Chronisch kranke Kinder gefährdet

Covid-19: Zu lasche Regeln im Schulbetrieb?

Montag, 02. November 2020 | 22:19 Uhr

Bozen – Angesichts der Pandemie und der fehlenden Maskenpflicht in Klassen fragen sich Eltern chronisch kranker Kinder, ob ihre Kinder im Schulbetrieb nicht einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind.

Die Viruspandemie stellt Familien mit chronisch kranken Kindern vor große Herausforderungen. Sie fragen sich, ob Lockerungen der Corona-Auflagen im Schulbetrieb möglich sind, ohne Risikogruppen zu gefährden. Es geht nämlich gezielt darum, baldigst Mängel vor allem beim Übergang der Patienten vom Kindes- in das Erwachsenenalter zu beheben. “Und wir werden nicht umhin kommen, gemeinsam über die Notwendigkeit von Vereinbarungen des Landes Südtirol mit führenden Unikliniken im Ausland zu entscheiden”, damit sich die Probleme nicht weiter zuspitzen, betont Kinderherz-Präsident Ulrich Seitz. Denn mit rund 70 neuen Fällen von Neugeborenen mit Komplikationen am Herzen pro Jahr, ist seit geraumer Zeit in unserem Lande keine Entspannung bei den Fallzahlen auf dem Gebiet erkennbar, was traurig stimmt, unterstreicht der Kinderherz-Vorstand. Gemäß epidemiologischer Erhebung von nationalen Experten geht Kinderherz von derzeit weit mehr als 12.000 Südtirolern aus, die an einer Pathologie am Herzen seit ihrer Geburt leiden. Viele davon haben sicherlich nie entsprechende Therapieangebote in Anspruch genommen. Bedenklich ist das Ganze nun sicherlich auch im Zusammenhang mit der aktuell wütenden Corona-Pandemie. Das Corona-Virus gefährdet wie man immer wieder vernehmen kann, vor allem ältere Personen mit Vorerkrankungen, Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gefolgt von Diabetikern, Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen und Bluthochdruck. Tatsache ist und bleibt, dass die wissenschaftliche Datenlage zum SARS CoV-2 Virus beziehungsweise zur COVID-Erkrankung noch sehr unzureichend ist. Ein angeborener Herzfehler war Jahrzehnte lang eine der häufigsten Ursachen für den Kindstod. Dank des medizinischen Fortschritts hat sich das verändert. Weit über neunzig Prozent der Kinder mit einem angeborenen Herzfehler führen heute nach der Korrektur ein weitgehend normales Leben. Der Übergang ins Erwachsenenalter, auch Transition genannt, stellt Ärzte und Patienten jedoch vor neue Herausforderungen. Und hier werden auch hierzulande evidente Schwierigkeiten offensichtlich: In der medizinischen Versorgung klaffen Lücken. Menschen mit angeborenem Herzfehler nehmen ihre Leistungsfähigkeit ganz anders wahr als Menschen, die den Unterschied zwischen gesundem und krankem Herzen erfahren. Sie bringen auch körperlich ganz eigene Voraussetzungen mit. Fast zwei Drittel der Patienten lässt sich auch im Erwachsenenalter weiterhin vom Kinderkardiologen behandeln. Die Behandlungsmethoden für Kinder mit angeborenen Herzfehlern sind ausgereifter als die für Erwachsene.

Das stellt Erwachsenenkardiologen und Internisten vor neue nicht zu unterschätzende Aufgaben, denn sie waren früher seltener mit angeborenen Herzfehlern konfrontiert. Den in Herzangelegenheiten erfahrenen Kinderkardiologen fehlt oft die Vernetzung mit anderen Fachbereichen zu typischen Gesundheitsproblemen von Erwachsenen, wie Bluthochdruck oder Erkrankungen der Herzkranzgefäße. Ein Dilemma, denn „die betreuenden Ärzte sollten sich in beiden Gebieten auskennen“, so der Wunsch von „Kinderherz“. Während Experten sich in der Öffentlichkeit streiten, wie sicher oder gar gefährlich dieses Vorgehen ist, bleiben Eltern chronisch kranker Kinder mit einem angeborenen Herzfehler mit Sorgen und Unsicherheit zurück.

Für den Verein Kinderherz ist klar, dass die Verantwortung für den Weg jedes einzelnen Kindes hauptsächlich dessen Eltern tragen können. Dabei benötigen sie die Unterstützung der Kinderkardiologen, Lehrer, Arbeitgeber und den zuständigen öffentlichen Diensten, die sich mit Themenstellungen wie die Zivilinvalidität, das Pflegegeld oder die Genehmigung von Einweisungen in hochspezialisierte Einrichtungen im In- und Ausland auseinandersetzen. Gerade im Zusammenspiel mit Kompetenzzentren und den Unikliniken im Netzwerk muss es bei Dringlichkeiten schnelle, unkomplizierte Entscheidungen für die involvierten Familien geben, denn die Nervenanspannung ist oftmals sehr belastend für den miteinbezogenen familiären Kontext.

Es geht nun darum, so Ulrich Seitz, dass aufgrund der schwierigen Gesamtsituation, den betroffenen Kindern (es sind mehrere Hunderte in Südtirol) keine Nachteile entstehen, wenn es zum Beispiel um die Beteiligung am Schulunterricht und Freizeitangeboten geht, die für die Entwicklung der jungen Menschen unumgänglich sind. Es dürfen keine Ausgrenzungen in den Klassengemeinschaften riskiert werden.

Das Fazit: Die derzeitige Ausgangslage  für „Risikokinder“ muss verbessert werden: Es gilt an der Balance für die weitgehende Einbindung der Kinder und Familien mit allen psychosozialen Konsequenzen zu arbeiten und auf der anderen Seite bei Integration in den normalen Schulbetrieb, das Risiko einer Covid-19-Infektion, nicht zu unterschätzen. Es sei auf die fehlende Maskenpflicht in Klassen trotz der Gefährlichkeit von Areosolen hingewiesen. Der Verein Kinderherz wird sich deshalb dafür stark machen, dass Eltern praktische Vorschläge, auch in Absprache mit anderen Patientenorganisationen, die sich für die Rechte von Kindern mit lebensbedrohlichen Pathologien einsetzen, damit diese mit vertretbaren Aufwänden zeitnah realisiert werden können. Denn Risikokinder müssen so gut als möglich am Schulunterricht und anderen Aktivitäten teilnehmen können, trotz oder gerade wegen Corona. Dabei sollte jeder seinen Beitrag leisten, damit alle am Unterricht teilnehmen können und wenn dies das Tragen einer Maske im Unterricht bedeutet. Das Tragen einer Maske zieht erwiesenermaßen keine gesundheitlichen Schäden nach sich und kann zusammen mit geöffneten Fenstern oder Luftfilterungsanlagen die Ansteckungsraten erheblich reduzieren.

Von: bba

Bezirk: Bozen