Außenminister Schallenberg will "volle Aufklärung"

Budapest empört Wien mit Schlepper-Freilassungen

Montag, 22. Mai 2023 | 17:15 Uhr

Die vorzeitige Freilassung von verurteilten Schleppern in Ungarn sorgt für diplomatische Spannungen zwischen Wien und Budapest. “Wir wollen volle Aufklärung, weil wir halten das für ein völlig falsches Signal”, sagte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Montag in Brüssel. Ungarns Botschafter in Wien wurde zu einem dringenden Gespräch ins Außenministerium geholt. Am Nachmittag telefonierte auch Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) mit seinem Amtskollegen Sándor Pintér.

In den vergangenen Tagen habe es “beunruhigende” Medienberichte gegeben, dass Ungarn scheinbar hunderte verurteilte Menschenschlepper freilassen will, erklärte Schallenberg. Das “scheinbare” Argument Budapests, Ausländer in den Gefängnissen zu haben, sei zu teuer, stehe im Widerspruch zur “scheinbar klaren Linie” der Vergangenheit Ungarns gegenüber Menschenschlepperei.

Schallenberg berichtete, dass er bereits am Sonntag mit seinem ungarischen Amtskollegen Péter Szijjártó telefoniert habe. Dieser zeigte sich am Montag vor Journalisten unbeeindruckt. “Wir weisen ausländische Straftäter aus. Es ist auch besser so, dass sie das Land verlassen und nie wieder zurückkehren”, sagte er nach Angaben des ungarischen Infoportals Telex.hu in Brüssel. Man halte illegale Migration für einen “außerordentlich gefährlichen Prozess” und trete an der Südgrenze weiterhin scharf gegen illegale Migranten und Schlepper auf, versicherte der ungarische Außenminister.

Karner habe seinem Amtskollegen gegenüber “die Irritation und das Unverständnis Österreichs deutlich zum Ausdruck gebracht”, teilte das Innenministerium am Montagnachmittag mit. Er habe “sehr deutlich klargemacht, dass die gemeinsamen Erfolge in der Bekämpfung der Schlepperkriminalität und die Sicherheit Österreichs nicht gefährdet werden dürfen”. Pintér habe Österreich “volle Kooperation und Information zugesichert”. Die Minister hätten auch vereinbart, “dass der Kampf und die gemeinsame polizeiliche Zusammenarbeit gegen die Schlepperkriminalität weiter mit ganzer Kraft und vollem Einsatz geführt wird”.

Karner bekräftigte, dass Österreich an seinen “Grenzpunkt- und Grenzraumkontrollen festhalten” werde. Es habe auch “die Kontrollen an den wichtigsten Grenzübergängen intensiviert”, sagte der Innenminister. Diesbezüglich übte der ungarische Außenminister deutliche Kritik am Nachbarland. “Entgegen dem Geist des Schengen-Abkommens sehen wir seit Monaten, ja sogar seit Jahren, dass die Österreicher den Ungarn und anderen Staatsbürgern die Einreise nach Österreich erschweren, während die Österreicher ohne Wartezeiten frei nach Ungarn einreisen können”, sagte Szijjártó.

Gegenüber dem ungarischen Botschafter wurde laut Außenministerium große Beunruhigung über die Freilassung Hunderter strafrechtlich verurteilter Menschenschlepper in Ungarn zum Ausdruck gebracht. Die ungarische Regierungsverordnung stehe im diametralen Widerspruch zur bisherigen harten Linie Ungarns im Kampf gegen Schlepperei. Des Weiteren sei von österreichischer Seite in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen worden, dass die Vorgehensweise Ungarns “für uns als Nachbarland unmittelbare Auswirkungen auf unsere Sicherheit hat”.

Gemäß einer Verordnung, welche die rechtsnationale ungarische Regierung von Viktor Orbán Ende des Vormonats erlassen hat, werden inhaftierte Schlepper aus dem Ausland freigelassen, wenn sie Ungarn innerhalb von 72 Stunden verlassen. Das ungarische Strafrecht sieht an sich langjährige Haftstrafen von zwei bis 20 Jahren für Menschenschmuggel vor. Kanzleramtsminister Gergely Gulyás begründete den Schritt damit, dass die Inhaftierung ausländischer Straftäter zu teuer käme. Wie ungarische Medien am Montag berichteten, sind nur Personen mit Haftstrafen von fünf Jahren oder weniger betroffen.

Nach Informationen der Regierung befinden sich aktuell rund 2.600 ausländische Gefangene aus 73 Ländern in ungarischer Haft. Laut dem Portal index.hu sind mehr als 13 Prozent der ungarischen Gefängnisinsassen wegen Schlepperei inhaftiert.

Kritik an der ungarischen Entscheidung kam auch von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Die Maßnahme sei “aus österreichischer Sicht unverständlich und inakzeptabel und steht in Widerspruch zu unserem Konzept zum Schutz Österreichs vor Asylmissbrauch”, kritisierte Kickl am Montag auf APA-Anfrage. Dies bestärke ihn in der Auffassung, “dass der Schutz der eigenen Bevölkerung vor den negativen Folgen einer ‘neuen Völkerwanderung’ primär eine nationale Aufgabe sein muss”, fügte er hinzu. “Eine politisch-diplomatische Ablehnung der Schlepperfreilassung durch Österreich ist logisch, weil diese Maßnahme kontraproduktiv für die Schutzinteressen Österreichs ist”, ließ der Ex-Innenminister Unterstützung für die bisherige Reaktion der türkis-grünen Bundesregierung erkennen.

Laut Kickl sind aber “innerösterreichische Maßnahmen” wie etwa der Zugang von Asylbewerbern zum Sozialsystem “die viel größere Gefährdung unserer Sicherheit”. “Ohne großzügige Angebote für Geschleppte gibt es auch kein Geschäftsmodell für Schlepper”, argumentierte er. Die Asylantragszahlen in Ungarn seien insbesondere wegen der “völligen Abkehr von Geldleistungen” so niedrig. Darauf beziehe sich auch die “Vorbildfunktion Ungarns” in der Asylpolitik. Einzelne Maßnahmen einer anderen Regierung als vorbildhaft zu übernehmen, bedeute aber “nicht, alles gut zu heißen, was diese Regierung tut”, zog Kickl einen Vergleich zur Coronapolitik, wo die FPÖ das schwedische Modell übernommen habe, was aber “keine generelle Übernahme schwedischer Regierungspolitik” gewesen sei.

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker stellte indes die Frage, ob der FPÖ-Chef bei seinem Treffen mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán Anfang Mai von der Schlepperfreilassung “vorab informiert” gewesen sei. “Das muss Herbert Kickl sofort klarstellen”, so Stocker in einer Aussendung. Orbán untergrabe mit seiner Entscheidung den “Erfolg” von Innenminister Karner, dem es gelungen sei “hunderten Schleppern das Handwerk zu legen”, so Stocker. “Kickl hat schon als Innenminister angekündigt, die Gesetze so auszulegen, wie er das gerne möchte. Dieses Verständnis von einem Rechtsstaat ist gefährlich und konträr zu dem der Volkspartei. Für uns gehören kriminelle Schlepper ins Gefängnis, und nicht entlassen”, so Stocker.

“Wir haben jahrelang davor gewarnt, dass Viktor Orban kein Vorbild und kein Partner in Asylfragen ist”, betonte SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner in einer Aussendung. Hätte sich die österreichische Regierung dafür eingesetzt, anstatt eine “zum Scheitern verurteilte” Zusammenarbeit mit Ungarn zu suchen, könnte Europa schon wesentlich näher an einer gesamtheitlichen Lösung für das europäische Asylsystem sein, meinte der Abgeordnete. Auch der FPÖ empfahl Einwallner, ihre Einstellung grundlegend zu überdenken.

Von: apa