Von: Ivd
Rom – Italien sieht sich mit einem massiven Widerspruch konfrontiert: Während das Land eines der höchsten Renteneintrittsalter Europas aufweist, arbeiten Italiener tatsächlich am kürzesten. Mit durchschnittlich 32,8 Erwerbsjahren belegt Italien den vorletzten Platz in der EU – nur Rumänien schneidet mit 32,7 Jahren schlechter ab.
Zum Vergleich: Der europäische Durchschnitt liegt bei 37,2 Jahren. In nordeuropäischen Ländern wie Schweden, Dänemark und den Niederlanden arbeiten Menschen oft über 40 Jahre. Diese Zahlen stammen von Eurostat und wurden vom „Sole 24 Ore“ analysiert, das Daten des italienischen Rechnungshofs gegenüberstellte.
Das Renteneintrittsalter steigt derweil unaufhaltsam: Heute liegt es bei 67 Jahren, 2050 wird es voraussichtlich 68 Jahre und elf Monate erreichen, 2067 sogar siebzig Jahre. Ein System, das an seine Grenzen stößt.
Frauen besonders betroffen
Besonders dramatisch ist die Situation für Frauen: Mit durchschnittlich 28,2 Erwerbsjahren arbeiten italienische Frauen europaweit am kürzesten. Die Geschlechterkluft von neun Jahren ist die größte in der gesamten EU. Zum Vergleich: In baltischen Ländern wie Estland, Litauen und Lettland arbeiten Frauen sogar etwas länger als Männer.
Francesco Seghezzi, Präsident der Adapt Foundation, die Arbeitsmarktdynamiken erforscht, erklärt gegenüber dem „Sole 24 Ore“ die Gründe für das Paradoxon: „Der erste Faktor ist das Eintrittsalter in den Arbeitsmarkt.“ Italiener beginnen deutlich später zu arbeiten als andere Europäer. Längere Schulbildung, ausgedehnte Universitätsstudien und diskontinuierliche Berufseinstiege durch Praktika und befristete Verträge verzögern den Start ins Erwerbsleben.
Schwarzarbeit und Frührente
Hinzu kommt die weitverbreitete Schwarzarbeit: Schätzungsweise über drei Millionen Menschen arbeiten in der Schattenwirtschaft, die etwa neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Auch Frührenten tragen zum Problem bei: Etwa die Hälfte der 400.000 Rentner, die mehr als 40 Jahre im Ruhestand sind, sind Frührentner. Insgesamt gibt es über 16 Millionen Rentenempfänger in Italien.
Die Kombination aus spätem Berufseinstieg, unterbrochenen Karrieren, prekären Beschäftigungsverhältnissen und frühem Ruhestand führt zu einer gefährlichen Schieflage: Das Renteneintrittsalter steigt kontinuierlich, während die tatsächliche Erwerbsdauer eine der kürzesten Europas bleibt – ein Widerspruch, der das Rentensystem zunehmend unter Druck setzt.




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