Angehörige lehnen Entschädigung ab – VIDEO

Grausiges Verbrechen: Den Falschen in Säure aufgelöst

Dienstag, 18. April 2023 | 07:18 Uhr

Neapel – Ein Mordprozess, bei dem es um ein vor 23 Jahren begangenes, grausiges Verbrechen geht, erschüttert Neapel.

Aufgrund einer fatalen Verwechslung haben im Jahr 2000 Killer der Camorra nicht ihre eigentliche Zielperson, sondern einen vollkommen unbescholtenen Arbeiter, den damals 26-jährigen Giulio Giaccio, ermordet und in Säure aufgelöst. Nach jahrelangen Ermittlungen und Versuchen des Organisierten Verbrechens, den Mord zu vertuschen, stehen nun zwei Männer, die mutmaßlich zum Killerkommando gehört haben, vor Gericht. Deren Angebot, als Entschädigung eine höhere Geldsumme und Immobilien zu zahlen, lehnt die Opferfamilie ab. Den Angehörigen von Giulio Giaccio ist Gerechtigkeit wichtiger als das Geld.

ANSA/Giulio Giaccio

Es war der 30. Juli des Jahres 2000 als sich ein Killerkommando der Camorra auf den Weg nach Pianura – ein Viertel im Westteil der süditalienischen Metropole – machte, um für den im Gefängnis sitzenden Camorra-Boss des Polverino-Clans einen Mordauftrag auszuführen. Der Mann, der gesucht wurde – er hieß angeblich „Salvatore“ – war vom Clan zum Tode verurteilt worden, weil er die Schwester eines Clanmitglieds, Salvatore Cammarota, belästigt hatte.

Jener Mann, der die Killer zu „Salvatore“ führen sollte, beging aber einen fatalen Fehler. Anstatt zur gesuchten Zielperson brachte der Mann die Killer zu einem unbescholtenen Arbeiter, dem 26-jährigen Giulio Giaccio, der „Salvatore“ ähnlich sah. Nach einem Treffen mit einem Freund wollte Giulio gerade wieder mit seinem Motorrad losfahren, als er von vier Männern aufgehalten wurde. Die vier Killer, die sich als Polizisten ausgaben, fragten ihn, ob er „Salvatore“ sei. Er erwiderte, dass eine Verwechslung vorliege und er Giulio heiße. Die vier Killer glaubten ihm jedoch nicht. Mit dem Vorwand, ihn zur Quästur zu bringen, zwangen sie ihn, ins Auto zu steigen. Im Glauben, dass die vier Männer Polizisten seien und sich das Missverständnis bald aufklären ließe, leistete der 26-Jährige keinen Widerstand.

Seit diesem Sommerabend der Jahrtausendwende fehlte von Giulio Giaccio jede Spur. Da es sich bei Giulio Giaccio um einen vollkommen unbescholtenen einfachen Arbeiter handelte, der keinerlei Verbindungen zum Organisierten Verbrechen aufwies, konnten sich die Ermittler das spurlose Verschwinden des jungen Mannes nicht erklären. Auch alle verzweifelten Appelle der Familie, die alle möglichen Mitwisser darum baten, endlich zu reden, fruchteten jahrelang nichts. Mit der Zeit fiel der Fall in Vergessenheit.

Erst die Aussagen eines Abtrünnigen der Camorra, der sich dazu bereiterklärte, mit der Justiz zusammenzuarbeiten, Biagio Di Lanno, führte 15 Jahre später, im Jahr 2015, zur Lösung des bereits vergessenen Cold Case. „Giulio wurde im Auto mit einem Kopfschuss getötet. Danach wurde er in die Gegend von Quarto gebracht, wo er in Säure aufgelöst wurde“, sagte Biagio Di Lanno aus.

Dann fügte das reuige ehemalige Mitglied der Camorra ein noch schockierenderes und grausigeres Detail hinzu. „Da die Säure die Zähne der Leiche nicht aufgelöst hatte, wurden diese mit einem Hammer zerschmettert“, erläuterte Biagio Di Lanno eine Praxis der Camorra, von manchen getöteten Opfern nichts übrigzulassen. Biagio Di Lanno und andere reuige Camorristi fügten hinzu, dass der Mord befohlen worden war, um die Belästigung der Schwester von Salvatore Cammarota – eines Mitglieds des Polverino-Clans – hart zu bestrafen, Giulio aber Opfer einer fatalen Verwechslung geworden war.

Die Aussagen von Biagio Di Lanno und anderer Abtrünniger der Camorra führten später zur Verhaftung von zwei Männern, die vor 23 Jahren zur vierköpfigen Killerbande gehört hatten. Die Verhafteten – Carlo Nappi und Salvatore Cammarota – sagten aus, dass Giulio Giaccio von einem Mann erschossen worden war, der sich noch immer in Freiheit befindet.

Diese Aussage nützte ihnen aber wenig. Die beiden Camorristi müssen sich nun wegen Mordes vor Gericht verantworten. Am Vorabend der Vorverhandlung, die am Dienstag vor der Staatsanwältin Valentina Giovanniello beginnt, boten die beiden Angeklagten der Mutter und den Geschwistern von Giulio insgesamt 60.000 Euro in bar und Immobilien im Wert von 120.000 Euro als Entschädigung an. Vermutlich hofften Carlo Nappi und Salvatore Cammarota dadurch, eine mildere Strafe als lebenslange Haft zu erhalten und durch einen wahrscheinlich folgenden Antrag auf ein verkürztes Verfahren ihre Haftstrafen weiter zu verkürzen.

ANSA/Giulio Giaccio

Die Angehörigen von Giulio lehnten jedoch ab. „Als Anwalt von Rosa Palmieri, Rachele und Domenico Giaccio gebe ich zu Protokoll, dass die von mir vertretenen Familienmitglieder mir ihre Entscheidung mitgeteilt haben, dieses Angebot nicht anzunehmen. Die Angehörigen von Giulio Giaccio vertrauen ausschließlich auf die Entscheidungen der Justiz“, so der Anwalt der Hinterbliebenen des Opfers, Alessandro Motta.

„Es gibt keinen Preis für das Leben von Giulio. Nach 23 Jahren ist das Einzige, woran die Familie glaubt, die Gerechtigkeit, in die sie ihr volles Vertrauen setzt“, fügt Alessandro Motta hinzu. Die Entscheidung der Familie von Giulio wird in ganz Italien gelobt. Giulio war ein unbescholtener Arbeiter, dessen einziges Pech es war, einem von der Camorra zum Tode verurteilten Mann zu ähneln. Giulios Mörder sollen die Höchststrafe erhalten.

Von: ka