Unrechtmäßige Übertragung des Sorgerechts? – VIDEO

Abscheulich: „Kinder mit Zeichentrickfilm über Nazilager manipuliert“

Freitag, 28. Oktober 2022 | 08:11 Uhr

Von: ka

Turin – Die Staatsanwaltschaft von Turin hat die Untersuchung zu einem Fall abgeschlossen, bei dem es mutmaßlich um eine unrechtmäßige Sorgerechtsübertragung geht. Wie die Staatsanwaltschaft berichtet, weisen die im Raum stehenden Anschuldigungen „beunruhigende Ähnlichkeiten“ mit dem Fall von Bibbiano auf.

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Beim Fall von Bibbiano – eine Gemeinde bei Reggio Emilia – handelt es sich um einen Skandal, in dem neben Sozialdiensten, Ärzten, Psychologen, Psychotherapeuten auch ein Bürgermeister verwickelt ist. Insgesamt wurden in Folge der Ermittlungen der Carabinieri von Reggio Emilia und der Staatsanwaltschaft 18 Personen festgenommen. Alle Verhafteten werden beschuldigt, Berichte gefälscht und sogar Gehirnwäsche und Elektroschocks angewendet zu haben, um die Erinnerungen und Aussagen der Kinder zu verändern.

Ziel und Zweck dieser hinterhältigen und brutalen Praxis war es, die Kinder ihren natürlichen Eltern zu entreißen und sie gegen Geld „befreundeten“ Pflegeeltern „anzuvertrauen“. In zwei Fällen wurden die Kinder in den neuen Pflegefamilien sogar sexuell missbraucht. Derzeit wird den Beschuldigten der Prozess gemacht. Im Fall von Turin entschied die zuständige Staatsanwaltschaft, dass sich wegen ihres Verhaltens 14 Personen vor Gericht verantworten müssen. Zu ihnen gehört eine Psychotherapeutin, die auch im Fall von Bibbiano verwickelt ist.

APA/APA (dpa)/Nicolas Armer – Symbolbild

Konkret prüft die Staatsanwaltschaft von Turin die mutmaßlich unerlaubte Sorgerechtsübertragung zweier Geschwister nigerianischer Herkunft – eines Jungen und eines Mädchens – durch ein Turiner Ehepaar. Laut der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera werden einer Beamtin der Ordnungskräfte und einer Angestellten ein „manipulatives und beeinflussendes Verhalten“ vorgeworfen. Vor der Anhörung eines der beiden Geschwister vor dem Richter, der über das weitere Vorgehen im Sorgerechtsverfahren zu entscheiden hatte, sollen die beiden Frauen – eine 55-Jährige und eine 54-Jährige – den beiden Kindern einen Zeichentrickfilm über die Geschichte zweier Schwestern, die in einem Konzentrationslager der Nazis gefangen gehalten wurden, gezeigt haben.

„Um zu verhindern, dass ‚der Mann im weißen Kittel‘ ihnen etwas antut, wurde in einer Szene des Zeichentrickfilms den beiden Geschwistern geraten, nicht zu sagen, dass sie ihre Mutter wiedersehen möchten“, schreibt die ermittelnde Staatsanwaltschaft von Turin. Später sollen der Bub und das Mädchen Opfer von psychischem Missbrauch und nicht angemessener Strafen geworden sein. Ziel und Zweck dieses kriminellen Handelns soll es gewesen sein, die beiden Geschwister dauerhaft ihrer leiblichen Familie zu entreißen. Die Folgen dieses manipulativen Verhaltens sollen erschreckend sein. „Ich fühle mich weiß“, sagte die Schwester bei einer der Anhörungen.

Vor einem Jahr wurde die Übertragung des Sorgerechts für den Buben und das Mädchen an das Turiner Pflegepaar aufgehoben. Damit sich die beiden Geschwister wieder langsam an ihre leibliche Mutter gewöhnen können, wurde ein entsprechendes behutsames Verfahren in die Wege geleitet. Während der Bruder aufgrund einer kognitiven Störung in einem Therapiezentrum untergebracht wurde, fand seine Schwester einen Platz in einer Wohngemeinschaft.

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Im Raum steht auch der Verdacht des Betrugs zum Schaden der leiblichen Eltern und der Stadtgemeinde Turin. Die Gemeinde hatte den Pflegeeltern von 2013 bis zum April des Jahres 2021 als Unterstützung insgesamt nicht weniger als 115.000 Euro überwiesen. Wohin genau das Geld floss, ist derzeit noch Gegenstand von Untersuchungen. Die beiden Frauen sowie zwölf weitere Beschuldigte werden sich vor Gericht wegen verschiedener Straftaten wie Urkundenfälschung, Amtsmissbrauch, Verfahrensbetrug und illegaler Zugriff auf ein Computersystem verantworten müssen. Zu diesen könnten sich wie im Fall von Bibbiano weitere Anschuldigungen wie schwere Körperverletzung, Nötigung, Erpressung sowie Veruntreuung im Amt gesellen.

Zu den 14 Angeklagten gehört auch die Psychotherapeutin Nadia Bolognini, die im Fall von Bibbiano verwickelt ist. Die Psychotherapeutin, die der Falschbeurkundung beschuldigt wird, wird verdächtigt, die Angaben des Buben mit kognitiven Schwierigkeiten so manipuliert zu haben, damit der Eindruck entsteht, es sei zu einem sexuellen Missbrauch im Form eines magischen Rituals durch den Vater mit der Mutter als passiver Zeugin gekommen. Auch gegen die Pflegeeltern, die acht Jahre lang das Sorgerecht der beiden Geschwister innehatten, wird wegen Missbrauchs ermittelt. „Wir taten nur, was das Beste für sie war“, verteidigten sie sich gegenüber den Ermittlern.

Nadia Bolognini, die wegen der Vorkommnisse in Bibbiano derzeit auf der Anklagebank sitzt, wird sich daher gleich wie die anderen 13 Beschuldigten wegen ähnlicher Vergehen auch in Turin vor Gericht verantworten müssen. Nach dem Fall von Bibbiano wurde eigentlich viel unternommen, um einen erneuten Missbrauch von Sorgerechtsübertragungen zu verhindern, aber der Fall von Turin zeigt, dass es weiterhin notwendig ist, genau hinzuschauen. Die Psychotherapeutin stellt sogar eine Verbindung zwischen beiden Fällen dar.

Gleich wie der Fall von Bibbiano löste auch das Bekanntwerden des mutmaßlichen Missbrauchs des Sorgerechts in Turin in der italienischen Öffentlichkeit Abscheu und Entsetzen aus. Viele Italiener fordern eine harte Bestrafung der Verantwortlichen. Niemand – so die traurige Erkenntnis – kann aber den Betroffenen je ihre Kindheit und den betroffenen Müttern und Vätern ihr Elternglück zurückgeben.