Von: ka
Bologna – Angesichts der dramatischen Lage im überschwemmten Flachland der Romagna wird gerne übersehen, dass in den Hügel- und Berggebieten der Romagna das Straßennetz durch Erdrutsche weitgehend zerstört wurde. Durch die großen Flurschäden und die unzählbaren Straßenunterbrechungen kam in den Tälern der Romagna das Wirtschaftsleben völlig zum Erliegen.
Zehn Tage nach der Flutkatastrophe sind viele Dörfer und Weiler immer noch von der Außenwelt abgeschnitten, sodass die Armee und der italienische Zivilschutz dazu gezwungen sind, sie aus der Luft zu versorgen. Die Bürgermeister der betroffenen Talgemeinden bezeichnen die Lage als trostlos. Ohne baldige Wiederherstellung der Verkehrsverbindungen und ohne finanzielle Hilfen befürchten sie die Auflassung landwirtschaftlicher Betriebe und die Abwanderung der Bevölkerung.
Zehn Tage nach der dramatischen Flutkatastrophe in der Emilia-Romagna, die fünfzehn Todesopfer forderte und Milliardenschäden verursachte, beginnen sich die am stärksten besiedelten Gebiete langsam zu erholen. Das gilt aber nicht für die Hügel- und die Berggebiete der Romagna. Nachdem Hunderte von Erdrutschen wertvolle landwirtschaftliche Fluren und das Netz der Landes- und Gemeindestraßen zerstört hatten, kam in der Talgemeinde der Romagna das Wirtschaftsleben fast völlig zum Erliegen.
Zu den am stärksten betroffenen Gemeinden gehört Casola Valsenio. Allein in der 2.650 Einwohner zählenden Gemeinde, die sich im Abschnitt des Apennins der Provinz Ravenna befindet, gingen rund 100 Erdrutsche ab. Der größte Erdrutsch betraf einen ganzen Berghang. In diesem Fall brach eine 300 Meter breite Front vom Berg ab und rutschte in die Tiefe. Casola Valsenio ist von der Außenwelt fast völlig isoliert. In der Zwischenzeit konnten zumindest jene Menschen, die in den von den Erdrutschen gefährdetsten Gegenden und Weilern verstreut wohnten, evakuiert werden. Noch am Sonntag musste die Armee einige Kilometer weiter südlich, in Tredozio, aus der Luft eingreifen, um den Menschen das zum Überleben Nötigste zu bringen.
Die Landesgeologen der Emilia-Romagna ziehen eine verheerende Bilanz. Insgesamt gingen in der ganzen Region fast 1.000 Erdrutsche ab, von denen fast 400 immer noch in Bewegung sind. Traurigerweise sind die Gebiete im gebirgigen Hinterland von Ravenna, Forlì, Cesena und Faenza von den Hangbewegungen und Flurzerstörungen am meisten betroffen. Der Regionalpräsident der Geologen der Emilia-Romagna, Paride Antolini, bezeichnet die Lage in den hügeligen und gebirgigen Gebieten der Romagna als „verzweifelt“. Dass keine Menschenleben zu beklagen sind, war allein dem Glück und dem Zufall zu verdanken.
„Die in den vergangenen Tagen abgegangenen Erdrutsche haben die Kartografie dieser Gegenden verändert. Viele Straßen sind völlig verschwunden. In einigen Fällen ist eine Instandsetzung nicht mehr möglich. Diese Straßen müssen völlig neu trassiert werden“, erklärt Paride Antolini. Angesichts des Desasters rechnen Experten damit, dass zur Reparatur aller Flurschäden und zur Wiederherstellung des Straßennetzes finanzielle Hilfen im Rahmen von einer Milliarde Euro nötig sein werden.
Mit Blick auf der darniederliegenden Wirtschaft – in den vergangenen Jahren war es in diesen Apennin-Talschaften gelungen, einen sanften Kultur- und Naturtourismus sowie eine vielseitige Landwirtschaft aufzubauen – befürchten viele politische Verantwortliche der Region, dass Höfe aufgelassen werden und der im Berufsleben stehende Bevölkerungsteil abwandert. Aus diesem Grund – so Experten der Region – ist nicht nur schnelle und unbürokratische Unterstützung vonnöten, sondern auch die Wiederherstellung aller Verkehrsverbindungen unbedingt erforderlich.
Allein im Gemeindegebiet von Casola Valsenio sollen 92 Kilometer Landes- und Gemeindestraßen unpassierbar sein. Bisher gelang es nur, die Landesstraße, die den Hauptort mit der Ebene verbindet, vom Erdmaterial der Muren und Erdrutsche zu befreien. Allerdings ist auch diese Straße nur mit geländegängigen Fahrzeugen befahrbar. Für die Befahrung der Straße muss zudem eine behördliche Genehmigung eingeholt werden. Alle anderen Verbindungen der Gemeinde sind unterbrochen.
Da viele Zufahrtsstraßen vermurt sind, müssen mehrere landwirtschaftliche Betriebe immer noch aus der Luft mit Heu und Kraftfutter versorgt werden. Allein in einem Betrieb verursachte der Stromausfall den Tod von 70.000 Geflügeltieren. Der einzige Hoffnungsschimmer ist die weitgehende Rückkehr der Stromversorgung, die Versorgung der notleidenden Bevölkerung mit Lebensmitteln durch die Armee und den Zivilschutz sowie die Einrichtung mehrerer medizinischer Versorgungseinrichtungen.
Davon abgesehen sind die Zukunftsaussichten trüb. Die diesjährige Ernte wird gleich wie die heurige Tourismussaison aus heutiger Sicht kaum mehr zu retten sein. Schnelle Hilfen der Region, des Staates und der Europäischen Union sollen zumindest dafür sorgen, dass der aktive Teil der Bevölkerung in den Bergen eine eigene Zukunft sieht. Aus Sicht der politisch Verantwortlichen gilt es vor allem das Horrorszenario zu verhindern, dass die jungen Leute in die Ebene abwandern und nur mehr die Älteren „oben“ bleiben. Dies wäre der langsame Tod dieses Teils der Romagna.