Fische sterben auf der Straße

Unachtsamer Umgang mit geschützten Tierarten: “Kein Kavaliersdelikt!”

Freitag, 16. Juni 2017 | 15:14 Uhr

Naturns – Am vergangenen Donnerstag hat sich aufmerksamen Personen in Naturns ein ungewöhnlicher Anblick geboten. Überraschend viele oberitalienische Bachneunaugen waren zu sehen. Aber nicht etwa in einem Gewässer, in dem sie normalerweise gut versteckt und geschützt leben, sondern mitten auf der Straße, am heißen Asphalt, sterbend und vertrocknend. Wie war diese gefährdete und streng geschützte Kleinfischart (Rote Liste Südtirols: besonders gefährdet; EU-Habitatrichtlinie: in Anhängen II und V gelistet, Berner Konvention: Anhang II gelistet, Landesfischereigesetz: ganzjährig geschützt) dort hingekommen?

Bei Instandhaltungsarbeiten des Naturnser Mühlgrabens wurde Material entnommen und mit diesem auch die im Sohlsubstrat lebenden Neunaugen. Beim Abtransport mit einem landwirtschaftlichen Transporter schwappte die Ladung teilweise über und mit ihr auch die Neunaugen. „Aufgrund der Tatsache, dass es so viele Tiere waren, kann man diese bei den Instandhaltungsarbeiten eigentlich nicht übersehen haben. Wie viele Neunaugen mit dem Sohlsubstrat abtransportiert und deponiert wurden und so bei dieser Grabeninstandhaltung zu Schaden gekommen sind, lässt sich nur erahnen“, schreibt der Dachverband für Natur- und Umweltschutz auf seiner Homepage.

Südtirols landwirtschaftlich genutzte Talböden sind von einem teils dichten Netz an Abzugsgräben durchzogen. Diese Entwässerungsgräben müssen periodisch instand gehalten werden, um ihre Funktion zu erfüllen. Andererseits sind diese Klein- und Kleinstgewässer überaus wichtige Ersatzlebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten, da durch die Urbarmachung der Talböden die Flusslandschaften und mit ihnen die ursprünglichen Lebensräume dieser Tiere und Pflanzen zerstört wurden. „Daher ist bei Instandhaltungsarbeiten besondere Rücksicht auf die Tier- und Pflanzenwelt zu nehmen“, erklärt der Dachverband.

Unachtsamkeit in diesem Zusammenhang ist kein Kavaliersdelikt, denn neben möglichen verwaltungsrechtlichen Verstößen kennt das italienische Strafgesetzbuch seit 2015 auch den Umwelt-Straftatbestand (reato ambientale).

Mit den Erhebungen zu den genauen Umständen sind die zuständigen Stellen der Abteilung Forstwirtschaft betraut, die auch Sanktionen bei festgestellten Verwaltungsübertretungen verhängen können. Seit dem Jahre 2015 haben derartige Vergehen aber nicht nur einen verwaltungsrechtlichen Aspekt, sondern auch einen strafrechtlichen.

Laut Art. 452bis des italienischen Strafgesetzbuches kann jeder bestraft werden, der unrechtmäßig eine relevante und messbare Beschädigung oder Verschlechterung eines Ökosystems sowie der biologischen Vielfalt verursacht, und zwar mit einer Haftstrafe von zwei bis sechs Jahren sowie mit einer Geldstrafe von 10.000 bis 100.000 Euro. Unbeschadet der Überschrift des Artikels („inquinamento ambientale“) sind sich Rechtsprechung und Lehre darüber einig, dass der entsprechende Straftatbestand durch jegliche Handlung erfüllt werden kann. Angesichts der Tatsache, dass die Rechtsprechung (siehe Urteil der Strafsektion des Kassationsgerichtshofes Nr. 46170/2016) die Erfüllung des Straftatbestandes laut Art. 452bis StGB bejaht, ohne dass der Schaden hierfür irreversibel sein muss, könnten alle Tätigkeiten, welche die Lebensräume sowie die entsprechenden Lebewesen des Gewässers zerstören, als eine Beeinträchtigung der Gewässer und der biologischen Vielfalt im Sinne der genannten Norm gelten und entsprechend geahndet werden. Die Tatsache, dass es sich in diesem Fall um eine gefährdete und streng geschützte Tierart handelt, dürfte erschwerend hinzukommen, erklären die Umweltschützer.

In den vergangenen Jahren hat der Dachverband für Natur- und Umweltschutz immer wieder auf den rücksichtslosen Umgang mit unseren Gewässern aufmerksam gemacht, ob Totalausleitungen, Fischsterben durch Pestizide oder radikale Grabeninstandhaltungen. „Aufgrund der zahlreichen Fälle kann man sicherlich nicht mehr von Versehen oder bedauerlichen Einzelfällen sprechen“, so die Umweltschützer. Der Dachverband hofft, dass es zu einem grundlegenden Umdenken kommt, bevor bei solchen oder ähnlichen Vergehen strafrechtliche Konsequenzen gezogen werden müssen.

Von: mk

Bezirk: Burggrafenamt