Plenarsitzung

Kampf für das Kohlröschen im Landtag

Mittwoch, 10. November 2021 | 15:56 Uhr

Bozen – Im Landtag wurden am Mittwochvormittag Anträge von Team K, dem PD und den Grünen behandelt. Unter anderem ging es dabei auch um eine Orchideenart am Puflatsch, die durch den geplanten Bau eines Speicherbeckens in Gefahr ist.

Beschlussantrag Nr. 111/19: Bildungssystem 0 – 14 (eingebracht von den Abg. Rieder, Köllensperger, Ploner F., Ploner A., Faistnauer und Unterholzner am 05.06.2019). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1. Ein zukunftsweisendes Konzept zu erarbeiten, mit dem eine Bildungs- und Betreuungskontinuität von 0-14 Jahren in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten (Familien, Wirtschaft, Politik, Institutionen, Sozialpartner, …) gewährleistet wird; 2. das Landesgesetz Nr. 5/2008 sowie das Familienförderungsgesetz Nr. 8/2013 abzuändern und sämtliche Regelungen und Gesetzesbestimmungen betreffend das Betreuungs- und Bildungssystem 0-14 in einem Einheitstext zusammenzufassen.

“Die Bildungslandschaft Südtirols befindet sich im Wandel”, bemerkte Maria Elisabeth Rieder (Team K). Schulen und Kindergärten haben in den letzten Jahren, aufgrund verschiedenster Faktoren, schleichend ihre Öffnungszeiten und ihre Stundenpläne verändert. Kindergärten sperren früher zu, Schulen verlängern die Vormittage, um auf Nachmittagsunterricht verzichten zu können. Dies stellt Familien vor sehr große Herausforderung. Während Eltern für ihre 0-3jährigen Kinder in Kinderhorten, Kindertagesstätten oder bei Tagesmüttern/-vätern flexible Betreuungszeiten vereinbaren können, gibt es kaum Kindergärten mit verlängerten Öffnungszeiten und Schulkinder kommen meistens mittags nach Hause. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele Familien sehr komplex. Eltern, zumeist die Mütter, müssen ihre Arbeitszeiten immer wieder an die Schul- oder Betreuungszeiten der Kinder anpassen. Dies ist aber nicht in jedem Beruf möglich.” Der Notstand habe diese Herausforderungen noch verstärkt. “Eine neue Organisation von Bildungsarbeit erfordert neue Maßnahmen. Bildung, Betreuung, Familie und Wirtschaft müssen sich vernetzen. Bildungsträger müssen flexibler auf die Bedürfnisse der Familien und besonders der Kinder und Jugendlichen reagieren. Ganztagsschulen als zusätzliches Angebot sollen angedacht werden.” Die Familien hätten Schwierigkeiten, in den Sommermonaten, aber auch unterm Jahr am Nachmittag die Betreuung zu organisieren. In der Wirtschaft herrsche Nachholbedarf bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Wie bei der Umwelt gebe es auch in diesem Bereich viele leere Worte, es könne aber nur funktionieren, wenn alles zusammen organisiert werde, meinte Alex Ploner (Team K). Alle Stakeholder müssten zusammenarbeiten. Starre Regeln würden nicht mehr greifen, es brauche auch Orte, an denen sich Kinder aufhalten könnten, um die Hausaufgaben zu machen.

Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) kündigte seine Zustimmung an und regte auch an, die Kinderhorte gratis zur Verfügung zu stellen. Dies würde vielen Frauen den Erhalt des Arbeitsplatzes ermöglichen. Die Kinderbetreuung solle aber durchaus auch Männeraufgabe werden. In den Städten gebe es mehr Bedarf an Betreuungsstrukturen als an Beiträgen. Ein Einheitstext sei ein guter Vorschlag, da er die Verwaltung des ganzen Bereichs vereinfachen würde.

Brigitte Foppa (Grüne) an die Anhörung von 2020 zum Thema. Das Problem bestehe weiterhin, vor allem, wenn beide Eltern arbeiten. Einiges habe sich verbessert, aber es fehlten noch ein einheitliches Angebot und Betreuungskontinuität. Sie sei sich aber nicht sicher, ob es gut sei, alles in ein einheitliches System zu packen. Die Grünen wie der PD wären für ein einheitliches Bildungssystem, aber das sei nicht gegeben. Sie bat um getrennte Abstimmung zu den einzelnen Punkten.

Magdalena Amhof (SVP) bestätigte, dass die Familien eine verlässliche und planbare Kinderbetreuung bräuchten. Aber die Unterscheidung zwischen Betreuung und Bildung sei aufrecht zu erhalten. Oft könne man den Bedürfnissen der Eltern nicht entgegenkommen, das sei wahr, aber das sei hauptsächlich dem Mangel an qualifiziertem Personal geschuldet. In der Bildung habe man aus politischen Gründen drei Systeme, und daran müsse man festhalten.

LR Waltraud Deeg wehrte sich gegen ein Schlechtreden der Situation, es sei in den letzten Jahren viel getan worden, aber darauf gehe der Antrag nicht ein, auch nicht auf den Beschluss der Landesregierung zur Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Systemen. Über 90 Prozent der Eltern hätten sich z.B. in einer Umfrage sehr zufrieden mit dem Sommerbetreuungsangebot geäußert. Verbesserungspotenzial gebe es immer, aber wer das derzeitige Angebot als schlecht bezeichne, verkenne, was geleistet wurde. Südtirol sei die einzige Region in Italien gewesen, die die Kinderhorte während der Pandemie offengehalten habe. Eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Angeboten gebe es bereits.

LR Philipp Achammer erinnerte an die Schwierigkeiten bei der Umstellung auf die 5-Tage-Woche und die hohe Erwartungshaltung für flexiblere Zeiten. Die Eltern erwarteten sich einen möglichst langen Wochenkalender mit gleichzeitig höchster Qualität; das sei angesichts des Mangels an Personal und Strukturen schwierig zu leisten. Es brauche, anstatt eines Einheitstexts, eine verstärkte Diskussion über die Schnittstellen zwischen Schule und Betreuung.

LR Giuliano Vettorato wollte ebenfalls zwischen Bildung und Betreuung unterschieden wissen. Das Bildungsangebot sei auf jeder Stufe kohärent ausgelegt, die Arbeitszeiten des Personals seien auf die Schulstunden ausgelegt. Es sei auch eine Frage der Kosten, die über die Schulstufen vergleichbar sein müssten.
Maria Elisabeth Rieder betonte, dass die vielen Hilfslösungen nicht darüber hinwegtäuschen könnten, dass viele Eltern vor Problemen stünden. Sie verteidigte den Einheitstext, es wäre auch eine Gelegenheit, über eine gemeinsame Volksschule zu reden. Rieder wehrte sich vehement gegen Deegs Vorwurf, die verschiedenen Maßnahmen der Landesregierung nicht zu kennen. Sie habe nie gesagt, dass Schule oder Betreuung schlecht seien, sie habe auch eingeräumt, dass es einen Personalengpass gebe.

Der Antrag wurde abgelehnt, der Punkt 1 mit 14 Ja, 18 Nein und zwei Enthaltungen, Punkt 2 mit sieben Ja, 19 Nein und 8 Enthaltungen.

Beschlussantrag Nr. 486/21: Gesundheitsfürsorge für Personen mit schweren neurologischen Beeinträchtigungen (eingebracht vom Abg. Repetto am 16.09.2021). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, den Beschluss Nr. 408/2020 abzuändern sowie jeglichen Hinweis auf die Erkrankung zu streichen, die zur Totalinvalidität geführt hat, und die sich daraus ergebende Notwendigkeit eines Aufenthalts in einer Abteilung für Langzeitpflege ohne jegliche finanzielle Bürde für die behandelte Person oder ihre Familienangehörigen zu ermöglichen sowie die Einschätzung des Behinderungsgrads des Patienten gemäß der DRS (Disability Rating Scale) als valide anzuerkennen.

Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) erinnerte an ein Meeting der Sanitätsdirektion zum Thema. “Dem Protokoll lässt sich nicht entnehmen, dass Personen mit schweren neurologischen Beeinträchtigungen wie Parkinson oder Alzheimer in einem fortgeschrittenen Stadium oder, die sich in einem vegetativen Zustand befinden, das Recht hätten, von allen Gebühren im Zusammenhang mit einem Aufenthalt in sozio-sanitären Einrichtungen (allgemein bekannt als „Abteilungen für Langzeitpflege“) befreit zu werden.” Mit der derzeitigen Regelung würden zwei Personen mit Gehbehinderung, die eine wegen eines Traumas, die andere wegen eines Schlaganfalls, unterschiedlich behandelt.

Franz Ploner (Team K) verwies auf ein staatliches Dekret vom Jänner 2017, das vom Beschluss der Landesregierung übernommen wurde und das ebenfalls die Pathologien aufzähle. Das dort genannte Scoringsystem könne aber nur ein Kriterium sein. Ploner kündigte die Zustimmung seiner Fraktion zum Antrag an.
Alessandro Urzì (Fratelli d’Italia) erinnerte an seinen Einsatz für die Berücksichtigung vieler Pathologien bei der Kostenbefreiung. Nun sei das Bild zu vervollständigen. Neurologische Beeinträchtigungen könnten verschiedene Ursachen haben, und die Patienten hätten unabhängig davon Anrecht auf kostenlose Versorgung durch das Gesundheitssystem.

LR Thomas Widmann erinnerte daran, dass die Betreuung von Personen mit schweren neurologischen Beeinträchtigungen zu den Grundleistungen des Gesundheitssystems gehöre. Das Ministerialdekret zähle die entsprechenden pathologischen Zustände auf. In der genannten Videokonferenz seien Ursachen genannt, aber nicht als Kriterium genannt worden. Die Betreuung stehe unabhängig von der Herkunft der Pathologie zu. Der Antrag sei in dieser Form nicht annehmbar, aber er biete Repetto eine Zusammenarbeit für eine Neuformulierung an.

Sandro Repetto freute sich über das Entgegenkommen, wollte aber ein Zeichen vom Plenum und bestand daher auf Abstimmung.

Der Antrag wurde mit 15 Ja und 17 Nein abgelehnt.

Beschlussantrag Nr. 491/21: Puflatsch und Orchideen (eingebracht von den Abg. Staffler, Foppa und Dello Sbarba am 23.09.2021). Der Landtag möge die Landesregierung beauftragen, 1. Den Bau des Speicherbeckens am Puflatsch oder auf ökologisch ähnlich wertvollen Standorten nicht zu genehmigen; 2. Für das Gebiet Puflatsch und für ökologisch ähnliche Standorte auf der Seiser Alm im Sinne des Naturschutzgesetzes ein modernes und ökologisch verträgliches Weidekonzept auszuarbeiten, vorzuschreiben und zu kontrollieren; 3. Für das Gebiet Puflatsch und für ökologische ähnliche Standorte auf der Seiser Alm im Sinne des Naturschutzgesetzes ein Düngemanagement auszuarbeiten, vorzuschreiben und zu kontrollieren.

“Der Puflatsch im Nordwesten der Seiser Alm ist, wie die Seiser Alm selbst, Standort sensibler Lebensräume und über die Grenzen Südtirols hinaus bekannter Wuchsorte von besonderen Pflanzenarten,” erklärte Hanspeter Staffler (Grüne) und verwies auf das Kohlröschen, das dort vorkomme. “Neben den Reliktarten (Arten, die nach der Eiszeit eingewandert sind und am Ort bis heute überlebt haben, während sie ringsum ausgestorben sind) der Moorgebiete am Puflatsch und auf der Seiser Alm steht der Puflatsch für das Vorkommen einer weltweit einzigartigen Vielfalt von Farbvarianten der Brunelle (Nigritella rhellicani).” Die besondere Art sei bereits durch Pferde und Überweidung bedroht, nun drohe ein weiteres Speicherbecken im Ausmaß zweier Fußballfelder. Baustelle und die Ablagerung des Aushubmaterials würden einen Großteil dieses Brunellenbestandes zerstören.

Franz Ploner (Team K) erinnerte an seine Anfrage vom Frühjahr zum Thema. Damals sei durch den Dachverband für Natur- und Umweltschutz davor gewarnt worden, dass man eine Art verliere. Die Landesrätin habe damals geantwortet, dass die Biodiversität der Landesregierung wichtig sei. Die Landesregierung möge ihren Ankündigungen Taten folgen lassen.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) sprach von Kindheitserinnerungen an den guten, schokoladigen Geruch der Brunelle. Es sei wichtig, diesen Mikrokosmos am Puflatsch zu erhalten. Man riskiere die Vielfalt, die dieses Land ausmache. Man sollte sich auch fragen, ob nicht ein anderer Tourismus möglich wäre.

Peter Faistnauer (Perspektiven Für Südtirol) fragte, ob man als Alternative nicht auch die 5 bestehenden Speicherbecken vergrößern könnte.

Franz Locher (SVP) betonte, dass eine UVP-Prüfung sehr genau vorgenommen werde. Bei der Beweidung könne man einen Weg finden, wenn man mit den Besitzern spreche. Niemand wolle verrotteten Mist sehen, die Alternative wären aber Anbindeställe. Die Landwirtschaft sei an einer naturnahen Bewirtschaftung interessiert.
LR Maria Hochgruber Kuenzer betonte, dass man besonders achtsam mit diesem Gebiet umgehen müsse. Eine gesunde Landschaft sei ein Grundrecht. In diesem Fall sei es aber so, dass die Eintragung in den Landschaftsplan 2019 erfolgte, während die Studie von 2020 sei. Es habe bereits einen Kontakt zwischen Amt und Projektanten gegeben, um einen neuen Standort zu suchen. Man habe einen gefunden, der in Frage komme. Aber es wäre verfrüht, jetzt während der Gespräche mit den Eigentümern mit einem Beschlussantrag Fakten zu schaffen. Bezüglich Düngung in den Natura-2000-Gebieten sei man in einer Übergangszeit, mit den neuen Düngeplänen werde sich die Landesregierung voraussichtlich im Frühjahr befassen. Ob als Alternative auch eine Erweiterung der bestehenden Becken ginge, könne sie heute noch nicht sagen. Sie bat die Einbringer, den Antrag zurückzuziehen.

Hanspeter Staffler sah die Antwort der Landesrätin positiv. Er wolle einer neuen Lösung nicht im Wege stehen und den Antrag aussetzen. Auch Locher habe sich dialogbereit gezeigt. Die Landwirtschaft verstehe immer mehr, dass man zur flächenbezogenen Bewirtschaftung hinmüsse. Laufställe müssten nicht unbedingt mit Güllewirtschaft betrieben werden. Die Kohlröschen seien nachweislich ab der Eiszeit am Puflatsch geblieben und hätten sich dank umsichtiger Bewirtschaftung über die Jahrhunderte ausgebreitet. Staffler bat schließlich um Aussetzung des Antrags.

Die Arbeiten werden um 14.30 Uhr wieder aufgenommen.

Von: luk

Bezirk: Bozen