Von: luk
Bozen – Mit 22 Ja-, sechs Nein-Stimmen und vier Enthaltungen hat der Landtag heute das Gesetz zur Direkten Demokratie verabschiedet.
Die Erklärungen zur Stimmabgabe, die Replik der Einbringerinnen
Ulli Mair (Freiheitliche) kündigte Stimmenthaltung an. Es sei geschehen, was man befürchtet habe, viel Schall und Rauch. Das Ziel sei die Senkung der Unterschriftenhürde und des Quorums gewesen. Immerhin sei das Quorum von 25 Prozent eine Verbesserung, ebenso das Abstimmungsheft, die 13.000 Unterschriften hingegen nicht. So werde direkte Demokratie erschwert. Skeptisch sah sie das Büro für politische Bildung, das keine Neutralität garantiere. Die politische Bildung gehöre in die Schule. Man habe einen enormen Aufwand betrieben, die Bürger eingebunden und ihnen falsche Hoffnungen gemacht.
Laut Walter Blaas (F) hat der Berg nicht einmal eine Maus geboren. Man habe so lange daran gearbeitet und darauf gewartet, verbunden mit einem gewissen finanziellen Aufwand, und das Ergebnis sei sehr mager. Einiges, wie die Bildungsferne, konnte zum Glück herausgestrichen werden. Die Hürde von 13.000 sei mit einem Trick eingeführt worden. Die Rückvergütung von 1 Euro wäre bei 8.000 Unterschriften günstiger gewesen. Man hätte Alternativen zu diesem Gesetz gehabt, man hätte auch das Baumgartnergesetz anpassen können. Er glaube nicht, dass dieses Gesetz funktionieren werde. Er werde dagegen stimmen.
Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) hätte sich auch mehr erwartet. Der große Wurf sei es nicht, und dabei habe man viel Geld hineingesteckt. Man sei auch hier wieder Rom gegenüber unterwürfig, wenn man gewisse Fragen ausklammere, etwa die ethnisch-kulturell sensiblen Bereiche. Dadurch würden viele Themen, die für eine Abstimmung interessant wären, vom Tisch wischen. Durch das Vetorecht einzelner Gemeinden sei das Ganze nicht mehr direkte Demokratie. Die Unterschriftenhürde von 13.000, die durch die Hintertür eingeführt wurde, zeige, dass ein falsches Spiel getrieben wurde. Die Erweiterung der Zeit für die Unterschriftensammlung sei keine wesentliche Erleichterung. Positiv sei die Senkung des Quorums. Die Ausnahme der Beschlüsse der Landesregierung von einer Volksabstimmung habe nichts mehr mit direkter Demokratie zu tun. Das sei Grund genug, dagegen zu stimmen.
Hans Heiss (Grüne) sah bildungsfern nicht als diskriminierend und verwies auf Trump, der sicher nicht zur Unterschicht zu zählen sei. Das Geld, das für die Erarbeitung des Entwurfs ausgegeben wurde, sei gut investiert, er habe auch das Verhalten der Abgeordneten geänderten, die sich frei vom Fraktionszwang bewegten. Heiss lobte die Senkung des Quorums und die Ausweitung der Instrumentarien. Auch wenn der Entwurf auf Druck der Mehrheit reduziert worden sei, sei der Inhalt nicht zu verachten. Die Mehrheit hätte vor den Wahlen eine schlechte Figur gemacht, wenn sie das Gesetz versenkt hätte. Die Initiative für Demokratie und die anderen Vereine und Verbände hätten die Diskussion befruchtet. Heiss dankte schließlich Amhof, Foppa und Noggler für die Redaktion des Entwurfs.
Für Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore) enthält das Gesetz auch gefährliche Elemente. Es habe eine lange Vorlaufzeit, komme aber verkürzt durchs Ziel. Wenn das Gesetz verabschiedet werde, müsse es auch angewendet werden, auch wenn er ein Anhänger der repräsentativen Demokratie sei. Daher richte er den Appell an die Opposition, alle Landesgesetze einer Volksabstimmung unterziehen zu lassen. Zusammen und mit Unterstützung der Vereine werde man 13.000 Unterschriften wohl zusammenbringen. Deutlich negativ sah Urzì das Büro für politische Bildung, von dem eine Indoktrinierung zu befürchten sei.
Paul Köllensperger bezeichnete das Gesetz als Kompromiss eines Kompromisses. Die Senkung des Quorums sei ein Fortschritt. Man dürfe keine Angst vor der direkten Demokratie haben, die Bürger würden sich mehr engagieren. Köllensperger dankte Amhof, Foppa und Noggler für ihre Arbeit und kündigte Unterstützung an. Köllensperger teilte in persönlicher Angelegenheit mit, dass er nicht mehr die 5 Sterne Bewegung vertrete, das sähen die Regeln der Bewegung so vor. Ein Rücktritt zahle sich nicht mehr aus, aber er werde seinen Platz nun räumen und sein Gehalt ab Juli für gute Zwecke spenden. Er habe die politische Arbeit in dieser Zeit schätzen gelernt und hoffe, die direkte Demokratie bringe eine Aufwertung auch der Politik.
Andreas Pöder (BürgerUnion) dankte Köllensperger für die Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg. Er kritisierte Parteien, die meinten, sie könnten über die von den Wählern vergebenen Mandate verfügen. Beim vorliegenden Gesetzentwurf sei jede Änderung in Richtung mehr Bürgerbeteiligung ein Gewinn. Er enthalte Pferdefüße wie die Unterschriftenhürde, aber eine Verschlechterung könne er auch nicht erkennen. Unterm Strich blieben ein paar neue, wichtige Ansätze, daher werde er zustimmen.
Oswald Schiefer (SVP) stellte mit Genugtuung fest, dass das Gesetz eine Verbesserung sei. Er dankte Amhof, Noggler und Foppa für ihren Einsatz. Wenn auch nicht allen alles gepasst habe, sei doch für alle etwas drin. Es gebe weder Sieger noch Verlierer. Was noch zu verbessern sei, werde man bei der Anwendung sehen. Es werde noch genügend Gelegenheit zur Anpassung geben.
Vor vier Tagen habe noch niemand gewusst, ob dieses Gesetz verabschiedet wird, erklärte Riccardo Dello Sbarba (Grüne). Nach dem Konvent wäre ein zweites Scheitern für alle fatal gewesen. Dieses Gesetz sei auf jeden Fall eine Verbesserung gegenüber dem Baumgartner-Gesetz. Natürlich, einige Einschnitte täten weh, etwa die Unterschriftenhürde oder die Abschaffung der Abgeordneteninitiative zur Volksabstimmung. Erfolge seien das bestätigende Referendum zu Landesgesetzen, das Quorum von 25 Prozent, das Abstimmungsheft, der Bürgerrat und das Büro für politische Bildung. Er dankte vor allem Amhof und Foppa, die das Anliegen vorangebracht hätten. Die Debatte sei hingegen enttäuschend verlaufen, mit Abänderungsanträgen aus dem Hinterhalt.
Brigitte Foppa (Grüne) bemerkte, dass in diesem Haus oft von “den Leuten draußen” gesprochen werde. Diese Grenze aufzuheben, sei für sie die Motivation bei der Erstellung dieses Gesetzentwurfs gewesen. Man habe in diesem Entwurf an mehreren Stellen eine bessere Verzahnung zwischen Bürgern und Politik versucht, einiges davon sei leider wieder entfernt worden. Die Unterschriftenhürde sei wohl erhöht worden, aber die Unterschriftensammlung werde erleichtert. Wichtig sei das bestätigende Referendum, auch wenn es nicht mehr die Abgeordneten einleiten könnten. Foppa bedankte sich bei Amhof für die gute Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg.
Sven Knoll (STF) sah in der Debatte ein Lehrstück über Demokratie und darüber, was passiere, wenn Oppositionsparteien mit der Mehrheit zusammenarbeiten würden. Man habe den Entwurf nun schrittweise verschlechtert, wichtige Themen seien ausgeklammert worden, die Promotoren bekämen keinen Rechtsbeistand, ein Richterkollegium entscheide über die Zulassung. Die vielen Menschen, die an diesem Gesetz mitgearbeitet hätten, würden an der Nase herumgeführt. Über Beschlüsse der Landesregierung dürfe keine Abstimmung mehr abgehalten werden, das sei eine Einschränkung der Demokratie par excellence, die in den letzten Sekunden in den Text hineingeschmuggelt worden sei. Die Landesregierung könne nach den Wahlen die Wiederaufnahme des Flugbetriebs beschließen, und niemand könne sich dagegen wehren. Dieser Maulkorb für die Bevölkerung sei inakzeptabel.
Magdalena Amhof (SVP) bescheinigte der Volkspartei Mut, wenn sie dieses Gesetz heute mittrage. Die Debatte dieser Woche sei eine Lehrstunde des Parlamentarismus gewesen. Viele hätten die Möglichkeit gehabt, hier mitzuarbeiten. Amhof kritisierte die Mitglieder des Gesetzgebungsausschusses, die sich ausgeklinkt hätten und heute den Entwurf schlechtredeten. Sie habe den Eindruck, man habe drei Mitglieder des Ausschusses arbeiten lassen und darauf vertraut, dass die Volkspartei den Entwurf schon versenken werde. Die Zusammenarbeit mit Foppa sei zeitweise schwierig, aber insgesamt gut gewesen. Amhof dankte Noggler auch dafür, dass er in schwierigen Phasen vermittelt habe. Amhof dankte auch der Regierung und vor allem dem Landeshauptmann, denn dieser habe letztendlich den Ausschlag gegeben, dass der Entwurf weiter behandelt werden konnte. Am Montag sei sie noch nicht davon ausgegangen. Es sei kein verstümmeltes Gesetz, es sei ein Kompromiss, und das sei an sich gut.
Der Gesetzentwurf Nr. 134/17 wurde mit 22 Ja, sechs Nein und vier Enthaltungen genehmigt.
Schließlich wurden die anderen Gesetzentwürfe zur direkten Demokratie abgelehnt.
SVP: “Ein mutiger Schritt in Richtung mehr Partizipation”
“Allen Unkenrufen zum Trotz hat der Südtiroler Landtag das neue Gesetz zur direkten Demokratie mit 22 Stimmen genehmigt. Mit Abstrichen zwar, doch mit klarer Botschaft: Ja, wir wollen mehr Bürgerbeteiligung! Wir stehen zu den Grundprinzipien unserer Partei. Eines davon ist die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger. Mehr Partizipation ist und bleibt ein vorrangiges Ziel. Heute, mit der Genehmigung des neuen Gesetzes zur direkten Demokratie haben wir einen mutigen Schritt in diese Richtung getan”, sagt Oswald Schiefer, Fraktionsvorsitzender der Südtiroler Volkspartei.
Direkte Demokratie ist die Ergänzung und das Korrektiv zur repräsentativen Demokratie. Mit dem neuen Gesetz zur direkten Demokratie könne man durchaus von einer politischen Neuausrichtung sprechen, meint Oswald Schiefer. “Der Grundstein ist gelegt – jetzt müssen wir darauf aufbauen. Bestimmt wird die Qualität unserer Gesetze steigen”, ist Schiefer überzeugt und fügt hinzu: “Weniger, besser und partizipativer werden sie künftig sein!” Das neue Gesetz zur direkten Demokratie entspreche zwar nicht der Optimalvorstellung der Südtiroler Volkspartei, sei aber ein akzeptabler und unterstützenswerter Kompromiss. “Deshalb habe ich im Vorfeld alle Diskussionen in meiner Fraktion zugelassen. Letztendlich haben wir am Ziel unseres Landeshauptmannes festgehalten: Wir haben für Partizipation gestimmt.”
“Die Thematik ist delikat, das Prozedere war kein Kinderspiel. Doch es war spannend bis zum Schluss”, betont die Landtagsabgeordnete Magdalena Amhof, welche das Gesetz mit Parteikollegen Sepp Noggler und der Grünen Abgeordneten Brigitte Foppa einbrachte. Viele hätten mitgestaltet, mitdiskutiert und mitgeschrieben. Es war ein lehrreicher, partizipativer Prozess, der sich bis in die Aula des Südtiroler Landtages fortsetzte. Das Endergebnis sei ein Kompromiss, bei dem jede Partei zurückstecken musste. “Jeder musste ‘Federn lassen’. Deshalb ist es wenig wertschätzend und unkollegial hier von einem ‘Stümpergesetz’ zu sprechen”, sagt Amhof. Vor allem, wenn diese Bezeichnung vonseiten jener Oppositionsvertreter komme, die am Gesetz nicht mitarbeiten wollten und sich stattdessen wie gewohnt populistischer Ausdrucksweisen bedienen. “Sicher, Kompromisse tun weh, aber eine Demokratie lebt von Kompromissen. Besonders in dieser Angelegenheit und gerade, wenn wir Bürgerbeteiligung in unserem Land Schritt für Schritt verbessern wollen”, betont Amhof. Für sie ist das Gesetz auch in anderer Hinsicht ein Erfolg: “Es ist das erste überparteiliche Gesetz, erarbeitet mit Beteiligung vieler Südtirolerinnen und Südtiroler. Es ist ein ehrlicher und akzeptabler Kompromiss, aus dem wir jetzt das Beste machen sollten.”
STF: “Großer Aufwand – minimaler Erfolg”
“In den Landtagssitzungen zur direkten Demokratie wurde folgendes entschieden: Über sensible Bereiche darf die Bevölkerung nicht abstimmen. Beschlüsse der Landesregierung sind für das Volk unantastbar. Die Unterschriftenhürde für die Abhaltung einer Volksabstimmung wurde von 8.000 auf 13.000 erhöht. Dies alles war Grund genug für die Süd-Tiroler Freiheit dagegen zu stimmen”, heißt es in einer Aussendung.
“Die Unterschriftenhürde für die Abhaltung einer Volksabstimmung wurde mit einem „fragwürdigen Änderungsantrag“ der SVP auf 13.000 erhöht, zumal die Süd-Tiroler Freiheit in einem Antrag die Senkung der Hürde auf 5.000 forderte. Hier sieht man einmal mehr, dass die SVP nur im eigenen Sinne handelt. Was ihnen nicht zugutekommt, wird nicht zugelassen“, ärgert sich die Landtagsabgeordnete der Süd-Tiroler Freiheit, Myriam Atz Tammerle.
Zudem habe die SVP entschieden, dass die Bevölkerung nicht bei Allem mitentscheiden sollte, besonders nicht bei sensiblen Bereichen. “Bei Beschlüssen der Landesregierung hat die Bevölkerung gar kein Mitspracherecht. Zukünftig kann die Landesregierung beispielsweise einen Beschluss zur Vergrößerung des Bozner Flughafens beschließen und das Volk hat keinen Einfluss darauf“, zeigt die Abgeordnete auf. “Damit hat die Landesregierung ihr wahres Gesicht gezeigt, indem sie der Bevölkerung bewusst einen Maulkorb aufsetzt“, kritisiert Atz Tammerle.
Die Süd-Tiroler Freiheit zeigt sich enttäuscht über das „magere Ergebnis“, nach so einem langwierigen und aufwendigen Prozess. „Mit dem Titel ‚Bürgerbeteiligung’ kann man dieses Gesetz nicht wirklich identifizieren, genauso wie man die SVP schon lange nicht mehr mit dem Titel ‚Volkspartei‘ identifizieren kann“, meint Atz Tammerle.
SJR erfreut
Der Südtiroler Jugendring (SJR) ist erfreut, dass im neuen Gesetz zur direkten Demokratie vorgesehen ist, dass bereits 16-Jährige bei beratenden Volksbefragungen abstimmen können.
„Wir sind erfreut, dass nunmehr bei beratenden Volksbefragungen alle Personen, die am Wahltag das 16. Lebensjahr vollenden, zugelassen sind“ so Vanessa Macchia, stellvertretende SJR-Vorsitzende. Bekanntlich setzt sich der SJR schon lange für eine Herabsenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre ein. „Jugendliche werden im Alltag oft bereits lange vor dem 18. Lebensjahr wie Erwachsene behandelt: 16-Jährige sind straffähig, müssen über ihren Bildungsweg und ihre berufliche Zukunft entscheiden und sind zum Teil schon berufstätig. Daher ist nicht verständlich, warum junge Menschen nicht auch politisch mitentscheiden sollten“ bezieht Macchia Stellung. Außerdem fördere eine Herabsenkung des Wahlalters das Gleichgewicht der Generationen bei demokratischen Entscheidungen in einer alternden Gesellschaft, so der SJR.
In Österreich haben österreichische Staatsbürger/innen ab 16 Jahren bei den Gemeinderats-, Landtags-, Nationalratswahlen, bei der Bundespräsident/innenwahl und den Wahlen zum Europäischen Parlament das aktive Wahlrecht. Auch für Volksabstimmungen, Volksbegehren und Volksbefragungen gilt Wählen ab 16. In Deutschland besteht ein aktives Wahlrecht der 16-Jährigen teilweise bei den Landtagwahlen und teilweise bei den Kommunalwahlen.
Daher ist der SJR erfreut, dass im neuen Gesetz zur direkten Demokratie in Bezug auf beratende Volksbefragungen auch 16-Jährige abstimmungsberechtigt sind. „Wermutstropfen ist allerdings, dass das Volksbegehren nur von Personen, die für die Wahl des Südtiroler Landtages wahlberechtigt sind, ausgeübt werden kann – und daher 16-Jährige hiervon ausgeschlossen sind“ bemängelt Kevin Hofer, SJR-Geschäftsführer. Der SJR hofft diesbezüglich noch auf Nachbesserungen und ruft des Weiteren alle Entscheidungsträger/innen dazu auf, sich auch darüber hinausgehend für eine Herabsenkung des Wahlalters auf 16 Jahre einzusetzen.