Von: ka
Mailand – Die italienischen Corona-Zahlen werden von Woche zu Woche besser. Am Sonntag wurden in Italien lediglich 2.949 neue Fälle und „nur“ 44 Todesopfer gezählt. Die Gesamtlage stimmt inzwischen dermaßen hoffnungsvoll, dass aus Sicht der Experten, die die Entwicklung der Zahlen in allen Regionen ständig beobachten, einem sorglosen Sommer nichts mehr im Weg stehen könnte.
Auch der angesehene Virologe und Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten des Krankenhauses „Sacco“ von Mailand, Professor Massimo Galli, der in den vergangenen Monaten mehrmals vor vorschnellen Öffnungsschritten warnte, ist von der guten Entwicklung tief beeindruckt.
„Ich bin freudig erstaunt, denn in Italien verbessern sich die Epidemiezahlen dramatisch schnell und jenseits aller rosigsten Erwartungen. Bei den Wiedereröffnungen gab es eine zehnprozentige Chance, dass die Dinge diesen Verlauf nehmen würden, aber am Ende ging es gut und darüber bin ich wirklich glücklich“, so Massimo Galli gegenüber dem Mailänder Tagblatt „Corriere della Sera“.
Professor Massimo Galli gilt in seiner Zunft eigentlich als Warner. Vor einem Monat gingen dem angesehenen Virologen und Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten des Krankenhauses „Sacco“ von Mailand die von der römischen Regierung eingeleiteten Lockerungen noch zu weit. Die Öffnungen wurden damals von Massimo Galli ein „schlecht kalkuliertes Risiko“ genannt.
Auf seine damalige Meinung angesprochen, erläutert der Professor seine Gründe. „Das ist wahr, aber ich bin Arzt. Ich verlasse mich auf Daten, nicht auf Meinungen. Als am 26. April viele Lockerungen eingeführt wurden, ahnte man noch nicht, dass sich die Lage so gut entwickeln würde. Die Corona-Zahlen waren keineswegs beruhigend und die Anzahl der Neuinfektionen und Todesfälle war immer noch hoch. Ein weiterer Anstieg der Infektionen konnte nicht ausgeschlossen werden. Im April wurde der versprochene Schwellenwert von 500.000 täglich verabreichten Impfdosen noch nicht erreicht. Zudem schwebte über der Impfkampagne immer noch die Ungewissheit über die Verfügbarkeit der Dosen. Wir waren uns nicht sicher darüber, ob wir die versprochenen Impfstoffe auch wirklich rechtzeitig erhalten würden“, begründet Massimo Galli seine Ende April vorgebrachten Einwände.
„Aber dann führte die Impfkampagne zu einer Wende, die nicht vorübergehend sein wird. Die Impfstoffe, die als Schutzschild gegen Todesfälle und Krankenhausaufenthalte wirken, verschoben das Gleichgewicht schneller, als ich es erwartet habe. Die Zahl der Geimpften wächst stetig. Im Verhältnis zu den verimpften Dosen war die Immunisierung in Italien erfolgreicher als in anderen Ländern. Diesen Erfolg verdanken wir auch den älteren und gefährdeteren Menschen, die darauf achteten, sich so wenig wie möglich dem Coronavirus auszusetzen. Es ist aber auch der Verdienst jener, die immer wieder dazu aufriefen, vorsichtig zu sein und es sich in der Corona-Notlage nicht zu leicht zu machen“, beschreibt der Professor den seiner Ansicht Wendepunkt der Corona-Krise.
Mit jenen, die ihn in den vergangenen Wochen einen Schwarzmaler nannten, geht Massimo Galli hart ins Gericht. „In Ermangelung von Daten dem Optimismus aus Spaß an der Freude zu frönen, dem Schildern, wie die Corona-Zahlen wirklich sind, und der Schwarzmalerei bestehen große Unterschiede. Während einer bestimmten Phase der Corona-Notlage waren die Zahlen wenig ermutigend und es bestand die Notwendigkeit, die klare Botschaft zu geben, weiterhin wachsam zu bleiben. Besonders in Hinblick auf den Präzedenzfall des letzten Jahres, als es nur wenige von uns gab, die sagten, dass das Virus zurückkehren würde, war Vorsicht vonnöten“, erinnert der Virologe daran, dass einige Experten im vergangenen Jahr das Virus bereits für „tot“ erklärt hatten.
Auf die Frage hingegen, ob die für September angepeilte Herdenimmunität erreichbar sei, hat Massimo Galli eine vielsagende Antwort parat. „Das hängt davon ab, was wir unter Herdenimmunität verstehen wollen. Denn wenn damit gemeint ist, dass es keine Infektionen mehr geben wird, weil alle geimpft sind, ist das nicht der Fall. Heute streben wir den Schutz vor der Einlieferung ins Krankenhaus, der Aufnahme auf die Intensivstation und dem Tod an. Das ist das Ziel“, betont der Experte, der die guten Zukunftsaussichten, die sich durch die erfolgreiche Impfkampagne ergeben, unterstreicht.
„Zur Eliminierung des Virus wäre das Erreichen der Herdenimmunität entscheidend. Allerdings bringt SARS-CoV-2 weiterhin Varianten hervor. Solange wir keinen Impfstoff besitzen, mit dem wir sie entschiedener bekämpfen können, wird es nicht möglich sein, dieses Ziel zu erreichen. Es ist nicht selbstverständlich, ob die Herdenimmunität jemals erreicht werden kann“, fügt Massimo Galli hinzu.
Kurz zusammengefasst hat Italien – und Südtirol – das Schlimmste hinter sich. Die Menschen können sich auf einen sorglosen Sommer einstellen. Das Virus wird uns aber noch längere Zeit begleiten.