Von: ka
Cassina de’ Pecchi – Die Finanzpolizei von Mailand beschlagnahmte in Cassina de’ Pecchi – einer Gemeinde in der ländlichen Umgebung von Mailand – einen landwirtschaftlichen Betrieb im Wert von 7,5 Millionen Euro, die „straBerry“. Auf den Gütern des Unternehmens stellten die Beamten der Finanzpolizei unglaubliche Arbeitsbedingungen fest. Die rund 100 ursprünglich aus Afrika stammenden Arbeiter waren gezwungen, für nur 4,50 Euro die Stunde den ganzen Tag zu arbeiten. Um jeglichen Widerspruch im Keim zu ersticken, waren die Landarbeiter einem regelrechten „Terrorsystem“ ausgesetzt.
Nachdem sie genug belastendes Material gesammelt hatten, schlugen die im Auftrag der Staatsanwaltschaft von Mailand ermittelnden Beamten der Finanzpolizei zu und konfiszierten einen großen landwirtschaftlichen Betrieb, die „straBerry“. Im Betrieb wurde vonseiten der Finanzbeamten eine „systematische Ausbeutung von Landarbeitern zum Schaden von rund hundert Nicht-EU-Bürgern“ festgestellt. Zwei Verwalter, zwei „Aufpasser“, zwei Verwaltungsangestellte sowie ein Berater, der für den Betrieb die Gehaltsabrechnungen erstellte, wurden wegen Ausbeutung und illegaler Arbeitsvermittlung in das Ermittlungsregister eingetragen.
Das junge Startup-Unternehmen „straBerry“, deren Wert auf 7,5 Millionen Euro geschätzt wurde, galt bis zum Bekanntwerden der Beschlagnahme als Musterbetrieb. Auf der eigenen Netzseite präsentiert sich „straBerry“ als „junges und innovatives Unternehmen“ und als „das größte Waldfrüchte produzierende Unternehmen der Lombardei“. Um diesen Auftritt zu unterstreichen, werden auf der Seite auch errungene Anerkennungen des italienischen Bauernverbandes „vorgezeigt“.
Wie die Ermittlungen der Finanzpolizei zeigen, war die Realität aber ganz anders. „Gegenüber mir und meinen Arbeitskollegen gab es nicht die geringste Achtung. Uns gegenüber benutzten sie Bezeichnungen wie „Neger“ und „Tiere“. Keiner benutzte Gesichtsmasken und es gab auch keine soziale Distanzierung“, so ein junger, ursprünglich aus Sierra Leone stammender Landarbeiter, der den Mut gefunden hatte, Anzeige zu erstatten.
Der junge Mann aus Sierra Leone sowie seine rund Hundert Leidensgenossen mussten für nur 4,50 Euro die Stunde neun Stunden am Tag arbeiten. Jene Landarbeiter, die protestierten oder sich auch nur eines geringsten „Vergehens“ schuldig machten, wurden mit einer nicht bezahlten Arbeitspause bestraft. Der Geschäftsführer und Gründer von „straBerry“ – der 32-jährige, adelige Guglielmo Stagno d’Alcontres, der ebenfalls zu den sieben Beschuldigten gehört, beschrieb in einem Telefonmitschnitt dieses „Terrorsystem“.
„Mit denen musst du nach Stammesart arbeiten, du musst das dominante Männchen sein“, so Guglielmo Stagno d’Alcontres gegenüber seinem Gesprächspartner. Der 32-jährige Gründer wurde von den Landarbeitern ehrfurchtsvoll als allmächtiger „Grande Capo“ bezeichnet.
Unter ihm fungierte der ebenfalls beschuldigte Enrico Fadini als sogenannter „Capo piccolo“. „Der Capo sagte zu uns, dass wir schnell arbeiten müssen, und fügte hinzu, dass er den, der nicht schnell und gut genug arbeitet, zur Strafe zu Hause lassen würde. Mit schnell meinte der Capo, dass von jedem Arbeiter jeden Tag mindestens 25 Obstkisten zu ernten seien“, so der junge Mann aus Sierra Leone.
Nachdem er sich für wenige Minuten vom Feld entfernt hatte, um an einer nahen Quelle Wasser zu trinken, wurde der junge Migrant mit einer „unbezahlten Arbeitspause“ bestraft. In der Folge wurde er auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt und laut der Anschuldigung gezwungen, seinen Entlassungsschein zu unterschreiben. „Der „Grande Capo“ schrie mir ins Gesicht, dass ich den Unterlassungsschein unterschreiben müsse. Er sagte mir, dass wir nur arme afrikanische Kerle seien und dass wir nichts hätten. Dann schubste er mich mit Gewalt und versuchte, mich aus dem Büro zu werfen“, so die Worte des Opfers.
Der junge Mann aus Sierra Leone ließ sich aber nicht einschüchtern. Er ging zu den Ordnungskräften, schilderte ihnen die bei „straBerry“ herrschenden Arbeitsbedingungen und erstattete Anzeige. Dank ihm kamen die Ermittlungen gegen „straBerry“, die in mit Fotovoltaik betriebenen Gewächshäusern Erdbeeren, Preiselbeeren, Himbeeren und Brombeeren kultiviert, um sie in den Straßen von Mailand zu verkaufen, ins Rollen.
Dieser unglaubliche Fall fügt sich einer langen Reihe von ähnlichen Fällen in Italien hinzu, bei denen Migranten dazu gezwungen wurden, unter menschenunwürdigen Lohn- und Arbeitsbedingungen Feldarbeit zu verrichten. Wie kann der Teufelskreis aus Armut und Ausbeutung durchbrochen werden, fragen sich viele Italiener.
Hier geht es zum Video.