Situation an Schulen ist auch bei Elternvertretern Thema

„Politik auf Kosten unserer Kinder“

Mittwoch, 04. Juni 2025 | 08:50 Uhr

Von: mk

Bozen – Die Lehrer in Südtirol wollen streiken: Sie verweigern im nächsten Schuljahr unter anderem Klassenfahrten und wollen mit dem Druck auf die Schüler ihren Anspruch auf einen neuen Kollektivvertrag durchsetzen. Die Politik reagiert kaum und mit der schwindenden Attraktivität des Lehrerberufs entsteht ein Klima, das Studenten davon abhält überhaupt eine Lehrer-Ausbildung zu beginnen. Massiver Lehrermangel droht. „Das ist gleich doppelter Betrug an unseren Kindern“, sagt Manuela Gräber. Sie ist Mutter einer 16-jährigen Tochter, die in Bruneck das Gymnasium besucht. Außerdem ist sie Landes-Elternvertreterin – und redet Klartext im Interview.

Frau Gräber, wo ist das Problem? Warum gehen sie heute in die Öffentlichkeit?

Die Lehrer haben angekündigt, im kommenden Schuljahr keine sozialen Aktivitäten über den klassischen Unterricht hinaus anzubieten. Klassenfahrten fallen weg. Das, so sagen sie, tut richtig weh und hilft, ihren Forderungen nach einem neuen und besseren Kollektivvertrag Nachdruck zu verleiten. Andernfalls hätten sie keine Druckmittel und würden wieder nur mit kleinen Bonbons abgespeist und nicht ernst genommen.

Haben Sie Verständnis für dieses Verhalten der Lehrer?

Ich habe größtes Verständnis dafür, dass sich im Schulwesen etwas ändern muss. Ich verstehe den Unmut der Lehrer, zumal sich strukturell seit 2011 nichts mehr ernsthaft verbessert hat. Aber, und das sage ich auch ganz deutlich, ich kann mich mit dem jetzt angedrohten Verhalten der Lehrer nicht solidarisch zeigen. Wenn Lehrer auf Kosten der Kinder und auf deren Schultern ihre Forderungen durchsetzen wollen, dann ist das der falsche Weg. Schülern weniger Bildung zu bieten, auch weniger soziale Bildung, als grundlegend falsch und gegen den eigentlichen Lehrrauftrag.

Also sind die Lehrer schuld?

Nein – es geht hier nicht um Schuld – es geht um Versäumnisse der vergangenen Jahre. Die Politik hat immer wieder verkündet, es werde etwas getan. Stattdessen nur Kleinigkeiten oder teilweise hirnlose Zugeständnisse. Was hilft es den Lehrern und dem Schulsystem, wenn Mutterschaft stundenweise genommen werden kann. Lehrer mal montags oder mal mittwochs für einzelne Stunden fehlen, Supplenzen stattfinden mit Kollegen ohne gleiche Qualifikation? Wieder zu Lasten der Kinder. Wenn die Politik den Lehrern Maßnahmen zusagt, dann müssen diese auch gehalten werden. Wenn nicht, dann haben wir in zehn Jahren gar keine Lehrer mehr. Schon jetzt geht das Interesse, Lehramt zu studieren, rapide zurück. Die derzeitigen Studentenzahlen sind ein Tropfen auf den heißen Stein – aber sie löschen den Waldbrand nicht, der sich ankündigt.

Ist der Lehrer-Beruf so unattraktiv geworden?

Wenn es ihnen darum geht, im Sommer lange Ferien zu haben, dann vielleicht nicht. Wenn es ihnen aber darum geht, gute Arbeit leisten zu wollen, dafür fair honoriert zu werden und mit dem Gehalt eine Familie ernähren zu können, dann ja. Die Anpassungen der vergangenen Jahre waren nicht einmal so hoch wie die Inflation. De facto hat sich das Lehrergehalt verschlechtert. Da kann die Politik nicht von Gehaltserhöhungen der vergangenen Jahre sprechen. Da muss man fair bleiben und sagen: Es hat teilweisen Inflationsausgleich gegeben – aber keine Gehaltserhöhungen.

Wie sollte dann jetzt reagiert werden?

Wenn Politiker davon reden, dass das ganze Schulsystem nun revolutioniert und überarbeitet werden muss, dann haben sie ja nicht unrecht. Aber es ist für sie der Grund, jetzt keine Zugeständnisse und Teil-Lösungen anzubieten. Man hätte seit 50 Jahren das Schulsystem verbessern können – jetzt vom großen Ganzen zu reden und damit kleine Maßnahmen auszuschließen ist falsch. Jetzt muss sich etwas ändern. Finanzielle Zugeständnisse. Sicherheiten für einen festen Arbeitsplatz und nicht das hin und her verschicken von Lehrkräften. Man darf von der Politik zu Recht Zusagen mit Hand und Fuß erwarten, die auch eingehalten werden. Zugeständnisse müssen bestätigt und nicht nur versprochen werden. Nur so produzieren wir tolle Lehrer, die ihren attraktiven Beruf lieben. Denn ich bleibe dabei: Es darf keine Politik auf Kosten unserer Kinder geben. Sie haben zu Recht den Anspruch auf gute Bildung.

Bezirk: Bozen, Pustertal

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