Spindelegger sieht Entwicklung im Iran mit Sorge

Spindelegger befürchtet Millionen iranische Flüchtlinge

Sonntag, 29. Juni 2025 | 06:14 Uhr

Von: apa

Die europäische Migrationsorganisation ICMPD befürchtet wegen des Krieges mit Israel eine massive Flüchtlingswelle aus dem Iran. “Das können Millionen sein, die sich auf den Weg machen”, sagte der Generaldirektor des Wiener Zentrums für Migrationspolitik, Michael Spindelegger, im APA-Interview. Weil der Entschluss zur Flucht erfahrungsgemäß mit drei bis sechs Monaten Verzögerung gefasst werde, könnte es gegen Jahresende so weit sein. Europa wäre wohl ein bevorzugtes Ziel.

Spindelegger verwies auf die große iranische Diaspora in europäischen Ländern, die zudem ein “leichteres Ziel” seien als die USA, wo ebenfalls viele Iraner leben. Auch eine Instrumentalisierung der Fluchtbewegung sei möglich. “Russland weiß, wie man so etwas organisiert”, sagte der ICMPD-Generaldirektor. Daher würde es ihn nicht wundern, wenn viele Iraner an der belarussisch-polnischen Grenze auftauchen würden.

Albanien und Spanien sollen Organisation beitreten

Spindelegger geht Ende Dezember nach zehn Jahren als ICMPD-Chef in Pension. Nachfolgen wird ihm die frühere Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP), die Anfang Juni von Vertretern der 21 ICMPD-Staaten zur Generaldirektorin gewählt wurde. In regelmäßigen Treffen bereiten die beiden die Amtsübergabe vor, wie Spindelegger berichtete. Dass mit Raab erstmals eine Frau an der Spitze der Organisation stehe, sei “ein Signal, das wichtig ist”. “Sie wird das gut machen, sie hat das Handwerkszeug dafür.”

Der frühere Vizekanzler will in seinen letzten Amtsmonaten noch Schritte zur Stärkung der Organisation setzen. So solle etwa Albanien “die letzten Hürden” für einen Beitritt zur ICMPD nehmen. Unter der Ägide Spindeleggers hat sich die Zahl der Mitgliedsländer von 15 auf 21 erhöht, unter anderem traten die Türkei, Deutschland und Griechenland bei. “In der Pipeline” sei auch ein Beitritt Spaniens.

Bei seinem Amtsantritt im Jahr 2015 sei ihm wichtig gewesen, “die ICMPD als die europäische Migrationsagentur zu etablieren”. Dies sei “großteils gelungen”. ICMPD sei heute nicht nur auf technischer Ebene ein Ansprechpartner, sondern auch auf politischer Ebene. Auch die Durchschnittsgröße der Projekte, die anfangs bei drei bis vier Millionen Euro gelegen sei, habe sich vervielfacht.

“Nur mit Institutionen der Europäischen Union kann man in Drittstaaten nicht gewinnen”

Die Organisation berät ihre Mitgliedsstaaten und Partnerländer bei der Bewältigung von Migrationsströmen. Von Österreich und der Schweiz vor dem Hintergrund der Balkankriege in den 1990er Jahren gegründet, hat sie spätestens nach der Migrationskrise 2015/16 eine gesamteuropäische Dimension bekommen. Zwischen 2016 und 2024 stieg das Jahresbudget der Organisation von 24,3 auf 101 Millionen Euro, die Mitarbeiterzahl wuchs von 188 auf 544.

Spindelegger sprach sich für eine weitere Expansion der Organisation aus, allerdings nicht in den außereuropäischen Bereich. “Aus meiner Sicht sollte man klar eine europäische Organisation bleiben, die Mitglieder sollten nur europäische Länder sein.” ICMPD solle nämlich auf die Interessen der europäischen Staaten eingehen. Zugleich habe man Anrainerländer wie etwa Ägypten, den Libanon, Tunesien oder Marokko über Partnerschaften stärker angebunden.

Eine klare Absage erteilte Spindelegger Überlegungen, die Organisation in das Agenturnetzwerk der Europäischen Union zu integrieren. “Meine Erfahrung war: Nur mit Institutionen der Europäischen Union kann man in Drittstaaten nicht gewinnen, weil die Vertrauensbasis nicht voll da ist.” ICMPD werde in diesen Staaten als “Honest Broker” (ehrlicher Makler) gesehen. Tatsächlich betreibt ICMPD mittlerweile zwölf Informationszentren (“Migrant Ressource Centers”) in wichtigen Herkunftsländern wie dem Irak, Bangladesch oder Pakistan, um potenzielle Migranten umfassend über Risiken aufzuklären.

“Es geht schon viel weiter, aber das sind Details”

Zehn Jahre nach der großen Migrationskrise sieht Spindelegger durchaus Fortschritte im Umgang mit diesem die politischen Diskussionen in vielen Ländern dominierenden Problem. “Es geht schon viel weiter, aber das sind Details”, sagte er etwa mit Blick auf den im Vorjahr beschlossenen EU-Asyl- und Migrationspakt. Die Zahl der Migranten in Europa sei seit 2010 kontinuierlich gestiegen, und dies werde auch so bleiben.

Die Debatte über eine Änderung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die nach einem Brief von neun EU-Regierungschefs in Gang gekommen ist, sieht Spindelegger als “legitim” an. Sinnvoller sei es aber, die bestehenden nationalen Gestaltungsmöglichkeiten besser zu nutzen, etwa durch Pilotversuche für Asylverfahren in Drittstaaten. Man sollte schauen, “ob das den gewünschten Erfolg bringt, bevor man sich auf eine Generaldebatte zum Thema Menschenrechtskonvention oder Flüchtlingskonvention einlässt”.

Albanien-Modell kann “viel bringen”

So werde etwa die italienische Regierung einen weiteren Versuch für Asylverfahren in Albanien starten, berichtete Spindelegger. Ein solches Modell könnte im Kampf gegen irreguläre Migration “viel bringen”. Ein “ganz großes Problem” sei auch die Visapolitik, sagte er mit Blick auf Statistiken, wonach ein Großteil der Asylanträge in Europa nach legalen Einreisen gestellt wird. Hier müsse man “bei jedem Land genau hinschauen, weil andere die Rechnung bezahlen”, sagte er mit Blick auf die Sekundärmigration. Auch in diesem Bereich gebe es positive Beispiele, etwa den schlagartigen Rückgang von Asylzahlen in Europa nachdem Serbien seine Visapolitik geändert hat.

Gefragt nach den erfolgversprechendsten Ansätzen im Kampf gegen irreguläre Migration sprach sich Spindelegger dafür aus, “dass man das große Bild denken muss”. “Die Europäische Union hat ein stärkeres Gewicht, wenn es darum geht, zu Vereinbarungen mit Drittländern zu kommen. Sie hat auch mehrere Möglichkeiten”, verwies er etwa auf die Handelspolitik und Investitionen.

“Keine andere Wahl” bei umstrittenem Projekt in Bosnien

Wie schwierig europäische Projekte mitunter sind, musste ICMPD selbst erfahren – und zwar beim Bau einer Containeranlage zur Anhaltung von Migranten im nordbosnischen Lipa. Dies sei “ein dringender Wunsch” des damaligen EU-Erweiterungskommissars Oliver Várhelyi gewesen. Was man hingestellt habe “war genau das, was von uns verlangt wurde”. Allerdings habe es an einer Abstimmung zwischen dem Auftraggeber und der bosnischen Regierung gemangelt. “Zum Schluss hat man den Eindruck bekommen: Wer will das eigentlich?”, sprach Spindelegger von einer “Kindesweglegung”. Auf die Frage, ob er lieber gehabt hätte, dass ICMPD nicht für dieses Projekt angefragt worden wäre, sagte Spindelegger: “Für die Organisation und für mich selber wäre es sicher angenehmer gewesen. Aber manchmal hat man keine andere Wahl.”

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

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