Populisten auf dem Rückzug – ein Kommentar

Schuss ins eigene Knie

Donnerstag, 12. September 2019 | 10:07 Uhr

Bozen – Monatelang schwammen die Populisten auf einer Woge der Popularität. Nichts schien die lauten Männer, die ihr Ohr nah am Bauch des Volkes haben und die ihren Erfolg aus den Fehlern und der Trägheit der etablierten Parteien und Institutionen nähren, aufhalten zu können.

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Aber der Umschwung kam schneller als erwartet. Ein Video, das nicht nur den moralischen Abgrund, sondern auch die unglaubliche Naivität von der Spitze der FPÖ offenbarte, brachte im „Vaterland“ die gesamte Regierung zu Fall. Nicht viel anders lief es in Italien. Der versuchte Griff nach der Macht eines der wortgewaltigsten Populisten Europas, Matteo Salvini, endete im eigenen Absturz. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet er Geburtshelfer der vielleicht am meisten nach links gerichteten Regierung der letzten Jahre wurde.

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In Deutschland hingegen können alle Erfolge der AfD, die im Osten von Sieg zu Sieg läuft, nicht darüber hinwegtäuschen, dass die rechten Mannen nicht zuletzt aufgrund des eigenen Extremismus heute von der Macht weiter entfernt sind denn je. In Frankreich hingegen sitzt Macron nach der Gelbwesten-Krise wieder fest im Sattel. Seit sich der Franzose geschickt selbst an die Spitze der EU-Reformer gesetzt hat, gräbt er seinen Widersachern das Wasser ab.

Die EU-Spitze um der neuen Kommissarin Ursula von der Leyen und der Zentralbankchefin Christine Lagarde hat längst verstanden, dass ein unflexibler und übertriebener Sparkurs allen Staaten schadet und nur Wasser auf die Mühlen der Populisten leitet. Nun kann sich Brüssel zurücklehnen und die Brexit-Tragödie verfolgen.

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Boris Johnsons kompromissloser Kurs, der mit geschlossenem Parlament seinen harten Ausstieg aus der EU durchziehen will, bringt immer mehr Briten auf die Barrikaden. Immer größer werdende wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten legen offen, dass der Brexit ein Vabanquespiel gegen die eigene Bevölkerung ist. Boris Johnson riskiert nichts weniger als den Zerfall des Vereinigten Königreichs. Während auf der Dauer den Schotten kaum eine zweite Unabhängigkeitsabstimmung verwehrt werden kann, brechen in Nordirland längst verheilt geglaubte, alte Narben auf. Für die EU ist der Austritt Großbritanniens ein großer Schaden, für die Insel selbst eine Katastrophe.

Heute erweist es sich, dass die Populisten, die selten mehr als ein Thema haben, genau dann, wenn sie an der Spitze ihrer Macht und ihres Einflusses stehen, sich selbst ins Knie schießen. Die Länder – gleich ob Österreich, Italien oder Großbritannien – sind dabei fast beliebig austauschbar.

Von: ka

Bezirk: Bozen