Was werden die drei Europäer bei Araqchi erreichen können?

Europäische Verhandlungen mit Iran zu Atomprogramm in Genf

Freitag, 20. Juni 2025 | 15:26 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters/AFP

Während der Krieg zwischen Israel und dem Iran in die zweite Woche geht, wollen sich drei europäische Außenminister am Freitag bei einem Treffen mit ihrem iranischen Kollegen Abbas Araqchi in Genf um Deeskalation bemühen. Ein Ziel von Johann Wadephul (Deutschland), Jean-Noël Barrot (Frankreich) und David Lammy (Großbritannien) ist es, den Iran zum Einlenken bei seinem Atomprogramm zu bewegen und von Kernwaffen fernzuhalten.

Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas will an dem Treffen mit Araqchi teilnehmen. Bei den Europäern dürfte die Hoffnung mitschwingen, US-Präsident Donald Trump davon abzubringen, dass die Vereinigten Staaten an der Seite Israels mit eigenen Angriffen in den Krieg gegen den Iran eingreifen.

Rhetorische Positionierungen

Der Iran zeigte sich im Vorfeld nicht zu Verhandlungen über sein Atomprogramm bereit, solange die israelischen Angriffe andauern. Mit dieser Ansage dämpfte Araqchi am Freitag unmittelbar vor Gesprächen die Erwartungen: “Es gibt keinen Raum für Verhandlungen mit uns, bis die israelische Aggression aufhört”, sagte der Außenminister dem iranischen Staatsfernsehen zufolge mit Blick auf die anhaltenden Angriffe Israels auf sein Land. Gespräche mit den USA schloss der Minister grundsätzlich aus und begründete dies damit, dass das Land mit Israel verbündet ist. Später hieß es von einem Insider, der Iran sei grundsätzlich bereit, mit den Europäern über eine Begrenzung der Urananreicherung in seinem Atomprogramm zu sprechen, eine Reduzierung auf Null kommt aber nicht infrage. Die Rolle der europäischen Mächte sei nun bedeutender, sagte ein iranischer Regierungsvertreter.

Lammy warnte vor einer Eskalation im Nahen Osten. Es sei jetzt an der Zeit, den dramatischen Szenen ein Ende zu setzen, sagte der britische Chefdiplomat nach einem bilateralen Treffen mit US-Außenminister Marco Rubio in Washington, mit dem er sich für das Treffen in der Schweiz abstimmte. Die beiden Außenminister seien sich darin einig gewesen, dass der Iran niemals Atomwaffen haben dürfe, teilte eine Sprecherin des US-Außenministeriums mit.

Auch Frankreich drängte zu einer diplomatischen Lösung. Ziel sei es, “wieder einen Dialog aufzunehmen, um ein solides und ernsthaftes Abkommen zu erreichen”, sagte der Sprecher des Außenministeriums in Paris, Christophe Lemoine, dem Sender CNews. Das iranische Atomprogramm beschäftige die Diplomatie schon seit 20 Jahren. “Die Geschichte zeigt, dass der einzige Weg, ein Land dazu zu bringen, den Nichtverbreitungsvertrag einzuhalten, der diplomatische Weg ist”, sagte Lemoine. “Militärische Lösungen sind keine langfristigen Lösungen”, fügte er hinzu.

Die internationale Gemeinschaft könne in einer Region, die bereits extrem instabil ist, nicht das Risiko von Militäreinsätzen eingehen, die außer Kontrolle geraten können. Auch wenn der Iran ein Land sei, das zur Destabilisierung beitrage und das Atomprogramm eine Bedrohung darstelle, müsse an dem diplomatischen Bemühen festgehalten werden. Frankreich verfolge das Ziel, dass der Iran sich an seine Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Atomwaffensperrvertrag) halte, betonte der Sprecher.

Nach den Worten Wadephuls stehe man zu Verhandlungen mit dem Iran über sein Atomprogramm bereit. Großbritannien, Frankreich und die EU hätten immer gesagt, sie stünden für Gespräche zur Verfügung, so der deutsche Außenminister in Berlin vor seiner Abreise nach Genf. “Dies erfordert die ernsthafte Bereitschaft Irans, auf jegliche Anreicherung von Nuklearmaterial zu verzichten, die zur nuklearen Bewaffnung führen könnte. Dies setzt auch voraus, dass das Raketenprogramm einbezogen werden kann”, betonte Wadephul.

Ein iranischer Diplomat, der nicht namentlich genannt werden wollte, sagte indes in Berlin: “Europa ist heute von zwei gegensätzlichen Kräften umgeben: dem geopolitischen Druck Russlands und der strategischen Kontrolle Amerikas.” Der Iran sei aber weder dem Osten verpflichtet noch vom Westen abhängig, “sondern bereit, sich rational mit beiden Seiten auseinanderzusetzen”. Europa müsse unabhängig von beiden Seiten werden. “Der Iran kann sich in der Zwischenzeit als Schachfigur für Europa erweisen, um den doppelten Druck zwischen Ost und West zu verringern”, so der Diplomat weiter. Der Iran sei bereit, “im Umgang mit Europa eine kluge, ausgewogene und pragmatische Politik zu verfolgen”.

Trump: Entscheidung über Kriegseintritt innerhalb von zwei Wochen

US-Präsident Trump hatte seine Sprecherin Karoline Leavitt erklären lassen, er wolle innerhalb der nächsten zwei Wochen darüber entscheiden, ob die USA als wichtigster Verbündeter Israels in den Krieg gegen den Iran eingreifen werden. Dies geschehe vor dem Hintergrund, dass es eine “beträchtliche Chance” für Verhandlungen gebe, die in naher Zukunft mit dem Iran stattfinden könnten, sagte er am Vortag der geplanten Verhandlungen in Genf.

Das US-Militär unterstützt Israel bei seiner Verteidigung, beteiligt sich bisher aber nicht an den Angriffen auf den Iran, wie in Washington betont wird. Trump habe deutlich gemacht, dass er immer diplomatische Mittel bevorzuge, sagte seine Sprecherin. Er scheue sich aber auch nicht, nötigenfalls Stärke zu zeigen. Der Iran und die Welt sollten wissen, dass das US-Militär das stärkste der Welt sei.

Erklärtes Kriegsziel der Atommacht Israel ist es, den Iran an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern und gegen sein Raketenarsenal vorzugehen. Dabei dementiert Teheran seit Jahren, den Bau von Kernwaffen anzustreben – und pocht auf das Recht, Atomkraft für friedliche Zwecke zu nutzen. Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu zeigt sich jedoch unbeirrt.

Netanyahu: Können alle Atomanlagen im Iran erreichen

Israel habe die notwendigen Fähigkeiten, um alle Atomanlagen im Iran zu erreichen, antwortete Netanyahu dem israelischen TV-Sender Kan auf die Frage, ob ein erfolgreicher Angriff auf die wichtige unterirdische Atomanlage Fordo auch ohne Hilfe der USA möglich wäre. Viele Experten sind dagegen der Auffassung, dass Israel auf die Unterstützung des US-Verbündeten angewiesen wäre, um dem Fordo-Komplex einen vernichtenden Schlag zu versetzen.

Unter den westlichen Staaten verfügen nach allem, was bekannt ist, nur die USA mit ihren sogenannten Bunkerbrecher-Bomben über ausreichend schlagkräftige Waffen, um die tief in einem Berg gelegene Anlage zur Urananreicherung zu zerstören.

Seit Tagen richtet sich denn auch der Fokus auf die Frage, wie sich die USA verhalten werden. Zum Raketenarsenal des Iran sagte Netanyahu, Israel habe etwa die Hälfte aller Abschussrampen getroffen. Letztlich sei es nicht so wichtig, wie viele Raketen der Iran habe, sondern wie viele Abschussrampen, sagte der rechtskonservative Regierungschef dem Sender Kan.

Netanyahu: Umsturz im Iran muss von Bevölkerung ausgehen

Einen Umsturz im Iran verfolgt Israels Ministerpräsident Netanyahu nach eigenen Aussagen indes nicht als unmittelbares Kriegsziel. “Der Sturz des Regimes ist zuallererst eine Angelegenheit des iranischen Volkes”, sagte er dem Sender Kan. Deswegen habe er dies nicht als Kriegsziel ausgerufen. Ein Umsturz im Iran könne aber ein Ergebnis des Krieges sein, so Netanyahu.

Spekuliert wird, dass Israel mit seinen gezielten Angriffen auf Machtsymbole der Islamischen Republik womöglich einen Umsturz im Iran herbeiführen will. Verteidigungsminister Israel Katz betonte zuletzt, dass im Laufe des Krieges weitere Symbole des staatlichen Machtapparats angegriffen würden. “So brechen Diktaturen zusammen”, schrieb Katz auf der Plattform X. Zuletzt griff Israel während einer Livesendung etwa den iranischen Staatssender IRIB an.

Wie Europa und die USA bisher im Atomkonflikt verhandelt haben

Deutschland, Frankreich und Großbritannien verhandeln seit Jahren mit dem Iran im sogenannten E3-Format über dessen Atomprogramm. Trump rief den Iran in der jüngeren Vergangenheit immer wieder zu Verhandlungen über ein Ende der Urananreicherung auf. Es gab Gesprächsrunden von iranischen und amerikanischen Unterhändlern im Oman und in Rom.

Eine Resolution der internationalen Atomenergieagentur IAEA stellte am 12. Juni fest, dass der Iran nicht sein gesamtes Atomprogramm offengelegt habe. Am 13. Juni begann Israel mit Angriffen auf iranische Ziele. Eine für den 15. Juni vorgesehene weitere Runde von Atomgesprächen zwischen dem Iran und den USA wurde daraufhin abgesagt.

Die mit dem Iran verbündete, russische Regierung sieht den Nahen Osten indes am Rande einer Katastrophe und sich selbst möglicherweise dadurch gefährdet. “Die Region stürzt in einen Abgrund von Instabilität und Krieg”, sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in Moskau. “Dieser Krieg birgt die Gefahr einer geografischen Ausweitung und unvorhersehbarer Folgen. Diese Region liegt an unseren Grenzen. Das ist potenziell gefährlich für uns und bereitet uns Sorgen.”

Russland grenzt selbst an kein Land des Nahen Ostens, aber im Nordkaukasus an ehemalige Sowjetrepubliken, die ihrerseits an den Iran und die Türkei grenzen. In der Geschichte hat Moskau in der Region immer wieder mitgemischt, zuletzt wohl am stärksten, indem es lange Zeit den im Dezember gestürzten Langzeitdiktator Bashar al-Assad in Syrien mit militärischer Unterstützung an der Macht hielt. Russland hat Israels Verbündeten USA aufgefordert, nicht den Iran anzugreifen. Zudem hat sich die Regierung in Moskau, die gute Beziehungen zum Iran unterhält und auch Verbindungen zu Israel hat, als Vermittler angeboten. Dies wird jedoch abgelehnt, unter anderem weil Russland selbst Krieg gegen die Ukraine führt und dort Drohnen aus dem Iran einsetzt.

Merz telefonierte mit Erdoğan

Kurz vor dem Genfer Treffen haben der deutsche Kanzler Friedrich Merz und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan miteinander telefoniert. Merz und Erdogan hätten sich “wechselseitig über ihre Vermittlungsbemühungen informiert und sich versprochen, sich weiterhin sehr, sehr eng abzustimmen und zu informieren”, sagte der deutsche Regierungssprecher Stefan Kornelius in Berlin. Beide dringen demnach darauf, dass sich der Konflikt zwischen Israel und Iran nicht ausweiten darf. Beide seien sich auch einig gewesen, dass der Iran nicht über Atomwaffen verfügen dürfe. Beide hätten sich gegenseitig über ihre diplomatischen Anstrengungen abgestimmt. Sowohl Erdogan als auch Merz pochten auf einen baldigen Waffenstillstand in Gaza.

Erdogan teilte mit, er habe in dem Telefonat mit Merz betont, der Weg zur Lösung des Atomstreits mit dem Iran führe über den Verhandlungstisch. Die Gewaltspirale, die durch den israelischen Angriff auf den Iran ausgelöst worden sei, bedrohe die regionale Sicherheit in höchstem Maße und könne auch Europa negativ beeinflussen – insbesondere durch mögliche Migration und nukleare Lecks durch die Angriffe auf die iranischen Atomanlagen. Die Türkei werde sich weiterhin dafür einsetzen, den Konflikt zu beenden.

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron forderte eine Rückkehr zu Gesprächen mit dem Iran über dessen Atomprogramm gefordert. “Der iranische Nuklearbereich ist eine Bedrohung und in der Sache darf es keine laxe Haltung geben”, sagte Macron in Paris. Er ergänzte aber: “Niemand kann ernsthaft glauben, dass man auf diese Bedrohung mit den laufenden Operationen antwortet.” Es gebe sehr gut geschützte Werke im Iran und niemand könne derzeit genau sagen, wo sich das auf 60 Prozent angereicherte Uran befinde.

“Das ist ein Programm, über das man auch über technische Expertise und Verhandlungen die Kontrolle zurückgewinnen muss”, sagte Macron. “Die Rückkehr zu inhaltlichen Verhandlungen muss absolut priorisiert werden.” Laut Macron werden sich der französische, der britische und der deutsche Außenminister in Genf zunächst abstimmen, ehe sie gegen 15.00 Uhr Araqchi treffen und ihm ein Angebot zu umfassenden diplomatischen und technischen Verhandlungen machen. Macron sagte, man wolle einen Vorschlag für eine diplomatische Lösung unterbreiten, der vier Punkte umfasse. Zum einen solle die Internationale Atomenergiebehörde ihre Arbeit mit Blick auf keinerlei Anreicherung wieder aufnehmen und Zugang zu allen Einrichtungen erhalten. Die ballistischen Aktivitäten und die Finanzierung der Verbündeten des Iran in der Region sollten beschränkt werden.

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