Von: mk
Bozen – Auch in Südtirol werden Kinder und Jugendliche zunehmend vernachlässigt, ausgegrenzt und gemobbt. Sie erleben sexualisierte, körperliche und psychische Gewalt. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft (Kija) hat ihren Bericht zum Bezugsjahr 2016 vorgelegt. Die Mitarbeiterinnen der Kija haben im vergangenen Jahr 965 Anfragen bearbeitet. Inhaltlich ging es um Trennung, Scheidung, Fremdunterbringung, Adoption, Pflegegeld, Freizeit, Kindergarten, Schule, Mobbing, Selbstbestimmungsrecht Jugendlicher, Internet und Jugendschutz. Kinder- und Jugendanwältin Paula Maria Ladstätter unterstreicht die Wichtigkeit der unabhängigen Ombudsstelle für Minderjährige in Südtirol. Die Kija wurde mit Landesgesetz Nr. 3 vom 26. Juni 2009 errichtet.
Die achtjährige Klara wird in der Schule gemobbt, nässt nachts ein und will das Haus nicht mehr verlassen. Der fünfjährige Claudio muss in einer Pflegefamilie leben, weil sich seine Mutter nicht ausreichend um ihn kümmern kann. Der 14-jährige Werner ärgert sich, weil ihm sein Vater das Spielen an der Playstation verbietet und den Zugang zum Internet abdreht. Die 13-jährige Greta hat Angst, ihren Eltern zu sagen, dass ihr Onkel sie an Stellen berührt, wo sie es nicht will. Niemand weckt die zwölfjährige Thea in der Früh oder fragt nach, wie sie mit den Lehrpersonen zurechtkommt: Mit solchen und ähnlichen Situationen sind die Mitarbeiterinnen der Kinder- und Jugendanwaltschaft konfrontiert. Neben Kinder- und Jugendanwältin Paula Maria Ladstätter haben 2016 in der Kija eine juristische Mitarbeiterin (Sarah Siller bis März und Anna Graber ab Mai) und Patrizia Viale als Verwaltungskraft die Anfragen bearbeitet. Den Löwenanteil der Beratungen haben die Mitarbeiterinnen telefonisch abgewickelt (793), 125 Gespräche haben sie „Face to Face“ geführt, 29 Beratungen per E-Mail, elf über WhatsApp und sieben mittels Facebook.
Paula Maria Ladstätter erklärt: „Die Fälle sind meist komplex und umfangreich.“ Die Bearbeitung gestalte sich aufwändig und ziehe sich oft über mehrere Jahre.“ Von den 551 im Jahr 2016 bearbeiteten Akten wurden 215 neu eröffnet, die anderen stammen aus den Jahren zuvor. Um die Fälle einer zufriedenstellenden Lösung zuzuführen, brauche es Einzel- und Mediationsgespräche und Treffen mit den zuständigen NetzwerkpartnerInnen, erklärt die Kinder- und Jugendanwältin. So seien bei den von der Kija einberufenen Treffen durchschnittlich sechs bis zehn VertreterInnen von Behörden und Diensten anwesend.
Paula Maria Ladstätter macht es an einem Beispiel fest: Eine Mutter aus einem Dorf habe sich bei ihr gemeldet. Sie habe sich von den Lehrpersonen ihrer zehnjährigen Tochter nicht ernstgenommen gefühlt. Ihre Tochter Klara (Name geändert) hat eine Lese-Rechtschreibschwäche, die die Lehrpersonen zwar kritisierten, die Mutter aber nicht aufforderten, sie zu diagnostizieren. Da Klara bei schriftlichen Aufgaben immer häufiger überfordert war und die Lehrpersonen keine Maßnahmen ergriffen, wurde das Mädchen von den MitschülerInnen ausgegrenzt, herabgewürdigt und gemieden. Da Klara oft mit Bauchschmerzen aufwachte und nicht mehr zur Schule gehen wollte, wandte sich die Mutter mehrfach, aber umsonst, an die Klassenlehrerin. Auch das Gespräch mit dem Schuldirektor fruchtete nicht. Die Mutter wandte sich an die Kinder- und Jugendanwaltschaft. Paula Maria Ladstätter lud neben den Eltern den Schulamtsleiter, den Schuldirektor, die Klassenlehrerin und Vertreter des Sozialsprengels zum Gespräch. Der Vater des Mädchens, der getrennt von der Familie lebt, strebte einen Schulwechsel für die Tochter an. Nach mehreren einzelnen und gemeinsamen Gesprächen einigten sich die Eltern darauf, Klara in der Schule zu belassen. Die Schulverantwortlichen forderten eine Abklärung der Lese-Rechtschreibschwäche an, erstellten einen individuellen Bildungsplan und thematisierten im Unterricht das Thema Mobbing. Inzwischen ist für die Schülerin der fünften Klasse eine leichte Besserung eingetreten.
Paula Maria Ladstätter hebt hervor, dass sie aufgrund der guten Kontakte und der Kenntnis der Soziallandschaft direkten Zugang zu den zuständigen Stellen hat, aufgrund der Unabhängigkeit der Kija ausgleichend wirken kann und als Beratungsstelle niederschwellig und leicht zugänglich ist. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft ist für Kinder und Jugendliche da, die sich in einer schwierigen Situation befinden, deren Eltern sich trennen oder scheiden, die Probleme in der Schule haben, von Gewalt betroffen sind, gemobbt werden oder aufgrund anderer Schwierigkeiten belastet sind. Die Beratung ist vertraulich, anonym und kostenlos. Wenn Jugendliche keine Möglichkeit haben, zur Kija nach Bozen zu kommen, besuchen sie deren Mitarbeiterinnen in ihren Heimatorten oder Bezirken.
Damit Lösungen zum Kindeswohl erarbeitet und gefunden werden können, sei es unumgänglich, auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren und einen wertschätzenden Umgang zu leben, erklärt Paula Maria Ladstätter. Es gehe darum, die verschiedenen Kompetenzen und Sichtweisen der Anwesenden zu hören, zu respektieren und immer wieder die gegenwärtige schwierige Situation des/der Minderjährigen in den Mittelpunkt zu rücken.