Unmenschliche Fahrtzeiten und Drohung mit der Kündigung – VIDEO

Traurig: Lkw-Fahrer als „Sklaven des Lenkrads“

Mittwoch, 20. Mai 2020 | 07:02 Uhr

Lodi – Nach minutiösen Ermittlungen ist es der Finanzpolizei von Lodi gelungen, einen unglaublichen Fall von menschenunwürdigen und alle Verkehrsteilnehmer gefährdenden Arbeitsbedingungen aufzudecken. Der Inhaber eines großen Transportunternehmens zwang seine Lkw-Fahrer, zu wahren „Sklaven des Lenkrads“ zu werden. Die Fahrer mussten bis zu 20 Stunden am Stück unterwegs sein, wobei ihnen die vorgeschriebenen Ruhepausen und sogar der Urlaub verweigert wurden. Zudem drohte der Inhaber, der sich auf dem Rücken seiner Angestellten illegal bereicherte, den Lkw-Fahrern ständig mit der Kündigung. Die zu unmenschlichen Arbeitszeiten gezwungenen Angestellten verursachten vermutlich aus Übermüdung in sieben Jahren insgesamt 276 Unfälle, von denen einer einen tödlichen Ausgang nahm.

Die Ermittlungen kamen ins Rollen, nachdem die Beamten der Finanzpolizei von Lodi bei einer Straßenkontrolle ein Lkw aufgefallen war, dessen Tachometer offensichtlich manipuliert war und falsche Fahrtzeiten wiedergab. Der Fahrer schilderte den Beamten sein Leid und erzählte ihnen von den unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Später fanden weitere ehemaliger Fahrer den Mut, gegen das Transportunternehmen auszusagen. Nach der Auswertung von Telefonmitschnitten bestand über die im Unternehmen herrschenden Zustände kein Zweifel mehr.

Das, was die Beamten der Finanzpolizei von Lodi ans Licht förderten, war eine regelrechte verbrecherische Organisation, die selbst die schlimmsten Befürchtungen übertraf. Die Lkw-Fahrer, die für das Transportunternehmen „Plozzer“ von Lodi Vecchio bei Mailand arbeiteten, wurden vom Inhaber und seinen „Vorarbeitern“ zu menschenunwürdigen und für alle Verkehrsteilnehmer geradezu gefährlichen Arbeitsbedingungen gezwungen. Die Fahrer mussten die Lkw des Transportunternehmens „Plozzer“, das mit seinen rund 150 Angestellten vor allem im Lebensmittelbereich tätig ist, bis zu 20 Stunden am Stück lenken. Gleichzeitig wurden den Angestellten, denen ständig mit der Entlassung gedroht wurde, die vorgeschriebenen Ruhepausen und sogar der Urlaub verweigert.

Zugleich konnten sich der Inhaber des Unternehmens, der 62-jährige Roberto Plozzer, und seine aus seiner Ex-Frau Paola Marchesini sowie seinen Töchtern Sara und Marta bestehende Familie auf unglaubliche Art und Weise bereichern. Mithilfe der unmenschlichen Arbeitsbedingungen konnte das Transportunternehmen die Fahrtkosten drücken und in Norditalien immer größere Marktanteile erobern. Im Laufe der letzten Jahre war die Inhaberfamilie so imstande, mittels falsch ausgestellter Rechnungen in der Höhe von mindestens 60 Millionen Euro Steuern zu hinterziehen und Schwarzgeldfonds von rund 20 Millionen Euro anzulegen. Das kriminelle Vorgehen betraf aber auch das Unternehmen selbst. Da bei ihnen die Tachometer leichter zu manipulieren waren, erwarb das Transportunternehmen „Plozzer“ vorwiegend alte Lastkraftwagen. Um Geld zu sparen, wurden an den Lkw Wartungen nur „vorgetäuscht“, und um die Angestellten besser unter Druck setzen zu können, wurden ihnen nur Verträge mit einer Laufzeit von drei Monaten gewährt.

Der Finanzpolizei fiel bei ihren Ermittlungen auch auf, dass die Lkw des Transportunternehmens „Plozzer“ viel häufiger als die Konkurrenz in Unfälle verwickelt waren. Insgesamt wurden in sieben Jahren nicht weniger als 276 Verkehrsunfälle gezählt, von denen die meisten vermutlich auf die Übermüdung der zu unglaublich langen Fahrzeiten gezwungenen Fahrer zurückzuführen waren. Einer dieser Unfälle, bei dem ein von einem übermüdeten Fahrer gelenkter Lkw einen 70-Jährigen angefahren hatte, hatte im letzten Oktober einen tödlichen Ausgang genommen.

Nachdem sie genug Material gesammelt hatten, schlug die Finanzpolizei von Lodi zu. Roberto Plozzer, seine Ex-Frau Paola Marchesini sowie seine Töchter Sara und Marta wurden wegen Steuerhinterziehung, Ausbeutung und Bildung einer kriminellen Vereinigung festgenommen und in den Hausarrest überstellt. Insgesamt wurden gegen 17 Personen gerichtliche Verfahren eingeleitet. Auf Ansuchen der Ermittler der Finanzpolizei verfügte der Untersuchungsrichter von Lodi, Francesco Sirchia, die Beschlagnahme von beweglichen und unbeweglichen Gütern im Wert von 20 Millionen Euro. Unter den beschlagnahmten Vermögenswerten befinden sich vier Wohnungen, Hunderte von Zugmaschinen und Anhängern sowie Luxusautos und wertvolle Oldtimer. Im Wohnhaus der Plozzer wurden zudem 15.000 Euro in bar sichergestellt. Die Führung des Transportunternehmens selbst wurde einem vom Gericht von Lodi bestellten, außerordentlichen Verwalter anvertraut.

Der Fall von Lodi zeigt einmal mehr, dass es strenge Kontrollen braucht, um menschenunwürdige Arbeitsbedingungen aufzudecken.

Von: ka