Nachruf von Martha Stocker und Karl Zeller

Heinrich Oberleiter “nun in seiner wirklichen Heimat angekommen”

Sonntag, 15. Januar 2023 | 17:48 Uhr

Bozen – Der Südtiroler Freiheitskämpfer Heinrich Oberleiter ist am 4. Jänner 2023 an den Folgen eines Verkehrsunfalls in Deutschland verstorben. Der 81-Jährige ist seinen schweren Verletzungen erlegen. Vor rund einem Jahr war er von Staatspräsident Sergio Mattarella begnadigt worden. Oberleiter, der 13 Jänner 1941 geboren ist, war einer von vier “Pusterer Buam”, die in den 1960-er Jahren für mehrere Anschläge in Südtirol verantwortlich waren. Die ehemalige Landesrätin Martha Stocker und der ehemalige SVP-Parlamentarier Karl Zeller haben einen Nachruf verfasst, der hier im Wortlaut folgt:

Jeder von uns hat unterschiedliche Bilder von Heinrich Oberleiter im Kopf, ob dahinter nun real erlebte Situationen oder durch Medien vermittelte Bilder stehen. Meist aber ist es ein Bild, das sich einem besonders eingeprägt hat. Uns – Karl Zeller und mir – wird besonders die herzliche Aufnahme, die wir in Gössenheim bei unserem letzten Besuch Anfang 2022 bei Heinrich erleben konnten, in besonderer Erinnerung bleiben. Wir wurden dort so herzlich aufgenommen, als würden wir heimkehren. Und was Heimkehr für Heinrich bedeutet hat, das konnte er und konnten viele von uns Gott sei Dank noch miterleben.

Es war ein langer Weg, es war ein beschwerlicher und aufopferungsvoller Weg, den Heinrich Oberleiter sein Leben lang gegangen ist, aber „es gibt immer einen Weg“, so der Buchtitel seiner Lebensbeschreibung. Es ist aber auch der zentrale Satz auf seinem Sterbebildchen. Der Devise entsprechend, dass es immer einen Weg gibt, hat er auch gelebt. Er hat sich den verschiedenen Herausforderungen seines Lebens gestellt und sich den Situationen, die sich daraus ergaben, angepasst.

Er hatte nach vielen Schwierigkeiten und Opfern auch großes Glück: Er fand eine mutige Frau, die seine besondere Situation akzeptiert hat und immer an seiner Seite stand. Großes Glück hatte er auch mit seinen drei Kindern, die durch ihn geprägt und von ihm in einem starken Gottvertrauen erzogen wurden. Die Arbeit auf einem Hof in Bayern mit biologischer Landwirtschaft und schließlich in einem SOS-Kinderdorf ermöglichte ihm nicht nur, seine Fähigkeiten umzusetzen, sondern forderte ihn auch als Pädagogen. Gerade die Arbeit auch mit behinderten Kindern zeigte sein Einfühlungsvermögen, in welchem er für viele zum großen Vorbild wurde. Die uneingeschränkte Bewunderung seiner Familie erwarb er sich dann ganz besonders in der jahrelangen aufopfernden Pflege seiner demenzkranken Frau. Das war seine wahre Großtat, so seine Tochter Sonja.

Heinrich Oberleiter war jener der vier Pusterer Buibn, der während der Anschläge in den 60-er Jahren am längsten in Südtirol, seiner geliebten Heimat, verblieben war. Erst im Dezember 1963 wurde auch er zu einem Heimatlosen, nachdem er zusammen mit Rosa Ebner auf der Flucht gefangen genommen und von Angehörigen der Finanzwache verhört worden war. Es gelang ihm dann aber eine spektakuläre Flucht. Er meinte dazu in einem Interview, dass er damals gedacht habe, er, Heinrich, habe schon das Möglichste versucht, jetzt sei der Herrgott dran, etwas zu tun; und siehe da, dieser habe ihm bei der Flucht geholfen.

Die Anschläge, welche die vier aus dem Pustertal in den 60-er Jahren verübten, waren Ausdruck von Ohnmacht und der Rechtlosigkeit, die der italienische Staat die Südtiroler in dieser Zeit Tag für Tag spüren ließ, so Heinrich bei der Pressekonferenz am 29. Juli 2022 in Sand in Taufers. Besonderen Eindruck hinterließen bei ihm auch die Willkür und Ungerechtigkeit der italienischen Justiz, vor allem beim Pfunderer Prozess. Die Urteile waren politisch vorgegeben und in keiner Weise sachlich begründet. Auch die Schwierigkeit im eigenen Land eine Arbeit und eine Wohnung zu finden, während für die weiterhin zuziehenden Italiener alles selbstverständlich gegeben war, machte ihm klar, dass etwas getan werden musste, sollten die jungen SüdtirolerInnen eine Zukunft in der eigenen Heimat haben. Hier stellte sich für ihn damals die Frage: Tun oder Nichtstun? Er entschied sich für die Aktion, mit den so schwerwiegenden Folgen für sein Leben und das seiner Familie.

Für die Anschläge in den 60-er Jahren wurde Heinrich in Abwesenheit zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt. Heinrich Oberleiter und seine Familie haben dies lange Zeit einfach hingenommen. 2017 brachte die Familie in Erfahrung, dass ein Gnadengesuch an den Staatspräsidenten auch von Familienangehörigen eingereicht werden kann. Die Tochter Sonja und ihre Brüder haben ein solches mit fachkompetenter Begleitung und unter maßgeblichem Einsatz von Senator Karl Zeller im Jahr 2018 eingereicht. Nach über 3 Jahren war es dann so weit, das Gnadengesuch wurde am 9.12.2021 vom italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella angenommen. Dieser Akt wurde damit begründet, dass Heinrich Oberleiters Taten keine Todesfälle zur Folge gehabt haben, außerdem habe Oberleiter ausdrücklich auch sein Bedauern für das Leid der Opfer der Attentatsserie und deren Angehörigen zum Ausdruck gebracht. Ausschlaggebend war auch sein vorbildliches, durch starke Religiosität geprägtes späteres Leben.

Die langersehnte Begnadigung war dann der Moment, wo Heinrich Oberleiter endlich konkret seine Rückkehr in die Heimat planen konnte. Zweimal war es ihm beschieden, seine Heimat Südtirol in unterschiedlicher Weise und in Begegnung mit unterschiedlichen Menschen in sich aufnehmen zu können.

Heinrich ist nicht mehr sichtbar unter uns. Er ist nun in seiner wirklichen Heimat angekommen.  Heinrich wird uns in Haltung, Einstellung und Verhalten immer ein Vorbild bleiben.

Heinrich Oberleiter hat auch durch seinen Mutterwitz und seinen Charme, sein Einfühlungsvermögen, die überlegte Nachdenklichkeit, das geerdete, zufriedene, durch Leiden und Freuden geformte Leben gewirkt. Und beeindruckend war auch seine Demut, sein Sich-Zurücknehmen-Können. Davon zeugte auch seine Aussage, dass man Gnade, in seinem Falle die Begnadigung durch den italienischen Staatspräsidenten, auch annehmen können muss. Dies ist nicht allen gegeben und es ist auch nicht leicht, um Gnade zu ersuchen.

Heinrich lässt uns alle nicht ohne einen Auftrag zurück: Sein Leben, seine Haltung und sein Verhalten geben uns eine Richtschnur auch für das Heute mit. Es geht wohl immer um die Frage: welche Aufgabe haben wir in dieser Welt und wie werden wir ihr gerecht, der Aufgabe und den Menschen, die sie betreffen. Und für diesen Auftrag in Verantwortung gibt uns Heinrich ein “Segn’s Gott“ mit, einen Wunsch, den er immer wieder ausgesprochen hat. Diesen Leitspruch, der ausdrückt, dass wir in allem auch noch auf einen Höheren hoffen können, werden wohl einige von uns immer mit ihm verbinden.

Von: mk

Bezirk: Bozen