Gesundheitsfürsorge in Brescia kurz vor dem Kollaps – VIDEO

Am Ende der Kräfte: “Wir wägen ab, wer überleben kann”

Donnerstag, 19. März 2020 | 07:05 Uhr

Brescia – Neben der Provinz von Bergamo gehört jene von Brescia zu den von der Coronavirusepidemie am stärksten betroffenen Provinzen. In den letzten 24 Stunden wurden allein in Brescia und seiner Umgebung 484 Neuansteckungen verzeichnet. Während aufgrund der grassierenden Epidemie die Ärzte und Pflegekräfte sich am Ende ihrer Kräfte befinden, stehen die Krankenhäuser der Provinz Brescia kurz vor dem Kollaps.

„Als wir die Bilder aus China sahen, bereiteten wir uns psychologisch vor, aber es war unvorstellbar, sich eine Verwüstung dieser Art vorzustellen“, so der Sanitätsdirektor des Krankenhauses der Kleinstadt Chiari bei Brescia, Jean Pierre Ramponi. Nachdem am vergangenen 23. Februar der erste Covid-19-Fall festgestellt worden war, stieg die Anzahl der Neuansteckungen bald stark an. „Von 450 zur Verfügung stehenden Krankenbetten sind 220 von Covid-19-Patienten besetzt. Alle Kollegen geben ihr Bestes, aber die psychologische Last zu tragen und diese Lawine von schlechten Nachrichten auszuhalten, ist nicht leicht“, erklärt Jean Pierre Ramponi.

Zu allem Übel kommt hinzu, dass sich zwischen Ärzten und Krankenpflegern allein im Krankenhaus von Chiari inzwischen 80 Krankenhausangestellte mit dem Coronavirus angesteckt haben. Leider passt dieser Umstand zur traurigen Lage im Rest des Landes. In ganz Italien sind bisher 2.629 positiv getestete Krankenhausangestellte – in der übergroßen Mehrzahl handelt es sich dabei um Ärzte und Pflegekräfte – bekannt, was rund 8,3 Prozent aller bisherigen Fälle entspricht. Da diese wertvollen Arbeitskräfte nun in der Not oft fehlen, trifft dies die bereits vollkommen überlasteten Krankenhäuser gleich doppelt.

Während sich das Krankenhaus von Chiari am absoluten Limit befindet, ist die Lage in der Provinzhauptstadt Brescia nicht besser. Die Anzahl der Neuansteckungen, der schwerkranken Coronaviruspatienten und der Todesopfer steigt weiter. Um für die Covid-19-Patienten Platz zu schaffen, mussten ganze Abteilungen geschlossen und umorganisiert werden. Dank dieser Maßnahmen gelang es, beispielsweise in der Klinik „Poliambulanza“ von Brescia insgesamt 50 Intensivbetten verfügbar zu machen und 300 Coronaviruskranke stationär aufzunehmen. Aufgrund der steigenden Zahlen fehlt es aber weiterhin an allen Ecken und Enden. Der Direktor der Abteilung für Notfallmedizin, Paolo Terragnoli, gibt fast unter Tränen stehend zu, dass mittlerweile abgewogen werden muss, wer bessere Überlebenschancen besitzt.

ANSA/FILIPPO VENEZIA

„Man muss zwischen der Erfolgschance und dem eigentlichen Zustand des Patienten eine Bilanz ziehen. Man versucht allen das Beste zu geben, lässt aber dabei demjenigen, der bessere Chancen hat, etwas mehr Hilfe zukommen“, schildert Paolo Terragnoli. „Es gibt Personen, die bereits in einer gravierenden Verfassung zu uns kommen. Sie können kaum mehr atmen und haben nur mehr wenig Sauerstoff im Blut, sodass wir sie sofort auf die Intensivstation verlegen müssen“, so der Primar der Intensivstation, Giuseppe Natalini. Der Chefarzt der Inneren Medizin, Tony Sabatini, räumt mit dem Irrglauben auf, dass die Coranavirusepidemie nur die alten und gebrechlichen Leute trifft. „Die älteren Mitbürger erkranken schwerer, aber es erkranken auch junge Leute und Menschen im mittleren Alter“, meint Tony Sabatini.

Die Verantwortlichen der Gesundheitsfürsorge in der Lombardei bekommen derzeit kaum gute Nachrichten. Die einzigen Lichtblicke sind, dass Stiftungen und Unternehmen, aber auch viele einfache Bürger den Krankenhäusern Geld und Gerätschaften spenden, und dass es der lombardischen Gesundheitsfürsorge unter größten Anstrengungen – noch – gelingt, über „Feldintensivstationen“ und Umwidmungen ganzer Abteilungen genug neue Intensivbetten zur Verfügung zu stellen. Aber ein Ende des Albtraums ist nicht in Sicht.

 

Von: ka