Von: ao
Bozen – Eine parlamentarische Delegation aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft, neben der flämischen und der wallonischen die kleinste der drei Gemeinschaften Belgiens, hält sich derzeit in Südtirol auf, um verschiedene Aspekte des Minderheitenschutzes zu studieren. Heute wurde die Delegation mit Parlamentspräsident Alexander Miesen und Karl-Heinz Lambertz, dem Präsidenten des EU-Ausschusses der Regionen, an der Spitze von Präsident Roberto Bizzo und Vizepräsident Thomas Widmann sowie den Präsidialsekretären Maria Hochgruber Kuenzer, Helmuth Renzler und Roland Tinkhauser empfangen. Das anschließende Gespräch mit den Vertretern der Südtiroler Landtagsfraktionen drehte sich hauptsächlich um Bildungspolitik und Arbeitsmarkt.
Über Studienberatung und -förderung, Abkommen mit ausländischen Universitäten, Studientitelanerkennung und andere Rahmenbedingungen für ein Studium im Ausland – ein für Minderheiten wichtiger Bildungsweg – wurden die Gäste von Rolanda Tschugguel, Direktorin der Landesabteilung für Bildungsförderung unterrichtet. Besonderes Interesse zeigten sie an den Abkommen und den verschiedenen Maßnahmen für das Studium in Österreich. Mangel eigener Universität immatrikulieren die deutschsprachigen Studenten aus Ostbelgien, die in der Schule auch Französisch lernen, an französischen Universitäten oder an deutschen, wobei der Numerus clausus wegen des unterschiedlichen Schulbewertungssystems eine hohe Hürde darstellt.
Weitere Themen waren das duale Bildungssystem, das Südtirol eine relativ geringe Jugendarbeitslosigkeit ermöglicht, sowie die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt. Während Roland Tinkhauser und Hans Heiss auf den Fachkräftemangel in der Privatwirtschaft hinwiesen, die mit Löhnen und Karrieremöglichkeiten, die etwa Bayern bietet, nicht mithalten könne, verwiesen Sven Knoll und Oswald Schiefer auf die Schwierigkeit, Ärzte zu finden, was sich auch im Hinblick auf eine Betreuung in der Muttersprache ein Problem sei. Für Ostbelgien habe vor allem Luxemburg mit seinen höheren Löhnen einen Absaugeffekt, berichtete Präsident Miesen, man bewerbe nunmehr die eigene Region unter anderem mit den günstigeren Lebenshaltungskosten. Wie Südtirol hatte auch Ostbelgien ein Grenzüberschreitendes Abkommen zur Behandlung seiner Patienten in Deutschland. Das Abkommen wurde von Deutschland wegen Überbeanspruchung gekündigt. Der Nebeneffekt war, dass die eigenen Krankenhäuser besser ausgelastet wurden, aufrüsten konnten und nun auch Patienten aus Deutschland anziehen. Zu Fragen der Unterrichtssprache sprachen Sven Knoll und Ulli Mair die Einschreibung italienischer Kinder in die deutschen Schulen und Kindergärten an und den Immersionsunterricht als Problem an, während Hans Heiss eine zusätzliche mehrsprachige Schule für beides als Ausweg sah. Alexander Miesen konnte berichten, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft eine weitreichende Schulautonomie hat und der Staat nur die allgemeine Schulpflicht regelt und wenig mehr. So bestimmt man auch selbst die Unterrichtssprache, hauptsächlich Deutsch, aber manche Fächer auch auf Französisch, Flämisch oder Englisch. Das Phänomen, dass die Jugend heute lieber Englisch als die Zweitsprache (in diesem Fall Französisch) lernt, kennt man in Ostbelgien auch.
Auf ihrer Südtirolreise wird die Delegation aus Ostbelgien an der Eurac auch die Themen Minderheitenpolitik und Zusammenleben vertiefen, das Versuchszentrum Laimburg besichtigen und mit Vertretern des Gemeindenverbandes über die Autonomie der Gemeinden reden.