Von: mk
Toblach – Dass ein polnisch-ukrainisches Touristenpaar einen Wolf in der Nähe des Toblacher Sees mit dem Handy gefilmt hat, bringt die Experten auf Landesebene nicht aus der Fassung. Trotzdem nimmt man die Sichtung nicht auf die leichte Schulter, zumal es Anzeichen dafür gibt, dass das Tier mit menschlicher Zivilisation bereits in Kontakt gekommen ist.
Im Video sieht man, wie der Wolf gemütlich die Straße entlang trottet, um dann aus dem Blickfeld zu verschwinden. Laut dem Direktor der Landesabteilung Forstdienst, Günther Unterthiner legt der Wolf damit weitgehend ein normales Verhalten an den Tag. „Das Tier zeigt keine Anzeichen von Krankheit“, erklärt Unterthiner gegenüber Südtirol News. Allerdings: Seine grundsätzliche Neugierde und die Flucht, die nicht sofort erfolgt, seien ein Zeichen dafür, dass der Wolf das Auto nicht als Gefahr erkannt habe. „Das deutet darauf hin, dass der Wolf offensichtlich bereits eine bestimmte Gewöhnung an Fahrzeuge zeigt“, betont Unterthiner.
So ein Verhalten wird laut EU-Vorgaben nicht als problematisch oder sicherheitsrelevant eingestuft. „Wir beobachten diese Vorfälle aber, dokumentieren und bleiben wachsam. Damit es zu keiner weiteren Gewöhnung an den Menschen – im Fachjargon ‚Konditionierung‘ – kommt, wird derzeit eine etwaige Vergrämungsmöglichkeit mittels akustischer Signale oder Gummigeschosse geprüft“, sagt Unterthiner.
70 bis 80 Wölfe in Südtirol
Um die Anzahl der Wölfe in Südtirol zu bestimmen, setzt das Land auf ein komplexes Monitoringsystem, das neben Zufallssichtungen und Meldungen von Bürgern die konsequente Suche nach Wolfsspuren umfasst – vor allem in den Wintermonaten. Ziel ist es, möglichst viele Individuen genetisch zu erfassen. Derzeit wird von einem Mindestbestand von 70 bis 80 Wölfen in Südtirol ausgegangen. Allein im Mai kam es zu sechs Sichtungen: Während zwei Mal wurde Risse von Nutztieren in der Gegend von Brixen gemeldet wurden, sind in Olang vier Schafe gerissen worden.
In der Gegend rund um den Toblacher See sind viele Wanderer und Spaziergänger unterwegs, es gibt Fahrradwege und auch Schulkassen fahren dort zum Maiausflug hin. Trotzdem gibt es laut Unterthiner keine Informationen über eine direkte Begegnung von Mensch und Wolf in diesem Gebiet.
„Normalerweise erkennt der Wolf den Menschen sofort als Gefahr und flüchtet. Nicht jeder Wolf ist für den Menschen gefährlich. Allerdings handelt es sich immer um ein Raubtier, ein gewisser Respekt ist notwendig“, warnt der Abteilungsdirekter. Zu nahes Herantreten könnten Wildtiere im Allgemeinen auch als Bedrohung interpretieren, worauf sie eventuell mit Abwehr oder Angriff reagieren. Außerdem ist es möglich, dass der Wolf eine krankheitsbedingte Störung aufweist und seine natürliche Scheu verliert, was nicht immer sofort zu erkennen ist. Weitere Tipps, wie man sich richtig verhält, gibt es hier.
Begegnet man einem Wolf zu Fuß, sollte man grundsätzlich stehen bleiben, nicht weglaufen, sich bemerkbar machen, sprechen. „Das wird in aller Regel ausreichen, der Wolf wird sofort flüchten oder zumindest die Situation aus sicherer Ferne beobachten und sich spätestens dann vom Ort entfernen“, so Unterthiner.
Forderung nach Regulierung
In der Natur übernimmt der Wolf die Aufgabe einer Art Gesundheitspolizei. Als Raubtier ist er an der Spitze der Nahrungskette und ernährt sich im Unterschied zu Fuchs und Goldschakal allen voran von Fleisch. Dabei reißt er in erster Linie kranke, alte Stücke oder schwache Jungtiere – allen voran von Rot-, aber auch von Rehwild, was den Bestand grundsätzlich stärkt.
Das Dumme daran ist nur: Die traditionelle Landwirtschaft in Südtirol bietet dem Wolf mit ihrer Haltung von in der Regel kleinen Nutztieren ein gefundenes Fressen. Wie andere Tiere geht auch der Wolf den Weg des geringsten Widerstands. „Da gilt schlichtweg das Aufwand-Nutzen-Prinzip. Leider sind Nutztiere leichte Beute und erfordern wenig Aufwand für den Wolf“, betont Unterthier. In den letzten Jahren sind die an das Amt gemeldeten und vergüteten Schäden zwar zurückgegangen. Trotzdem: Von 600 Nutztierrissen im Jahr 2022, für die eine Entschädigungssumme von insgesamt 140.000 Euro bezahlt wurde, sind 2024 immer noch insgesamt 200 Risse (ca. 49.000 Euro) übrig.
„Neben einem angemessenen Schutz der Nutztiere braucht es langfristig auch die Möglichkeit den Bestand der Wölfe zu regulieren, um die negativen Auswirkungen im Rahmen zu halten. Die Möglichkeit, Schäden zu vergüten, wird es aber auch weiterhin brauchen“, ist Unterthiner überzeugt.
Zuletzt hat auch das EU-Parlament im Eilverfahren für eine Absenkung des Schutzstatus vom Wolf von „streng geschützt“ auf „geschützt“ gestimmt. „Das ist auf jeden Fall ein auch von uns sehnlichst erwarteter und sehr wichtiger erster Schritt“, betont Unterthiner. Nun sei der italienische Staat gefordert, den Schutzstatus auf Staatsebene herabzustufen. Im Staatgesetz Nr. 157/1992 scheint der Wolf immer noch als besonders geschützte Art auf. Sobald sich dies ändert, kann auch Südtirol aktiv werden und juridischen Anpassungen vornehmen. „Die Vorbereitungen sind jedenfalls bereits in Gange“, erklärt Unterthiner.
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