexporte der Ukraine gehören vorerst der Vergangenheit an.
Die Vorhersagen sind düster. Die Felder sind verwüstet, teilweise mit gefährlichen Blindgängern sowie mit noch scharfer Munition übersät und an einigen Orten sogar vermint. Je länger der Krieg dauert, desto schlimmer wird auch die Lage der ukrainischen Landwirtschaft. Die Auswirkungen des Ausfalls der Ukraine als Exporteur von Nahrungsmitteln werden weltweit spürbar sein. Während Europäer und Amerikaner die Folgen dieser Marktverknappung „nur“ als Teuerung spüren werden, könnte diese Entwicklung in ärmeren Ländern zu Hungersnöten führen.