Stocker begrüßt Selenskyj beim Gipfel in Kopenhagen

Europäer beschwören nötige Abwehr gegen Russland

Donnerstag, 02. Oktober 2025 | 19:25 Uhr

Von: APA/Reuters/AFP

Die meisten europäischen Regierungen haben auf einem Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) einen verstärkten Abwehrkampf gegen Russland gefordert. “Der Krieg geht nicht nur gegen die Ukraine, sondern zielt auf Europa”, sagte die dänische Ministerpräsidentin und Gastgeberin Mette Frederiksen. Bereits nach dem Treffen der 27 EU-Staaten am Mittwoch hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vom Aufbau eines “Drohnen-Walls” gesprochen.

Von der Leyens Plan stößt allerdings bei etlichen Mitgliedstaaten wie Deutschland auf Skepsis. Belgiens Ministerpräsident Bart De Wever betonte, dass er der Nutzung von eingefrorenem russischen Staatsvermögen für die Ukraine nur unter Bedingungen zustimmen könne.

Bei dem Gipfel der 2022 gegründeten EPG treffen sich die Staats- und Regierungschefs von 47 europäischen Staaten – außer Belarus und Russland. Am Mittwoch fand bereits ein informeller EU-Gipfel in Kopenhagen statt. Auf beiden Treffen gibt es keine Beschlüsse. Die Zusammenkünfte dienen aber dazu, ein gemeinsames Verständnis der Lage in Europa zu entwickeln. Etliche Regierungen warnten in der Diskussion vor einem zunehmend aggressiveren Russland.

Macron fordert härteres Vorgehen gegen Schattenflotte

Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte ein härteres Vorgehen gegen die sogenannte russische Schattenflotte. Hintergrund ist die Festsetzung eines in Benin registrierten Schiffes vor der französischen Atlantikküste, das sich zu dem Zeitpunkt etlicher Drohnenüberflüge über dänischen Flughäfen vor der dänischen Küste aufgehalten haben soll. Französische Behörden verhafteten zwei Russen an Bord. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sagte, Zwischenfälle mit Russland gebe es in der Ostsee mittlerweile täglich.

In der Debatte ist deshalb auch eine verstärkte Drohnenabwehr in Europa – für die der ebenfalls in Kopenhagen anwesende ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ausdrücklich seine Hilfe anbot. Kein Land habe eine solche Erfahrung auf dem Feld wie die Ukraine. Während osteuropäische Länder einen “Drohnen-Wall” nach Osten wollen, dringen südliche EU-Länder darauf, dass auch ihre Küsten geschützt werden müssen. Gerade mit den großen EU-Staaten gibt es zudem Debatten, ob die EU-Kommission dabei eine Rolle spielen müsse oder dies nicht eher eine Angelegenheit der NATO sei.

Stocker: Erfahrungen der Ukraine für uns wertvoll

Für Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) sind die beiden wichtigen Themen beim Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft die Migration und die Erweiterung. Österreich habe bei der Bekämpfung der illegalen Migration in Europa sehr viele Impulse gesetzt, betonte er vor dem Treffen. Stocker sprach von einem neuerlichen Rückgang der Asylanträge von 2023 auf 2024 um minus 60 und von 2024 auf 2025 um nochmals 30 Prozent. Österreich sei in diesem Bereich “Vorreiter”.

Er glaube, dass die Ukraine in 3,5 Jahren Angriffskrieg “sehr viele Erfahrungen gemacht hat, wie man mit Aggressionen aus dem Ausland umgeht”. Dies betrifft laut Stocker nicht nur hybride Bedrohungen, sondern auch andere Desinformations- und Destabilisierungskampagnen: “Die Erfahrungen der Ukraine sind für uns wertvoll.”

Der Bundeskanzler zeigte sich davon überzeugt, dass die österreichische “Bevölkerung etwas davon hat, wenn sich die EU auch im Thema der Sicherheit erweitert. Wir sehen, dass die Sicherheitslage eine ganz andere ist als noch vor einigen Jahren”. Gerade die Ukraine sei hier ein Beispiel. Die Beitrittsverhandlungen stünden noch am Beginn, aber “grundsätzlich haben wir uns zu einer Erweiterung auch um die Ukraine bekannt”. Stocker sieht “Aufklärungs- und Gesprächsbedarf”; in der Bevölkerung sei “noch nicht ausreichend das Bewusstsein vorhanden, was es für die Sicherheit Österreichs bedeutet”.

Belgien verlangt Garantien

Erneut ging es am Donnerstag auch um die Frage, ob das vor allem in Belgien liegende eingefrorene russische Staatsvermögen für einen 140 Milliarden Euro-Kredit an die Ukraine genutzt werden könnte. Dies fordern etwa der deutsche Kanzler Friedrich Merz und die EU-Kommission. Er verweigere sich den Plänen nicht, betonte De Wever, fügte aber hinzu: “Ich habe meinen Kollegen gestern erklärt, dass ich ihre Unterschrift brauche. Sie soll besagen: Wenn wir Putins Geld nehmen, verwenden wir es. Und wenn etwas schiefgeht, tragen wir alle die Verantwortung.” Russland hatte die Pläne zuvor scharf kritisiert und von Enteignung gesprochen. Die EU weist dies diesen Vorwurf zurück. “Deutschland ist bereit, neue Wege zu gehen, die rechtlich möglich und verantwortbar sind”, erklärte der deutsche Finanzminister Lars Klingbeil am Donnerstag.

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz rechnet damit, dass in drei Wochen auf dem EU-Gipfel wahrscheinlich eine Entscheidung für die Nutzung eingefrorener russischer Vermögen für die Ukraine fallen wird. “Ich gehe jedenfalls von Kopenhagen mit dem sicheren Gefühl, dass es eine sehr große Übereinstimmung in der Europäischen Union und auch in der Europäischen Politischen Gemeinschaft gibt, diesen Weg zu gehen. Putin sollte unsere Entschlossenheit nicht unterschätzen”, betonte der Kanzler. Es gebe eine sehr große Geschlossenheit und Entschlossenheit, der Aggression Russlands gemeinsam zu begegnen.

Auch die Finanzminister der G7-Staaten hatten am Mittwoch per Videoschaltung über eine stärkere Nutzung des nach dem Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 eingefrorenen russischen Auslandsvermögens beraten. Das gemeinsame Ziel der G7 sei es, den Druck auf Präsident Wladimir Putin zu erhöhen, damit dieser seinen Krieg gegen die Ukraine beende, erklärte Klingbeil.

Kritische Töne kamen in Kopenhagen vom ungarischen Ministerpräsident Viktor Orban, der die Bemühungen seiner EU-Partner für eine weitere Unterstützung der Ukraine kritisierte. “Sie wollen der Ukraine EU-Gelder geben. Sie versuchen, den Beitritt der Ukraine mit allen möglichen juristischen Tricks zu beschleunigen. Sie wollen Waffenlieferungen finanzieren”, schrieb Orban in einem Social-Media-Post.

SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder forderte die Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte. “Wir dürfen uns von den verbalen Drohgebärden Russlands nicht einschüchtern lassen. Im Gegenteil: Sie zeigen, wie wichtig es ist, dass Europa jetzt entschlossen handelt”, sagte er. Russlands Angriffskrieg habe unzählige Menschenleben gefordert, Infrastruktur zerstört und die Stabilität unseres Kontinents erschüttert. “Wer Schaden anrichtet, muss auch dafür zahlen. Deshalb ist es nur folgerichtig und vernünftig, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte zur Unterstützung der Ukraine zu nutzen”, so Schieder.

Der FPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Harald Vilimsky, bezeichnete den EPG-Gipfel als “Zurschaustellung der europäischen Inkompetenz”. Anstatt das Treffen für ernsthafte diplomatische Lösungen und konkrete Schritte zum Frieden zu nutzen, stünden erneut Aufrüstung und Kriegspolitik im Vordergrund, so Vililmsky laut Aussendung.

Putin sieht “hysterische Militarisierung”

Kreml-Chef Wladimir Putin betonte indes, dass sein Land “schnell handeln” werde, wenn es von Europa “provoziert” werde. Es gebe derzeit ein hysterische Militarisierung des Kontinents, sagte Putin am Donnerstag. Russland habe aber keiner Absicht, das von den USA angeführte Bündnis Nato anzugreifen.

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