Wirtschaftliche Not hält Paare zusammen

Trennungen in Rom um 15 Prozent gesunken: Covid-19-Krise als Ehekitt?

Mittwoch, 14. April 2021 | 07:00 Uhr

Rom – Während in vielen Großstädten anderer Länder die Corona-Krise und das durch den Lockdown erzwungene ständige Zusammensein zu einer Zunahme der Trennungen und Scheidungen geführt hatte, wurde in Rom im rabenschwarzen Covid-19-Jahr 2020 unerwarteterweise ein Rückgang der Trennungen von 15 Prozent beobachtet.

Während optimistischere Stimmen meinen, dass das ununterbrochene Zusammenleben der Liebe gutgetan und die gemeinsame Bewältigung der Krise die Paarbindung gestärkt hätten, glauben Experten eher daran, dass angesichts der Wirtschaftskrise vielen Paaren schlicht das Geld für eine Trennung fehle. Laut dieser Meinung seien es vielmehr die herrschende finanzielle Unsicherheit und die Zukunftsangst, die die Ehen vorübergehend kitten.

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Als die Rechtsexperten der Vereinigung DPF „Associazione Diritto e Psicologia della Famiglia“(Vereinigung Recht und Psychologie der Familie, Anmerkung der Redaktion) die von der Abteilung Familie des Gerichts von Rom auswerteten, waren sie überrascht. Während in vielen Großstädten anderer Länder die Corona-Krise und das durch den Lockdown erzwungene ständige Zusammensein zu einer Zunahme der Trennungen und Scheidungen geführt hatte, wurde in Rom im rabenschwarzen Covid-19-Jahr 2020 unerwarteterweise ein Rückgang der Trennungen von 15 Prozent beobachtet.

APA/APA (dpa/Symbolbild)/Patrick Pleul

Den Daten von DPF zufolge sank die Anzahl der einvernehmlichen Trennungen gegenüber dem Jahr 2019 um 556 auf 1943. Auch die Zahl der Scheidungen brach um 20 Prozent ein. Die gerichtlichen Scheidungen – also jener Paare, die kein Einvernehmen gefunden hatten – brachen von 929 im Jahr 2019 auf 831 im Pandemiejahr 2020 ein. Die einvernehmlichen Scheidungen hingegen gingen von 1955 auf 1293 zurück. Unter den einvernehmlichen Trennungen und Scheidungen stiegen nur jene jener Paare leicht an, die sich für eine unterstützte Verhandlung – dabei handelt es sich um ein Verfahren, das es erlaubt, die Auflösung der Ehe „einvernehmlich“ mit einer erheblichen Zeitersparnis und Kostensenkung und ohne einem langen Rechtsstreit zu erreichen – entschieden.

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Die sinkenden Trennungs- und Scheidungszahlen mögen auf den ersten Blick Mut machen, aber der Präsident der Vereinigung, Rechtsanwalt Marco Meliti, hegt keine Illusionen, was diese Zahlen in Wirklichkeit bedeuten. „Ich befürchte, dass die Gründe für diesen Rückgang nicht so sehr in der Wiederentdeckung der schlummernden Liebe zu suchen sind, sondern vielmehr aus der von der Epidemie verursachten schweren Wirtschaftskrise hervorgehen. Angesichts vermutlich jahrelanger großer wirtschaftlicher Unsicherheit und mit der Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, sehen sich viele Paare – unter ihnen besonders jene, die nur über ein geringes Einkommen verfügen – nicht mehr darüber hinaus, eine Trennung anzugehen. Eine Trennung bringt neben den menschlichen und wirtschaftlichen Kosten auch eine ernsthafte Verarmung der Familienfinanzen mit sich, die von der unvermeidlichen Verdoppelung der Kosten – unter anderem von der Notwendigkeit her, zwei Wohnungen zu unterhalten – verursacht wird. Dies erklärt auch den Anstieg der unterstützten Verhandlungen: Wenn das trennungswillige Paar schon zur Einsicht gekommen ist, dass eine Trennung unaufschiebbar ist, so entscheidet es sich zumindest dafür, diese im Einvernehmen umzusetzen“, so der auf das Ehe- und Scheidungsrecht spezialisierte Anwalt.

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Die Präsidentin des Familiengerichts von Rom, Marta Ienzi, ist ähnlicher Ansicht. Sie ist der Meinung, dass im letzten Jahr Trennungen und Scheidungen lediglich aufgeschoben wurden.

„Covid-19 hat im März letzten Jahres das Land gelähmt. Es hat tiefe Verunsicherung geherrscht. In den letzten Wochen erleben wir hingegen einen sprunghaften Anstieg der Neuanmeldungen für Trennungs- und Scheidungsverfahren. Ich befürchte, dass die Zahlen im nächsten Jahr noch höher sein werden. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage vieler Paare werden die gerichtlichen Scheidungsverfahren mit größerer emotionaler Inbrunst geführt. Die Realität ist, dass Trennung und Scheidung ein Luxus sind und dass man sie sich leisten können muss. Oft erleben wir verzweifelte Frauen, weil ihre ehemaligen Partner ihren Unterhaltspflichten nicht nachkommen. Wir Richter tun, was wir können, aber ich denke, dass die Legislative bei diesem Thema ernsthaft Hand anlegen sollte“, so Richterin Marta Ienzi.

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Es ist ein trauriges Bild, das die Richterin und der Anwalt zeichnen. Anstatt Paare zusammenzuschweißen, führt die Krise scheinbar eher dazu, bereits vorhandene Eheprobleme zu verschärfen. Am Ende sind es nur mehr die schiere finanzielle Not und die Angst, nach der Trennung in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen, die Ehepaare noch zusammenhalten.

 

Von: ka