Rede des Hisbollah-Chefs war mit Spannung erwartet worden

Hisbollah-Chef: Israel hat “alle roten Linien überschritten”

Donnerstag, 19. September 2024 | 22:58 Uhr

Von: APA/AFP/Reuters/dpa

Nach der Explosion hunderter Kommunikationsgeräte der pro-iranischen Hisbollah im Libanon hat der Chef der schiitischen Miliz mit “harter Vergeltung” gedroht. Israel werde seine “gerechte Strafe” erhalten, sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah am Donnerstag in einer Fernsehansprache. Mit den Explosionen, bei denen nach Regierungsangaben mindestens 37 Menschen getötet und mehr als 2.900 weitere verletzt wurden, habe Israel “alle roten Linien überschritten”.

Die Anschläge am Dienstag und Mittwoch könnten als Kriegserklärung aufgefasst werden, betonte er in der mit Spannung erwarteten Rede weiter. Ob es tatsächlich zu einem offenen Krieg zwischen der radikal-islamischen Miliz und dem israelischen Militär kommen wird, ließ er zunächst offen.

Die Hisbollah werde ihre seit elf Monaten andauernden Angriffe auf israelisches Gebiet nicht einstellen, solange Israel weiter im Gazastreifen Krieg gegen die verbündete Hamas führe, sagte Nasrallah. Die vor den Kämpfen geflohenen Bewohner Nordisraels könnten nicht in ihre Heimat zurückkehren: “Keine militärische Eskalation, keine Tötungen, keine Morde und auch kein umfassender Krieg können die Bewohner wieder ins Grenzgebiet zurückbringen.”

Nasrallah warf Israel versuchten “Völkermord” vor. “Innerhalb von zwei Tagen und binnen einer Minute pro Tag hat Israel darauf abgezielt, mehr als 5.000 Menschen zu töten”, sagte er in seiner Rede. “Dieser kriminelle Akt kommt einer Kriegserklärung gleich”, so Nasrallah. “Die Bestrafung wird kommen.” Wann, wo und wie werde man sehen, wenn der Zeitpunkt gekommen sei.

Nasrallah sieht – wie auch Militär- und Geheimdienstexperten – Israel als Drahtzieher hinter den Explosionen. Die Regierung in Jerusalem hat sich zu den Vorfällen weder bekannt noch eine Verantwortung dementiert. Der Hisbollah-Chef kündigte eine interne Untersuchung an.

Israel will durch militärischen und diplomatischen Druck erreichen, dass der Beschuss des Nordens aufhört und die Hisbollah sich wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht – so wie es eine UNO-Resolution vorsieht. Danach sollen rund 60.000 Menschen, die sich aus der Grenzregion zum Libanon in andere Landesteile in Sicherheit bringen mussten, in ihre Häuser und Wohnungen zurückkehren können.

Nasrallah sagte weiter, es bestehe kein Zweifel, dass die Hisbollah einen schweren Schlag erlitten habe. Er sei “in der Geschichte unseres Widerstands und vielleicht in der Geschichte des Konflikts mit dem Feind beispiellos”. Der Hisbollah sei bewusst, dass Israel technologisch überlegen sei – “insbesondere, weil es von den USA und dem Westen unterstützt wird”.

Während Nasrallahs Rede im Fernsehen lief, ging der gegenseitige Beschuss an der israelisch-libanesischen Grenze unvermindert weiter. Zwei israelische Soldaten wurden bei Angriffen aus dem nördlichen Nachbarland getötet. Die israelische Armee teilte mit, ein 20 Jahre alter Soldat und ein 43 Jahre alter Reservist seien im Norden des Landes gefallen.

Die Hisbollah greift seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast einem Jahr Ziele in Israel an, nach eigener Aussage aus Solidarität mit der islamistischen Hamas. Sie will die Angriffe erst bei einer Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel einstellen. Der fast tägliche Beschuss hat sich zu einem niedrigschwelligen Krieg entwickelt. Im Libanon wurden etwa 600 Menschen getötet, die meisten davon Hisbollah-Mitglieder. In Israel kamen offiziellen Angaben zufolge 48 Menschen durch die Angriffe der schiitischen Miliz ums Leben, darunter Soldaten, aber auch viele Zivilisten.

Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi genehmigte nach Militärangaben Pläne “für die Fortsetzung des Kriegs” an der nördlichen Front. Genauere Details nannte die Armee nicht. Es war lediglich die Rede von “Plänen für die nördliche Arena”, mit Blick auf das Nachbarland Libanon.

Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant kündigte eine Fortsetzung der Angriffe auf die libanesische Hisbollah-Miliz an. “Die Hisbollah fühlt sich verfolgt”, sagte Gallant nach Angaben seines Büros. “Die Serie unserer Militäraktionen wird weitergehen.”

Das israelische Militär teilte mit, es seien rund 30 Raketenabschussrampen der Hisbollah beschossen worden. Außerdem habe die Luftwaffe “Terror-Infrastruktur” und ein Waffenlager im Süden des Libanon attackiert. Artillerie habe das Gebiet von Naqoura (Nakura) beschossen.

Libanesische Sicherheitskreise sprachen von einer der schwersten israelischen Angriffswellen seit Beginn des gegenseitigen Beschusses im Oktober. Binnen 20 Minuten seien rund 70 Ziele angegriffen worden. Sie bestätigten, es seien Raketenabschussrampen getroffen worden. Es war bereits die zweite Serie israelischer Luftangriffe im Libanon am Donnerstag.

Den am Dienstag und Mittwoch explodierten elektronischen Geräten waren ersten libanesischen Ermittlungsergebnissen zufolge vor der Ankunft im Land Sprengsätze eingepflanzt worden. Die Zündung sei dann durch elektronische Signale erfolgt, hieß es in einem Brief der libanesischen UNO-Vertretung, in den die Nachrichtenagentur Reuters Einblick erhalten hat.

Der französische Präsident Emmanuel Macron telefonierte seinem Büro zufolge mit hochrangigen Politikern und Militärs im Libanon. Sie sollten auf die Hisbollah-Miliz einwirken, eine Eskalation zu vermeiden. US-Außenminister Antony Blinken erklärte kurz darauf, man teile die Haltung Frankreichs. Nach Ansicht seiner Regierung sei ein Waffenstillstand weiter möglich und notwendig. Keine der Konfliktparteien solle eine Eskalation herbeiführen, die ein solches Abkommen erschweren würde.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zeigte sich “zutiefst besorgt” über die jüngsten Entwicklungen im Libanon. “Die Folgen einer weiteren Eskalation wären verheerend für die gesamte Region”, unterstrich der Minister am Donnerstagabend auf X. “Die Sicherheit der UNIFIL-Friedenstruppe muss zu jeder Zeit garantiert sein!” Das österreichische Bundesheer ist mit mehr als 160 Soldaten an der UNO-Mission beteiligt. Das Hauptquartier der Friedenstruppe befindet sich im Camp Naqoura im Südwesten des Landes.

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