Von: apa
Die 105. Salzburger Festspiele sind mit einem Festakt in der Felsenreitschule von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der die Geladenen an ihre gemeinsame Verantwortung für das Gemeinwohl erinnerte, offiziell eröffnet worden. Davor kam es zu einer Störaktion. Die Festrede hielt Anne Applebaum. Sie ging der Frage nach, was der tiefere Sinn von Festspielen sei in einer Zeit, in der demokratische Gewohnheiten und zivilgesellschaftliches Engagement unter Druck geraten.
Die polnisch-amerikanische Historikerin und Publizistin gilt als Kritikerin autoritärer Herrschaftssysteme. Am Beispiel der Salzburger Festspiele, deren Gründung 1920 aus bürgerschaftlichem Antrieb und ohne staatlichen Auftrag erfolgte, zeichnete sie nach, wie Kunst und gemeinsames Handeln demokratisches Denken stärken. Festspiele wie diese seien Ausdruck eines “unabhängigen Lebens der Gesellschaft”, das gegen Diktaturen ebenso beständig verteidigt werden müsse wie gegen digitale Vereinzelung und soziale Apathie.
“Festspiele werden nicht deshalb zum Erfolg, weil Mächtige es anordnen. Sie werden zum Erfolg, weil Menschen von Idealen wie künstlerischem Anspruch, Bildung oder Schönheit und Harmonie beflügelt werden und weil sie aus freien Stücken zusammenarbeiten, um diese Ideale zu verwirklichen. Diese Festspiele sind keine Ausnahme”, so Applebaum. Die Beschäftigung mit Kunstwerken der Vergangenheit helfe uns, die Gegenwart besser zu verstehen.
Warnung vor moderner Wiederkehr autoritärer Systeme
Applebaum erinnerte an autoritäre Systeme wie den Sowjetkommunismus oder die NS-Diktatur, die gezielt freie Vereinigungen und kulturelles Leben zerstörten, und warnte vor deren moderner Wiederkehr, unter anderem in Russland. “Wir sehen schleichende Veränderungen auf diesem Kontinent, es kommen Politiker an die Macht, die zivilgesellschaftliche Vereinigungen einmal mehr als Bedrohung wahrnehmen”, warnte sie. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Festspiele seien die Grundfesten der Demokratie. Den Salzburger Festspielen attestierte Applebaum das Potenzial, nicht nur Schönheit zu vermitteln, sondern als gelebter Gegenentwurf zu Isolation, Zynismus und nationalistischem Rückzug zu wirken.
Nicht nur Diktatoren und Autokraten sieht Applebaum als Bedrohung: “Auch veränderte Technologien und Verhaltensweisen in der gesamten demokratischen Welt tragen zur Erosion der Zivilgesellschaft bei.” Die Historikerin: “Statt uns in zivilgesellschaftlichen Organisationen einzubringen, die uns ein Gemeinschaftsgefühl und praktische Erfahrung mit Toleranz und Konsensbildung vermitteln, folgen viele von uns dem Internet-Mob, tauchen unter in der Logik der Masse, klicken Like und ziehen weiter. Statt an einem realen öffentlichen Ort wie diesem hier teilzuhaben, driften wir anonym durch digitale Räume, in denen wir Andersdenkende attackieren können, ohne unser Gesicht zu zeigen. Wir organisieren, planen und arbeiten nicht gemeinsam mit anderen. Wir praktizieren keine Demokratie.” Statt zivilgesellschaftlichem Engagement würde die neue Online-Welt “Zynismus, Nihilismus und Apathie” fördern.
Zahlreiche Ehrengäste aus Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft und Kunst sind zur Eröffnung geladen worden, darunter der rumänische Präsident Nicusor-Daniel Dan, der bereits am Freitag von Bundespräsident Van der Bellen in Salzburg empfangen wurde. In Zeiten globaler Krisen, so das Staatsoberhaupt in seiner Eröffnungsrede, wachsender Ungleichheit und Vertrauensverlusten in Institutionen sei verantwortungsvolles Handeln mit Mut, moralischer Klarheit und der Bereitschaft zu unpopulären Entscheidungen gefordert.
Van der Bellen: Unbequeme Wahrheiten aussprechen
Des Weiteren sprach sich Van der Bellen für mehr Gemeinsinn in der Wirtschaft und eine Medienlandschaft aus, die erklärt statt empört. Auch die Kunst, so Van der Bellen, habe in der Demokratie eine politische Aufgabe: sichtbar zu machen, was bedroht ist. “In Zeiten multipler globaler Krisen, wachsender Ungleichheit und des schwindenden Vertrauens in Institutionen zeigt sich: Wir alle, die Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft, Medien und auch in der Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur stehen auf dem Prüfstand”, sagte der Bundespräsident. Es gelte, “unbequeme Wahrheiten auszusprechen”.
Festspielpräsidentin Kristina Hammer betonte in ihrer Begrüßungsrede, dass es naiv wäre, zu glauben, dass allein eine Aufführung der “Letzten Tage der Menschheit” von Karl Kraus “in ihrer erschütternden Aktualität” schon reichen würde, Despoten davon abzuhalten, eben diese letzten Tage einzuläuten. “Wir müssen aber dafür Sorge tragen”, so Hammer, “dass diese Bibliotheken des Menschseins und die darin enthaltenen humanistischen Gedankenräume weiterhin allen offen stehen – und vor allem der nächsten Generation greifbar machen, was die Kunst über die reine Freude an der Aufführung hinaus aus Entdeckungswürdiges zu bieten hat.”
Die Salzburger Festspiele seien “resistent gegen plumpe politische Degradierungsversuche”, sagte Landeshauptfrau Karoline Edtstadler(ÖVP). “Bildlich könnte man die Salzburger Festspiele mit einem Ozeandampfer vergleichen, der auch hoher See jedem Wetter trotzt, sich beharrlich seinen Weg bahnt, neue Häfen ansteuert und Ideen und Strömungen aufnimmt, sich anpasst, doch letztlich stabil bleibt in Form und Gestalt.”
Störaktion von Aktivisten
Die Rede von Vizekanzler und Kulturminister Andreas Babler (SPÖ) in der Felsenreitschule wurde mehrmals von Aktivisten mit Zwischenrufen gestört: “Stoppt den Völkermord” und Free Gaza now” war auf entrollten Plakaten zu lesen. Er könne einen offenen Diskurs anbieten, reagierte Babler: “Kunst als echte Debatte, Festspiele als Ort für echte Debatten – und das sollte uns einen, kritische Debatten miteinander auszutragen und gleichzeitig berechtigte Kritik in einem geeigneten Rahmen zu verhandeln.”
Der Vizekanzler zitierte Claus Peymann: “Gute Kunst beschäftigt sich mit dem Auffinden von Wahrheit, wir erkennen durch sie etwas über uns selbst und unser Leben in einer sehr komplizierten Welt.” So könnten Anlässe – “und ich sage das jetzt ganz bewusst mit den Hintergrundgeräuschen”, so Babler – wie hier in Salzburg zu diesen Diskursräumen werden. Applebaum reagierte vor ihrer Rede ebenfalls auf die Störaktion. Sie leide unter den Bildern der im Gazastreifen verhungernden Kinder: “Israel muss das humanitäre Völkerrecht einhalten.”
Auch Van der Bellen sprach die Protestaktion an: Er sei ein Freund Israels, das bedeute nicht, jede Maßnahme der israelischen Regierung gutzuheißen. “Die Situation in Gaza ist niederschmetternd und in keiner Weise humanitär zu rechtfertigen. Aber bitte vergesst auch nicht den Oktober 2023, dem schlimmsten Pogrom der Nachkriegszeit.” Das sei keine Rechtfertigung, für das, was im Gaza passiert, “aber bitte zur Erinnerung”.
Das Mozarteum-Orchester spielte Werke von Ludwig van Beethoven, Ernest Bloch und Wolfgang Amadeus Mozart. Kurz vor Beginn des Festaktes ging der traditionelle Empfang mit Musik über die Bühne. Wegen des Regens fand dieser in der Festspielgasse statt. Dort konnten die Gäste im Trockenen unter einem Vordach zuhören. Viele Schaulustige mit Schirmen waren trotz des Schlechtwetters gekommen. Am Abend folgt mit “Giulio Cesare in Egitto” von Georg Friedrich Händel die erste szenische Opernproduktion in diesem Sommer.
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