Von: mk
Bozen – In Südtirol steigt – wie überall auf der Welt – die Lebenserwartung der Bevölkerung. Wie geht es Südtirols Seniorinnen und Senioren? Welche Bedürfnisse haben Menschen mit 75 und mehr Lebensjahren? Welche Ansprüche stellen sie an die Gesundheitsversorgung? Eine von Februar bis Mai 2023 durchgeführte Befragung des Landesinstitutes für Statistik ASTAT und des Institutes für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen hat den Zustand der Über-75-Seniorinnen und -Senioren in Südtirol ermittelt – in Bezug auf Gesundheit, soziale Unterstützung und Lebenssituation. Nun liegen erste Ergebnisse vor. Hervorstechend ist: Die Zufriedenheit der Seniorinnen und Senioren mit ihrer derzeitigen Lebenslage ist recht hoch – vor allem, was ihre Familie und die Wohnsituation anbelangt.
Von Februar bis Mai 2023 konnten 3.600 in Südtirol lebende Seniorinnen und Senioren mit 75 und mehr Lebensjahren an der gemeinsamen Studie des Institutes für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen und des Landesinstitutes für Statistik ASTAT teilnehmen. „Die Auswahl der Personen erfolgte als Stichprobe: Sie wurden zufällig aus den Melderegistern der Gemeinden ausgewählt“, erklärt ASTAT-Direktor Dr. Timon Gärtner. Die Fragebögen wurden auf unterschiedliche Weise ausgefüllt: Selbstausfüllung über das Internet, auf Papier oder telefonische Befragung.
„Nicht an der Studie teilgenommen haben Personen, die dauerhaft in Seniorenwohnheimen untergebracht sind, sowie Personen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage waren, den Fragebogen selbstständig oder mit Unterstützung eines Angehörigen auszufüllen“, so Dr. Gärtner. Insgesamt haben sich 1.695 Personen an der Umfrage beteiligt, das entspricht einer Rücklaufquote von 47 Prozent. „Das große Interesse und die starke Beteiligung an unserer Studie haben uns positiv überrascht“, freut sich Dr. Dietmar Ausserhofer, Leiter der Seniorenstudie 2023 und Pflegewissenschaftler am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen.
Wie geht es Südtirols Seniorinnen und Senioren mit 75 und mehr Lebensjahren?
„Das Studienergebnis, das mich gewiss am stärksten überrascht hat, ist die sehr hohe Zufriedenheit der Seniorinnen und Senioren mit ihrer aktuellen Lebenssituation. Dass sie dabei mit ihrer Wohnsituation und der eigenen Familie besonders zufrieden sind, zeigt, dass in Südtirol zwei wichtige Faktoren für ein Altern in Autonomie und Würde von Seniorinnen und Senioren gegeben sind“, sagt Dr. Dietmar Ausserhofer.
42 Prozent der an der Studie teilnehmenden Seniorinnen und Senioren gaben an, dass es ihnen gesundheitlich gut oder sehr gut geht. 47 Prozent bewerten ihren Gesundheitszustand als mittelmäßig und zehn Prozent als schlecht. 52 Prozent der Teilnehmenden sagten, dass ihre täglichen Aktivitäten von gesundheitlichen Problemen eingeschränkt werden. 19 Prozent berichteten, dass gesundheitliche Probleme sie daran hindern, ihr Haus zu verlassen.
66 Prozent der an der Studie Teilnehmenden gaben an, mit der eigenen Familie sehr zufrieden zu sein. 65 Prozent sind mit ihrer gegenwärtigen Wohnsituation sehr zufrieden.
95 Prozent der Seniorinnen und Senioren, die Kinder haben, gaben an, dass sie in irgendeiner Form Hilfe von ihnen erhalten. Die am häufigsten genannte Form der Unterstützung ist das Zuhören (71 Prozent). 21 Prozent werden von ihren Kindern betreut bzw. gepflegt.
Wie aktiv sind Südtirols Seniorinnen und Senioren?
„Aus der Studie geht hervor, dass Südtirols Seniorinnen und Senioren mit 75 und mehr Lebensjahren versuchen, in ihrem Wohnort aktiv zu bleiben und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“, erklärt Dr. Adolf Engl, Präsident des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen.
81 Prozent der an der Studie teilnehmenden Seniorinnen und Senioren unternehmen mindestens einmal pro Woche einen kurzen Spaziergang in ihrem Wohnort. 57 Prozent machen leichte körperliche Aktivitäten für mindestens eine Stunde oder mehr pro Woche. Der Prozentsatz derjenigen, die mindestens einen Tag pro Woche in Nachbarorte (innerhalb von zehn Kilometern) fahren, und der Prozentsatz derjenigen, die wöchentlich Ortschaften in einem noch größeren Umkreis besuchen, liegt bei 29 bzw. neun Prozent. 31 Prozent gaben bei der Befragung an, in einem Verein (z.B. Chor, Musikkapelle etc.) oder in ihrer Pfarrgemeinde aktiv zu sein.
Sind Südtirols Seniorinnen und Senioren angemessen unterstützt und versorgt?
„Wenn wir die Zahlen der Studie hochrechnen, bedeutet das, dass von den ca. 51.000 in Südtirol lebenden Personen mit 75 und mehr Lebensjahren rund 15.000 als ,fragil’ – also mit einem Verlust ihrer Selbstständigkeit – einzustufen sind“, schlüsselt Dr. Dietmar Ausserhofer die Daten der Studie auf. „Fragilität erhöht die Wahrscheinlichkeit von künftigen Negativfolgen, z.B. das vermehrte Beanspruchen von Gesundheits- und Sozialdiensten oder die Zunahme von Abhängigkeit und Beeinträchtigung“, erklärt Dr. Giuliano Piccoliori, seines Zeichens Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen. „Praktisch jeder der Befragten mit 75 und mehr Lebensjahren hat in den letzten zwölf Monaten mindestens eine notwendige Visite oder Behandlung in Anspruch genommen. Allerdings würde sich mehr als die Hälfte der Senioren einen leichteren Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen wünschen. Hier würde man sich wünschen, dass gebrechliche Senioren in Südtirol einen prioritären Zugang z.B. zu fachärztlichen ambulanten Leistungen erhielten“, so Dr. Piccoliori.
Die Anzahl der Personen mit mäßigem bis schwerem Verlust ihrer Selbstständigkeit (sog. „fragile“ Personen) beläuft sich auf 30 Prozent. Während es bei den 75- bis 84-Jährigen 17 Prozent sind, beträgt diese Anzahl bei Menschen mit 85 und mehr Lebensjahren 63 Prozent. 58 Prozent der Befragten wünschen sich einen leichteren Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen.
61 Prozent der Seniorinnen und Senioren sind unabhängig und beanspruchen folglich keine Pflegeleistungen. Bei den fragilen Personen sinkt der Anteil auf 23 Prozent, bei den nicht fragilen Personen beträgt er hingegen 78 Prozent.
Fragile Personen nehmen fast ausschließlich folgende Formen der Unterstützung in Anspruch: Betreuung durch eine Pflegekraft (20 Prozent), Hauspflege (15 Prozent), Hauskrankenpflege (neun Prozent), Mahlzeiten daheim (sechs Prozent).
Welche technischen Hilfsmittel verwenden Südtirols Senioren?
„Die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft betrifft uns alle, auch die Seniorinnen und Senioren“, erläutert Studienleiter Dr. Dietmar Ausserhofer, „wobei der Großteil bei der Nutzung technischer Hilfsmittel auf die Angehörigen angewiesen ist. Hier besteht der Wunsch an die Gesellschaft nach mehr Unterstützung. Gezielte Angebote seitens der öffentlichen Verwaltung bei digitalen Ansuchen (z.B. SPID) und Maßnahmen im Bereich der digitalen Bildung könnten die Senioren als ,digital immigrants’ unterstützen.“
„Auch in Südtirols Gesundheitswesen schreitet die Digitalisierung voran. Hier könnten durch den Ausbau von Telemedizin und dank der Nutzung tragbarer Geräte Versorgungsund Unterstützungsmöglichkeiten ausgebaut werden, für welche ein Teil der Senioren durchaus offen wäre“, sagt Institutspräsident Dr. Adolf Engl.
38 Prozent nutzen täglich oder fast täglich ein Handy bzw. ein Smartphone. 13 Prozent nutzen weder ein Handy noch ein Smartphone. 29 Prozent der Befragten surfen jeden Tag oder fast täglich im Internet. 21 Prozent nutzen einen Computer oder ein Tablet. Die beliebtesten Aktivitäten der Internetnutzer sind die Informationssuche (85 Prozent), die Nutzung von WhatsApp (84 Prozent), das Lesen von Nachrichten (83 Prozent) und die Nutzung von E-Mails (68 Prozent).
67 Prozent der befragten Senioren gaben an, bei der Nutzung der technologischen Hilfsmittel die Unterstützung ihrer Angehörigen in Anspruch zu nehmen. 34 Prozent der Befragten gaben an, bei der Abwicklung digitaler Ansuchen (z.B. SPID) vermehrt Unterstützung zu benötigen.
Welche Handlungsempfehlungen lassen sich aus der Studie ableiten?
„Ein optimistisches Lebensgefühl und ein aktiver Lebensstil sind eng miteinander verbunden und spielen eine wesentliche Rolle für das Wohlbefinden von Seniorinnen und Senioren. Vor diesem Hintergrund empfiehlt das Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen, in Südtirols medizinischer und pflegerischer Versorgung von älteren Menschen verstärkt auf die Aktivierung zu achten“, betonen die Ärzte für Allgemeinmedizin Dr. Adolf Engl und Dr. Giuliano Piccoliori. „Wird die Aktivierung der Seniorinnen und Senioren gefördert, können nicht einzig die körperliche Gesundheit und das geistige Wohlbefinden, sondern auch die Lebensqualität gesteigert werden. Dadurch kann den Seniorinnen und Senioren geholfen werden, ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen“, sagen Dr. Engl und Dr. Piccoliori.
Die ersten Ergebnisse der Seniorenstudie 2023 sind online zu finden.