Europaregion als gemeinsamer sozial- und arbeitspolitischer Standort

Soziale Sicherheit im euregionalen Vergleich

Donnerstag, 30. November 2017 | 16:49 Uhr

Innsbruck – Über die Sozialpolitik der Länder in der Europaregion wurde in Innsbruck informiert und diskutiert.

Zum Auftakt der Veranstaltung “Soziale Sicherheit in der Euregio” informierte Judith Müller von der Sozialpolitischen Abteilung der AK Tirol über die unterschiedlichen Wohlfahrtsmodelle in Europa. Während etwa Österreich zu den konservativen Wohlfahrtstaaten zählt, überwiegt in Italien als mediterranem Wohlfahrtstaat hingegen die Bedeutung der Familie zur sozialen Absicherung. Einzig im Bereich der Pensionsausgaben weist Italien die höchsten Kosten in Europa auf. Generell liegen die Staatsausgaben für die soziale Sicherheit europaweit bei ca. einem Drittel des BIP. In Österreich trägt der Bund den Großteil der Kosten für Sozialausgaben, die Länder kommen nur auf knapp über vier Prozent. Etwa drei Viertel dieser Kosten werden für Pensionen und das Gesundheitssystem ausgegeben.

Anschließend erläuterte Müller die Tiroler Mindestsicherung und was sich hier aktuell geändert hat. Sie klärte auch darüber auf, dass die Mindestsicherung – entgegen landläufiger Meinungen – nur einen Anteil von etwas über einem Prozent des Gesamtsozialbudgets des Landes Tirol ausmache, und dass schon aufgrund der vorgesehenen Sätze von einer sozialen Hängematte nicht die Rede sein kann. So stehen einer alleinstehenden Person in Tirol 633,35 Euro pro Monat für alle Ausgaben des Lebensunterhaltes und die soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu.

Silvia Vogliotti vom Arbeitsförderungsinstitut in Bozen beleuchtete die soziale Situation in Südtirol: So orientiere sich Südtirol stärker nach Norden und versuche jene Bereiche in der sozialen Sicherheit durch eigene Leistungen aufzufangen, die der Nationalstaat Italien vernachlässigt. Dabei kommt dem Land Südtirol die steuerliche Autonomie sehr zugute, da 90 Prozent der eingenommenen Steuern im Land bleiben. Die Expertin ging außerdem auf das neue Familiengeld+ für Väter, das Südtiroler Pflegegeld und das soziale Mindesteinkommen ein, das sich mit Sätzen von z. B. 600,20 Euro für eine alleinstehende Person nicht wesentlich von jenen der Tiroler Mindestsicherung unterscheidet.

Gianfranco Cerea von der Uni Trient wies in seinem Vortrag auf die letzten Reformen des italienischen Pensionssystems hin, welche die staatlichen Ausgaben für Renten langfristig auf ca. 14 Prozent des BIP stabilisieren werden. Durch den Anstieg des Pensionsantrittsalters sollen Pensionshöhen von ca. 70 bis 78 Prozent des Letztbezuges garantiert werden (derzeit noch bis zu 95 Prozent!).

Das Trentino hat in den letzten Jahren viele Sozialleistungen (für Familien, gegen Armut, für Wohnbeihilfen und für Menschen mit Behinderung) zusammengefasst und eine einheitliche Anlaufstelle bei den Patronati der Gewerkschaften geschaffen, bei denen ein einziger Antrag abgegeben wird. Dies spare Zeit – die Auszahlung erfolge binnen weniger Tage – und führe zu zielgerichteten Leistungen, berichtete der Experte. Weil auch Vermögensdaten und nicht nur das Einkommen einbezogen werden, könne schneller und zielgerichteter auf die Bedürfnisse der Betroffenen eingegangen werden.

Über die einheitliche Datenbank konnte so der Einkommens- und Vermögensstand von knapp der Hälfte der Trentiner Bevölkerung erfasst werden. In Zukunft können mit diesem Datenbestand die finanziellen Auswirkungen jeder neuen sozialen Maßnahme für das Budget bereits im Vorhinein sehr genau berechnet werden.

Bei der anschließenden Diskussion wurde unter anderem deutlich, dass die Sozialausgaben für ältere Mitbürger weit über jenen für junge Menschen liegen. Cerea wies darauf hin, dass in Italien die Älteren zu den Vermögendsten in der Bevölkerung zählen und hier eine soziale Schieflage vorliegt. Abschließend wurde jedoch auch klar, dass bei den Leistungen für Familien Italien bzw. die Provinzen Trient und Bozen gegenüber Tirol noch deutlich Aufholbedarf haben.

Eröffnet worden war die letzte von drei Tagungen der Europaregion Tirol-Trentino-Südtirol zur Beschäftigungspolitik durch Christoph von Ach, Generalsekretär der Europaregion, und Domenico Rief von der AK Tirol.

Von: mk

Bezirk: Bozen