Kritik der Opposition

Landtag genehmigt 500-Mio.-Hilfspaket

Samstag, 13. März 2021 | 08:05 Uhr

Bozen – Das 500-Million-Euro-Hilfspaket zur Abfederung der Corona-Folgen ist unter Dach und Fach. In einer Nachtsitzung hat der Südtiroler Landtag grünes Licht gegeben. Die Opposition hat sich der Stimme enthalten. Sie kritisiert den Alleingang der Landesregierung und sieht keine Zukunftsorientierung bei den vorgelegten Projekten. Der Landeshauptmann hat eine Vielzahl von grünen Projekten aufgezählt und betont, dass es realistische Projekte brauche, für andere sei die Zeit zu knapp.

Bis die Gelder fließen, wird es allerdings noch einige Zeit dauern. Familien und Einzelpersonen können erst ab Mai um die Corona-Hilfen ansuchen, die Ansuchen der Unternehmen für Verlustbeiträge und Fixkosten-Zuschüsse für Unternehmen werden ab Mitte-Ende April möglich sein. Banken sollen aber eine Vorfinanzierung bieten, damit die Betriebe sich über Wasser halten können, bis die Hilfsgelder ausgezahlt werden.

Ablauf der Sitzung

Um 22.30 Uhr wurde die Sondersitzung eröffnet, die von den Abg. Köllensperger, Staffler, Rieder, Foppa, Franz Ploner, Dello Sbarba, Alex Ploner, Faistnauer, Nicolini, Mair, Leiter Reber, Urzì, Repetto, Knoll u. Atz Tammerle beantragt wurde. Ihre Forderung: Der Landtag möge den Landeshauptmann verpflichten, 1. Das Recovery Fund Paket neu aufzuschnüren, diesmal unter Einbindung des Landtags, ausgehend von der strategischen Gewichtung der Ziele, kompatibel mit den 6 Makro Bereichen, und mit genau festgelegten Fristen, 2. Es zu ermöglichen, weitere Projekte einzureichen, 3. Die einzelnen Projekte der Bewertung der thematisch zuständigen Gesetzgebungs-Ausschüsse des Landtags zu unterziehen, 4. Völlige Transparenz bei der Korrespondenz mit Rom und Brüssel walten zu lassen.

“47 Projekte für die Summe von 2,4 Mrd. Euro, eine enorme Geldsumme”, bemerkte Paul Köllensperger (Team K). “Aufgeteilt in sechs Makrobereiche 1) Digitalisierung, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit, 2) Grüne Revolution und ökologischer Wandel, 3) Infrastruktur für die Mobilität, 4) Ausbildung, Bildung, Forschung und Kultur, 5) Soziale und territoriale Gerechtigkeit, Gleichstellung der Geschlechter, 6) Gesundheit. Dies alles, ohne dass der Landtag auch nur informiert worden wäre. Nur durch einen Beschlussantrag und mühsame Anfragen und Akten Zugänge konnten Landtagsabgeordnete Details zu diesem nie dagewesenen Investitionsprogramm in Erfahrung bringen. So wissen die Landtagsabgeordneten nun, in sehr oberflächlicher Form, dass im Laufe des letzten Jahres an ihnen vorbei, ohne jegliche Einbindung, ja nicht einmal Verständigung des gewählten Souverän Landtag, diese Sammlung an Projekten nach Rom geschickt worden ist. Zwischen Juli und August letzten Jahres sind alle Ressorts des Landes über alle Abteilungen und Ämter angewiesen wurden, entsprechende Vorschläge, inklusive Kostenschätzungen zu unterbreiten. In einer nicht näher nachvollziehbaren Entwicklung wurde ca. 150 Projektvorschläge auf 45 reduziert. Diese, damals noch als internes Arbeitspapier bezeichneten Projekten, wurden vor dem Stichtag Mitte Oktober der Übermittlung der nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten an die EU-Kommission nach Brüssel am 9. Oktober von Bozen nach Rom übermittelt. Wenig klar ist weiterhin, nach welcher Logik und von wem diese Projekte ausgewählt worden sind, noch ob und gegebenenfalls welcher Anteil der am Ende zugestandenen Summe als Kredit zurückzuzahlen sein wird. Auffällig ist auf jeden Fall, dass der Sammlung an Projekten jeder logische Faden fehlt, eine gemeinsame Linie oder gar eine Zukunftsvision sind nicht erkennbar. Forschung und Entwicklung sind fast vergessen worden, Kultur völlig. Ein großer Teil wird in Zement investiert. Und während im Veneto 6 Mrd. Euro, knapp ein Viertel der Gesamtsumme, für “competitività” ausgegeben wird, liest sich das Südtiroler Dokument wie ein Sammelsurium aus Projekten ohne jeglichen Zusammenhang, außer der Tatsache, dass sie nicht neu sind und dass ihre Finanzierung nun statt aus dem Haushalt eben über die EU-Gelder erfolgen sollte.”

Auch Franz Ploner (Team K) fand es inakzeptabel, dass der Landtag beim Einsatz einer solchen Summe nicht involviert werde. Dass diese Sondersitzung ans Ende einer langen Sitzungswoche drangehängt werde, zeuge von geringer Wertschätzung. Ein Projekt hätte der Modernisierung der Krankenhäuser gewidmet werden sollen, denn die nächste Pandemie komme bestimmt.

Hanspeter Staffler (Grüne) erinnerte daran, dass der Recovery Fund eigentlich “Next Generation Fund” heiße, es gehe als um Projekte für die nächste Generation. Die Klimakrise sei anders als die Covidkrise eine schleichende Krise, und sie werde gerne verdrängt. 40 Prozent der vorgelegten Projekte hätten keinen positiven Einfluss auf die CO2-Reduktion. Es gebe kein Projekt zur Biodiversitätskrise und zur Umstellung der Landwirtschaft. Die EU wollte eine Einbindung der Zivilgesellschaft bei diesen Projekten, aber das sei nicht erfolgt.

Auch Maria Elisabeth Rieder (Team K) kritisierte, dass diese Vielzahl an Projekten am Landtag vorbei eingereicht wurde. Vor allem sollte die “Next Generation” bei der Erstellung einbezogen werden. Stattdessen handle es sich um die Fortführung alter Vorhaben, die nicht an die Jugend gerichtet seien, an die jungen Frauen, die aus den Dörfern abwandern, an die jungen Mütter, die wieder in den Beruf möchten oder an neue Kräfte für die Sanität.

Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) meinte, dass man mit 2,4 Mrd. das Land in vielen Bereichen sichtbarer machen könnte. Es hätte eine transparente Kommunikation dazu gebraucht. Seine Fraktion habe Initiativen vorgeschlagen, um Sanitätsberufe attraktiver zu machen, aber davon sehe er nichts.

Alex Ploner (Team K) vermisste bei der Landesregierung Mut, Nachhaltigkeit und Innovation. Sie habe im Stillen gearbeitet, die Opposition durfte nicht einmal darüber nachdenken. Sogar der Staat habe Projekte zur Mehrsprachigkeit vorgesehen, das Land nicht.

Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) erinnerte daran, dass der Recovery Fund nur zum Teil aus Verlustbeiträgen bestehe, der Rest seien Kredite. Man könnte sich Schulden einhandeln. Wenn man aber die Gelder nicht zukunftsorientiert einsetze, werde man Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Der Recovery Fund werde oft als neuer Marshall-Plan bezeichnet, er diene der Neuorientierung, meinte Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit). Er sehe hier keine Leuchtturmprojekte, etwa solche, die Kultur auf hohem Niveau im Lande ermöglichen würde, oder solche zum öffentlichen Verkehr.

Peter Faistnauer (Team K) fragte, warum sich die Landesregierung gegen Partizipation sträube, warum sie Vereine und Verbände nicht eingebunden habe. In Südtirol gebe es 79 Altersheime, die meisten müssten renoviert oder erweitert werden, auch viele Mittelschulen.

Er habe beim Recovery Fund an eine Neuorientierung für Südtirol gedacht, erklärte Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten), aber die vorgelegten Projekte enthielten viele Unstimmigkeiten, etwa die Becken für die Beschneiungsanlagen ohne Berücksichtigung der Schlammentsorgung, eine Brücke über den Eisack, den die A22 bauen müsste, statt der Umfahrung für Bozen, nichts zur Mehrsprachigkeit, keine Einbindung der Alperia bei der grünen Revolution.

Er habe eine Reihe von Missverständnissen bemerkt, erklärte LH Arno Kompatscher. Der Fonds sei ein Verdienst von Ministerpräsident Conte, aber dann habe es an Regie und Vorgaben gefehlt. Bis heute wüssten die Regionen nicht, welche Rolle sie dabeihätten und wie viele Mittel sie bekämen. Diese Mittel müssten innerhalb 2023 verpflichtet werden. Mit der italienischen Rechtslage würde es ein neues PPP-Projekt nicht bis dahin schaffen, man müsse daher auf bestehende Projekte zurückgreifen. Italien sei im Rückstand und riskiere, auf viel Geld verzichten zu müssen. Die Regionen zielten auf die Zuschüsse, nicht auf die Kredite, denn sie dürften sich ja nicht verschulden. Südtirol werde, realistisch gesehen, 400 Mio. bekommen. Eines der aussichtsreichsten Projekte sei die letzte Meile beim Breitband. Der Recovery Fund sei für Investitionen, für Bildung sei der ESF da. Es seien, anders als heute kolportiert, nicht nur “Betonprojekte”, es gehe auch um die Digitalisierung, die Sanität, die Wasserspeicherung als Vorbereitung auf den Klimawandel, die Tropfbewässerung, das Fahrradnetz usw. Die Opposition mache der Bevölkerung vor, dass die Landesregierung völlig veraltete Projekte aus der Schublade hole und nicht an den Green Deal denke. Für letzteres sei sehr vieles enthalten. Wichtig sei, dass die Projekte auch umsetzbar seien, und das in absehbarer Zeit. Nur wenige Projekte würden es bei der Prüfung von Staat und EU schaffen. Man wisse noch nicht, wie Rom vorgehen wolle; die Regionen verlangten eine Aussprache mit der Regierung.

Paul Köllensperger meinte, die meisten Projekte würden zu einer Zunahme der laufenden Ausgaben führen. Nicht alle seien negativ, aber angesichts dieser Summen hätte man Besseres vorlegen können.

Der Antrag wurde mit 14 Ja, 17 Nein und einer Enthaltung abgelehnt.

Damit war auch die Sondersitzung beendet (um 23:33 h).

Von: luk

Bezirk: Bozen