„Erinnere mich an ein großes Licht, dann war nichts mehr“

Vom Zug erfasst – und immer noch lebendig

Sonntag, 17. Dezember 2023 | 11:24 Uhr

Bozen – Spuren seiner Wunden sind noch immer am Körper zu sehen – am Becken, am Oberschenkel und am Rücken. Als Mohammed Rakdani gemeinsam mit seinem 26-jährigen Freund Amine Saidat am 7. November in Bozen die Gleise überquerte, wurden sie vom Zug erfasst. Die beiden wollten zum Kältenotfallzentrum im Ex-Alimarket, um eine Mahlzeit zu erhalten. Während sein Freund zwei Tage nach dem Zusammenstoß verstorben ist, hat es Mohammed nach vier Operationen geschafft.

Tränen rinnen dem 35-Jährigen über das Gesicht, wenn er an seinen Freund denkt. Es sei das erste Mal gewesen, dass sie dort die Gleise überquert hätten. Das gleißende Licht, das Heulen des Zuges, der gewaltsame Aufprall – all das verfolgt ihn in seinem Albträumen. „Ich finde noch immer keinen Frieden. Wie haben andere gesehen, wie sie die Gleise überqueren und haben nicht an die Gefahr gedacht“, erzählt Radkani. Dies war das letzte Mal, dass er Amine lebend gesehen hat.

Mohammed Rakdani ist zu Fuß von Marokko nach Bozen gekommen. Seine Kinder Jouseph und Wafaa im Alter von zehn und vier Jahren hat er seit neun Monaten nicht gesehen. Sie leben mit ihrer Mutter in einem Dorf in der Nähe von Casablanca.

Über die Türkei, Bulgarien und Serbien gelangte der 35-Jährige schließlich nach Mailand. Dort lernte er Amine kennen. Er war es, der ihm vorgeschlagen hatte, nach Bozen zu gehen. Für Mohammed war sein Freund wie ein Ankerpunkt. Gemeinsam haben sie über einen Monat unter der Palermo-Brücke in Bozen übernachtet.

„Wie auf einen Schlag war er plötzlich weg“, erklärt der 35-Jährige laut einem Bericht der italienischen Tageszeitung Alto Adige. Immer wieder kehren seine Gedanken an jenen Abend zurück. Ursprünglich war er nach Italien gekommen, um hier Arbeit zu finden und Geld seiner Familie nach Hause zu schicken. Nun fühlt er sich wie eine Last. Noch immer tut er sich beim Gehen schwer und er benötigt Krücken.

Krankenpfleger Soufien Khalfaoui, der seit Jahren in der Bonvicini-Klinik arbeitet und bei der Übersetzung half, sagt ihm, er soll sich die Zeit geben, die er für die Genesung braucht – und er soll Italienisch lernen.

Auf einem Handy, das ihm eine Hilfsorganisation geschenkt hat, um mit seiner Familie telefonieren zu können, hat er sich eine Sprach-App heruntergeladen, mit der er fleißig Grammatik übt. Die Ärzte zeigen sich zuversichtlich, dass der 35-Jährige wieder vollständig gesund wird – auch wenn es bis zur Entlassung noch dauern wird.

Anschließend will er seine Unterlagen in Ordnung bringen, um eine Arbeit zu finden und dann nach Marokko wieder zu seiner Frau und seinen Kindern zurückkehren. „In Bozen wurde mir sehr geholfen. Ich bin allen sehr dankbar – den Ärzten, Soufien und allen Personen, die mich gerettet haben. Das werde ich nie vergessen“, so Mohammed Rakdani.

Von: mk

Bezirk: Bozen