Tarfusser vermutet Justizirrtum beim Blutbad von Erba

Vorgesetzte übergangen? – Disziplinarverfahren für Cuno Tarfusser

Dienstag, 18. Juli 2023 | 13:24 Uhr

Bozen/Rom/Mailand – Der vierfache Mord hat bereits im Jahr 2006 italienweit für Entsetzen gesorgt. Drei Frauen und ein Kleinkind wurden in einem Appartement in Erba, einer Ortschaft in der Provinz Como, mit Messerstichen und den Schlägen einer Eisenstange getötet. Ein Ehepaar aus der Nachbarschaft wurde in allen drei Instanzen für schuldig befunden. Cuno Tarfusser, der stellvertretende Generalstaatsanwalt von Mailand, schließt allerdings einen verheerenden Justizirrtum nicht aus. Genau in diesem Zusammenhang wurde nach einem Meldung der leitenden Generalstaatsanwältin von Mailand nun ein Disziplinarverfahren über den Südtiroler Juristen verhängt

Wie der Corriere della Sera berichtet, hat die Generalstaatsanwaltschaft am Kassationsgericht das Disziplinarverfahren nicht deshalb in die Wege geleitet, weil Tarfussers Verdacht im Fall des “Blutbads von Erba” nicht fundiert ist. Vielmehr wird ihm die Art vorgeworfen, wie er seinen Verdacht vorgebracht hat.

Wie seine Vorgesetzte Francesca Nanni beanstandet, habe er die Prinzipien der „Korrektheit, Verschwiegenheit und Ausgewogenheit“ verletzt, als er am 31. März auf eigene Initiative hin eine Revision der lebenslänglichen Haftstrafe verlangte.

Zu den Opfern der grausamen Bluttat zählen Raffaela Castagna, die Mutter des Buben im Alter von zwei Jahren und drei Monaten, Youssef Marzouk, seine Großmutter Paola Galli sowie Valeria Cherubini, eine Nachbarin, die aufgrund der Schreie zum Tatort eilte. Ihr Ehemann Mario Frigerio, dem die Täter eine Stichverletzung am Hals zugefügt hatten, überlebte dank einer Fehlbildung der Halsschlagader.

In einem ersten Moment konzentrierten sich die Ermittlungen auf Azouz Marzouk. Der gebürtige Tunesier war der Ehemann von Raffaella Castagna und der Vater des kleinen Youssef. Damaligen Medienberichten zufolge hatte der Mann aufgrund von Drogendelikten Vorstrafen und befand sich wegen eines Strafnachlasses auf freiem Fuß, den das Parlament kurz zuvor beschlossen hatte. Zum Tatzeitpunkt hat er allerdings seine Eltern in seiner Heimat besucht.

Doch schon bald gerieten Olindo Romano und Rosa Bazzi ins Fadenkreuz der Ermittler. Das Ehepaar wurde am 11. Dezember 2006 zu lebenslanger Haft verurteilt – zu Unrecht, wie Tarfusser glaubt. Der Urteilsspruch des Kassationsgerichts erfolgte am 4. Mai 2011.

Tarfusser wird nun vorgeworfen, bei seiner Vorgangsweise seine Vorgesetzten übergangen zu haben. Es obliege dem Generalanwalt und dem Generalstaatsanwalt die Revision eines Falles zu beantragen, sollten neue Beweise für die Unschuld auftauchen, heißt es.

Vielmehr sei Tarfusser über Monate hinweg ohne Beauftragung seiner Vorgesetzten in Kontakt mit den Verteidigern Fabio Schembri und Paolo Sevesi gestanden und habe von ihnen unter anderem wissenschaftliche Gutachten zu neuen Beweisen erhalten, die die Unschuld des verurteilten Ehepaares untermauern sollen.

Erst dann habe sich Tarfusser schriftlich mit den Unterlagen an Nanni gewandt und bei ihr die Revision des Urteils beim Oberlandesgericht von Brescia beantragt. Bislang sind die Akten noch nicht nach Brescia weiter geleitet worden.

Tarfusser wurde in Rom zur Angelegenheit vom stellvertretenden Generalstaatsanwalt des Kassationsgerichts, Simone Perelli, befragt. Dabei beteuerte Tarfusser, dass seine Unbefangenheit auch dann gegeben sei, wenn er bestimmte Umstände in Betracht ziehe, die für die Unschuld der Verurteilten sprechen.

Von: mk

Bezirk: Bozen