Von: apa
Keine Einigkeit haben die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel am Donnerstag in Brüssel bei der Ukraine-Gipfelerklärung, dem 18. Sanktionspaket sowie zu Beschlüssen zur Aussetzung des EU-Israel-Abkommens erzielen können. Die alle sechs Monate anstehende Verlängerung der geltenden Russland-Sanktionen wurde beschlossen, ein neues US-Dokument und mögliche Reaktionen der EU zum Zoll- und Handelsstreit mit den USA wurden besprochen.
Sie habe gute Gespräche mit US-Präsident Donald Trump in Kanada geführt, um vor der von den USA gesetzten Frist 9. Juli eine Lösung im Handelsstreit zu finden, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der Abschluss-Pressekonferenz. Das jüngste Dokument aus den USA habe sie heute erhalten; es werde nun geprüft. Die EU sei bereit für eine Lösung; eine Liste mit Gegenmaßnahmen, um die Interessen der EU zu verteidigen, sei aber ebenfalls beim Gipfel besprochen worden.
Ukraine-Teil zu 26 statt 27 angenommen
Das Ukraine-Kapitel der Schlussfolgerungen wurde von 26 der 27 Mitgliedsländer angenommen. Die Blockadehaltung Ungarns war nicht zu überwinden. Ministerpräsident Viktor Orbán hatte vor Beginn gesagt: “Wenn wir die Ukraine in die EU integrieren, integrieren wir den Krieg.” Dies würde eine unmittelbare Gefahr für die EU darstellen. Der EU-Gipfel hat sich aber laut Angaben aus dem Rat darauf geeinigt, die bereits geltenden Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine um weitere sechs Monate zu verlängern.
Einige Mitgliedstaaten drängen darauf, die Unterstützung für die Ukraine zu verstärken und ihren Weg in die EU voranzutreiben. “Die Europäische Union ist nach wie vor entschlossen, auch im Rahmen des EU-Beitritts der Ukraine deren Instandsetzung, Erholung und Wiederaufbau in Abstimmung mit den internationalen Partnern zu unterstützen, auch in den Bereichen psychologische und psychosoziale Rehabilitation und verstärkte Minenräumung”, heißt es nun in dem Dokument. “Erwartungsvoll” entgegengesehen wird dort aber nicht dem EU-Beitritt, sondern der Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine am 10. und 11. Juli in Rom.
Von der Leyen bekräftigte nach dem Gipfel die weitere Unterstützung der EU für die Ukraine. Die Kommission trete für die Eröffnung des ersten Verhandlungskapitels mit der Ukraine ein, die Ukraine habe dies verdient, betonte sie. Damit dies geschehen kann, müssen aber alle 27 EU-Staaten zustimmen – auch Ungarn.
Selenskyj war per Video zugeschaltet
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war nicht persönlich in Brüssel, sondern am Abend per Video zugeschaltet. Auch das von Österreich unterstützte umstrittene 18. Sanktionspaket, dessen endgültige Schnürung inklusive des ins Auge gefassten Ölpreis-Deckels von Ungarn und der Slowakei bisher blockiert wird, hat es nicht in die Schlussfolgerungen geschafft. Schon im Vorfeld war betont worden, dass man sich auf die Bekräftigung der vorangegangenen Pakete konzentrieren wolle. “Der Europäische Rat begrüßt die Verabschiedung des 17. Sanktionspakets, das sich insbesondere gegen den russischen Energie- und Finanzsektor richtet, einschließlich der ‘Schattenflotte’ von Öltankern und ihrer Betreiber”, heißt es in dem von 26 Staaten angenommenen Text.
Allerdings weist man – ohne Ungarn – doch in die Zukunft, ohne das 18. Sanktionspaket beim Namen zu nennen: “Die Europäische Union ist bereit, den Druck zu erhöhen, wenn dies erforderlich ist, auch mit einem neuen robusten Paket von Sanktionen, das auch Möglichkeiten vorsieht, Russlands Energieeinnahmen weiter zu schmälern.”
Verhärtete Fronten in Israel-Frage
Zuvor hatte der Gipfel wie erwartet keine Aussetzung des EU-Israel-Abkommens beschlossen oder klar Position dazu bezogen. Der EU-Prüfbericht zur Einhaltung des Artikels 2 des Abkommens sieht Israels Vorgehen in Gaza sehr kritisch. Die Gipfelerklärung nimmt den Bericht zur Kenntnis. Einige EU-Länder fordern schon länger eine Aussetzung des Abkommens, Österreich und Deutschland sind dagegen. Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) bekräftigte nach dem Gipfel: “Wir glauben, dass die Sistierung solcher Abkommen nicht der richtige Weg ist.”
Der Gipfel fordert im entsprechenden Teil der Schlussfolgerungen den Rat auf, die Beratungen über den Bericht gegebenenfalls im Juli 2025 fortzusetzen und dabei die Entwicklung der Lage vor Ort zu berücksichtigen. Mitte Juli dürfte der Bericht erneut auf der Agenda des Treffens der EU-Außenministerinnen und -minister stehen. EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas hatte nach dem Treffen am Montag erklärt, man habe sich für eine genaue Beobachtung der Entwicklung und einen “strukturierten Dialog” entschieden: “Wenn sich die Situation nicht verbessern sollte, können wir das im Juli wieder aufgreifen.”
Auch für Gaza gilt: “Der Krieg muss enden”
Zum Start des Europäischen Rates am Donnerstag zeigten sich erneut die verhärteten Fronten in der Israel-Frage: “Wichtiger als Verträge auf Eis zu legen, ist der Dialog”, sagte der luxemburgische Premierminister Luc Frieden. Israel müsse verstehen, was zurzeit in Gaza passiere, sei “menschlich nicht vertretbar”. Der irische Premier Micheál Martin sagte, Europa müsse klar artikulieren, dass Israels Vorgehen in Gaza aus humanitärer Sicht unverständlich sei. “Der Krieg muss enden.”
Der slowenische Premier Robert Golob betonte, es gebe einen “klaren Bruch” des Artikels 2 des EU-Israel-Assoziationsabkommens. Leider würden einige wichtige EU-Mitgliedstaaten stärker ihre eigenen Interessen verfolgen als die Menschenrechte der Palästinenser. “Die EU als Ganzes kann nicht mehr Rechtsstaatlichkeit predigen aufgrund ihrer unzureichenden Reaktion auf die Gräueltaten in Gaza”, so Golob. Sollte es nicht beim Gipfel oder innerhalb der nächsten zwei Wochen eine greifbare Antwort geben, werden Slowenien und andere EU-Staaten selbst handeln, “und wir sind dazu bereit”. Es gehe um “richtigen Druck” auf die israelische Regierung.
Bundeskanzler Stocker sagte nach dem Gipfel: “Ich glaube, wir haben eine sehr herausfordernde geopolitische Situation, und das spiegelt auch die Intensität dieses Tages wider. Die Lage im Nahen Osten ist eine besorgniserregende. Wir sehen eine Situation im Iran, wo wir nach den Militärschlägen wieder zu den Verhandlungen zurückmüssen. Wir sehen, dass die Waffenruhe eine Chance dafür ist. Gleichzeitig haben wir im Gazastreifen eine Situation, wo die Geiseln noch immer nicht freigelassen sind, wo die Hamas immer noch Terror und Schrecken verbreitet und gleichzeitig die humanitäre Situation völlig inakzeptabel ist.”
Klare Position zur Lage in Gaza
In der Erklärung heißt es, der Rat “bedauert die katastrophale humanitäre Lage in Gaza, die inakzeptable Zahl ziviler Opfer und das Ausmaß des Hungers”. An Israel wird appelliert, seine Blockade des Gazastreifens vollständig aufzuheben und sofortigen, ungehinderten Zugang und eine nachhaltige Verteilung humanitärer Hilfe im gesamten Gazastreifen zu ermöglichen. Weiters werden ein “sofortiger Waffenstillstand in Gaza und die bedingungslose Freilassung aller Geiseln” verlangt. Diese Forderung betonte auch von der Leyen zum Abschluss.
Zum Iran heißt es, die EU begrüßte die Einstellung aller Kampfhandlungen und werde “weiterhin alle diplomatischen Bemühungen unterstützen, die zum Abbau der Spannungen und zur Herbeiführung einer dauerhaften Lösung der iranischen Atomfrage beitragen, die nur durch Verhandlungen erreicht werden kann”. – Bundeskanzler Stocker schlägt Wien als Verhandlungsort im Iran-Israel-Konflikt vor: “Wir haben eine große Tradition für solche Verhandlungen und Treffen. Es wäre für Wien schön, wenn wir als Gastgeber fungieren könnten”, sagte er am Donnerstag.
EU-Gipfel fordert erheblich mehr Gelder für Aufrüstung
In dem am Nachmittag verabschiedeten Teil der Gipfelerklärung wird erneut gefordert, dass die EU-Länder ihre Ausgaben für Aufrüstung “erheblich” erhöhen. Dabei wird auch die beim NATO-Gipfel vom Mittwoch eingegangene Verpflichtung für die NATO-Mitglieder betont, der eine Steigerung der Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent der Wirtschaftsleistung beschlossen hatte.
Der Rat ersucht die Mitgliedstaaten, die Umsetzung der einschlägigen Verpflichtungen selbst zu koordinieren. Generell müsse für die Verteidigung und Sicherheit Europas “gemeinsam besser investiert” werden. Es wird betont, dass “eine stärkere und fähigere Europäische Union im Bereich der Sicherheit und Verteidigung einen positiven Beitrag zur globalen und transatlantischen Sicherheit leisten wird und die NATO ergänzt”. Gefordert wird auch eine rasche Einigung auf die vorgeschlagene Förderung von Investitionen für Verteidigung im EU-Haushalt.
Der EU-Gipfel begrüßt auch die Annahme der SAFE-Verordnung (“Sicherheitsmaßnahmen für Europa”) und die bevorstehende Aktivierung der nationalen Ausweichklauseln im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die Ausweichklausel erlaubt die Herausrechnung der für Aufrüstung gemachten Schulden aus den Maastricht-Kriterien. Österreich hat bisher nicht um eine Nutzung der Klausel angesucht, könnte dies aber jederzeit nachholen. Das angekündigte Defizitverfahren könnte damit aber nicht vermieden werden. Die EU-Kommission hatte Österreich Anfang Juni empfohlen, die Ausgaben für Verteidigung zu erhöhen. Die Kommission sieht in ihren im Frühling präsentierten Plänen zur Aufrüstung bis zu 800 Milliarden Euro an Investitionen vor.
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