Gimbe: „Unentschuldbare Drosselung der Tests“

Herbe Kritik: „Weniger Ansteckungen, weil weniger getestet wird“

Freitag, 11. Dezember 2020 | 08:14 Uhr

Bologna – Trotz der sinkenden Corona-Zahlen warnt die angesehene medizinische Forschungsstiftung „Gimbe“ vor verfrühtem Optimismus.

Twitter/Fondazione GIMBE

Die Experten der Stiftung, die seit ihrem Beginn den italienischen Verlauf der Pandemie genau beobachten, weisen darauf hin, dass die seit einigen Tagen sinkenden Neuansteckungen auch auf die geringere Anzahl der Tests zurückzuführen sind. Die Forschungsstiftung „Gimbe“ spricht von „einer unentschuldbaren Drosselung der getesteten Fälle“ und erklärt, dass verglichen mit der ersten Corona-Welle „die nur Kurve sehr langsam sinken wird“. „Das Land gleicht einem Patienten, der noch ein schweres und instabiles Krankheitsbild aufweist“, so die „Diagnose“ der Experten der Forschungsstiftung.

Facebook/GIMBE

Die medizinische Forschungsstiftung „Gimbe“ gilt in Bezug auf die Corona-Notlage als die vielleicht angesehenste wissenschaftliche Institution Italiens. Ihr Präsident, Nino Cartabellotta, der als Freund deutlicher Worte bekannt ist und sich nicht scheut, sich mächtige Politiker wie den Präsidenten der Region Lombardei vorzuknöpfen, hatte mit fast mathematischer Präzision bereits vor Monaten das Eintreffen der zweiten Corona-Welle vorausgesagt.

Nach der Auswertung der Zahlen der Tage vom 2. bis zum 8. Dezember sah sich Nino Cartabellotta erneut dazu gezwungen, das seiner Ansicht nach allzu optimistische Bild, das viele Politiker und Medien von der italienischen Corona-Lage zeichnen, zurechtzurücken und die eine oder andere Kritik zu üben.

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„Wie die Verringerung des prozentualen Anstiegs der Gesamtfälle – 8,4 Prozent gegenüber 11,4 Prozent auf nationaler Ebene – und der Anzahl der neuen Fälle pro Woche zeigen, bestätigen sich auch in dieser Woche die deutlichen Anzeichen für eine Verlangsamung der Neuinfektionen. Allerdings ist dieser Effekt nicht nur auf die eingeführten Corona-Einschränkungen zurückzuführen“, so Nino Cartabellotta.

Twitter/Nino Cartabellotta

Das, was den Experten der Forschungsstiftung zu denken gibt, ist die Tatsache, dass das Verhältnis zwischen den Positiven und den getesteten Fällen im Wesentlichen stabil bleibt. Vor allem aber weisen die Experten der „Gimbe“ auf die „unentschuldbare Verringerung von 121.000 getesteten Fällen“ hin, was gegenüber der Vorwoche einem Minus von 18,1 Prozent entspricht. Verglichen mit den Wochen im November fällt diese Verringerung der Testintensität sogar noch markanter aus.

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„Aus diesen Zahlen ergeben sich drei Gewissheiten. Erstens, dass die eingeführten Maßnahmen die Ansteckungen verlangsamt haben. Zweitens, dass die Wirkung der Corona-Maßnahmen auf den Anstieg der neuen Fälle durch eine Verringerung der Testaktivität überschätzt und dass bei unveränderten Einschränkungen das Absinken der Kurve sehr langsam und sicher nicht mit jenem der ersten Welle vergleichbar sein wird“, so Nino Cartabellotta. Die Verringerung der derzeit positiven Fälle sei also langsam und falle bescheiden aus. Sie werde durch die signifikante Verringerung der in den letzten Wochen getesteten Abstriche und Fälle überschätzt

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Auch wenn der Druck auf die Krankenhäuser sinkt, sind doch immer noch ein Drittel bis fast die Hälfte der verfügbaren Betten mit Covid-19-Patienten belegt. Laut der Forschungsleiterin für das Gesundheitswesen bei „Gimbe“, Renata Gili, befindet sich die Pandemie in einer heiklen Phase. Zum einen – so Renata Gili – sei es bei rund 700.000 aktiven Fällen unmöglich, die Rückverfolgung der Kontakte wiederaufzunehmen. Zum anderen begünstige der Winter die Ausbreitung aller Atemwegsviren, wobei man noch nicht wisse, ob die Grippewelle wie angenommen geringer ausfallen wird. Bei bereits stark ausgelasteten Krankenhäusern könne dies laut Renata Gili zu ernsten Problemen führen.

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Nino Cartabellotta warnt davor, die weihnachtlichen Lockerungen als Freibrief zu interpretieren. Der Präsident der medizinischen Forschungsstiftung „Gimbe“ ruft die Bürger dazu auf, die geltenden Regeln einzuhalten und das Zusammentreffen von Menschen, die nicht im selben Haushalt leben, auf ein Minimum zu beschränken.

Zudem – so Nino Cartabellotta – dürfe der Beginn der Corona-Impfkampagne nicht als Alibi dazu dienen, die Wachsamkeit herabzusetzen.

„In der Tat kann auch den optimistischsten Prognosen zufolge ein auf Bevölkerungsebene ausreichender Impfschutz erst im Herbst 2021 erreicht werden. Und dies gilt auch nur dann, wenn sich die Leute massiv an der Impfkampagne beteiligen“, so die unmissverständliche Mahnung von Nino Cartabellotta.

Diesen Worten ist nichts hinzuzufügen.

Von: ka