Italienisches Kartellamt ermittelt gegen TikTok – VIDEO

„Die ‚Französische Narbe-Challenge‘ ist Selbstverletzung“

Mittwoch, 22. März 2023 | 06:58 Uhr

Rom – Aufgrund einer gefährlichen Challenge, die über TikTok verbreitet wird und dort als „Französische Narbe“ bekannt ist, leitete das italienische Kartellamt gegen diese Videoplattform ein Ermittlungsverfahren ein.

Bei der Challenge geht es darum, dass Jugendliche sich selbst oder gegenseitig im Gesicht zwicken und dadurch kleine Wunden verursachen. Die entsprechenden Videos werden später auf TikTok gepostet und untereinander geteilt. Die italienischen Wettbewerbsbehörden werfen TikTok vor, die über die Plattform verbreiteten gefährlichen Inhalte, wie in diesem Fall Videos, die Selbstverletzungen zeigen, nicht genügend zu überwachen und nicht zeitnah genug zu entfernen.

YouTube/TikTok

Erste Warnzeichen, dass auf TikTok eine Challenge grassiert, die Kinder, Jugendliche und junge Leute zur Selbstverletzung animiert, wurden in Italien Anfang Februar bekannt. Nachdem sie von Lehrern auf im Netz verbreitete Videos aufmerksam gemacht worden waren, wandten sich die Schulleiter zweier Mittelschulen in Bologna in einem Schreiben an die Schülereltern, um sie vor der sogenannten „Französische Narbe-Challenge“ zu warnen.

Bei der „Französischen Narbe“ handelt es sich um eine der dümmsten Challenges, die je in den sozialen Netzwerken auftauchten. Bei der Challenge geht es darum, dass die Kinder und Jugendlichen sich selbst oder gegenseitig mit den Fingern oder Fingernägeln im Gesicht dermaßen stark zwicken, bis ein roter Bluterguss entsteht, der mehrere Tage lang sichtbar bleibt. Die Videos der Gesichter, die gut sichtbar die zumeist auf der Wange verursachte Zwickwunde zeigen, werden später auf TikTok gepostet und untereinander geteilt. Diese Challenge wurde „Französischen Narbe“ getauft, weil sie von Frankreich kommend, auf andere Länder übergriff.

Die Challenge findet besonders unter Mittel- und Oberschülern weite Verbreitung. „Es ist eine Challenge auf TikTok. Es gibt auch ein Video-Tutorial, das zeigt, wie man es macht“, so eine Schülerin aus Bologna, die von ihrem Lehrer auf die TikTok-Videos angesprochen wurde.

Von Lehrern und Schuldirektoren über die über diese Plattform verbreiteten Videos informiert, schritt die italienische Kartellbehörde ein. In der Folge leiteten die Wettbewerbsbehörden gegen TikTok ein Ermittlungsverfahren ein. Die italienische Kartellbehörde wirft TikTok vor, gefährliche Inhalte, die über die Videoplattform geteilt werden, nicht genügend zu überwachen. Die Vorwürfe betreffen insbesondere Videos, die wie die „Französische Narbe-Challenge“ Minderjährige zu selbstverletzendem Verhalten animieren. Der Behörde zufolge versäume es das Unternehmen TikTok, seine eigenen Leitlinien anzuwenden und Videoinhalte, die falsche Ernährung, sowie selbstverletzendes und selbstzerstörerisches Verhalten bis hin zum Selbstmord zeigen, zeitnah zu entfernen.

YouTube/TikTok

Das ist aber noch nicht alles. Laut dem Text des Ermittlungsverfahrens beschloss die Kartellbehörde zudem, gegen TikTok auch wegen der Verwendung von Techniken der künstlichen Intelligenz vorzugehen. Der Wettbewerbsbehörde zufolge nutze TikTok künstliche Intelligenz, um die Inhalte für die Nutzer attraktiver zu gestalten. „Die Behörde beanstandet die Verwendung von Techniken der künstlichen Intelligenz, die dazu führen können, eine unangemessene Beeinflussung der Nutzer zu bewirken. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Algorithmus, der dem Betrieb der Plattform zugrunde liegt und der anhand der Daten der Nutzer die Schaltung von Werbung anpasst und ähnliche Inhalte wie die bereits dargestellten vorschlägt“, so die italienische Kartellbehörde.

Dass der Bluterguss nach einigen Tagen von selbst verschwindet, ist nicht immer der Fall. „Durch das Reißen der Kapillaren könnte dauerhaft ein Makel in Form eines rot-violetten Flecks zurückbleiben“, so der Leiter der Dermatologie an der Universitätsklinik von Verona, Giampiero Girolomoni. Es besteht bei zu starkem Druck auf die Haut durchaus auch die Gefahr, dass ein Spinnennävus entsteht. Es handelt sich dabei um einen Fleck, der aus kleinen, von Blutgefäßen umgebenen roten Punkten besteht. Um den Spinnennävus zu beseitigen, könnte eine Laseroperation notwendig sein.

YouTube/TikTok

Der Pädagoge Daniele Novara findet zu solchen Challenges klare Worte. „Wir befinden uns im Bereich der jugendlichen Übertretungen, die auf erzieherischer Ebene gelöst werden müssen. Um sich von elterlicher und schulischer Kontrolle zu befreien, legen die Teenager die Messlatte der Provokation immer höher. Wichtig aber ist, daraus kein neuropsychiatrisches Phänomen entstehen zu lassen. Es handelt sich um Geschehnisse, die mit den Exzessen in den sozialen Netzwerken zusammenhängen. Man sollte zudem die jugendliche Nutzung von Smartphones einschränken“, meint Daniele Novara.

Wichtig wäre aber insbesondere auch, dass die Kartellbehörde TikTok, das offenbar aus Geschäftsinteressen gefährliche Inhalte auf seiner Videoplattform duldet, in die Schranken weist.

Von: ka