Russischer Angriffskrieg in der Ukraine

US-Institut: Russland täuscht Verhandlungsbereitschaft vor

Samstag, 27. Mai 2023 | 16:36 Uhr

Russland übt nach Einschätzung von US-Experten erneut Druck auf den Westen aus, um die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen. Demnach solle der Westen auf die ukrainische Führung einwirken, die Bedingungen Russlands für solche Gespräche zu akzeptieren, hieß es aus dem Institut für Kriegsstudien ISW in Washington. Wie in der Vergangenheit sei es aber nur Ziel Russlands, mit einer vorgetäuschten Verhandlungsbereitschaft den Westen in seiner Hilfe für die Ukraine zu demotivieren.

Die Experten beriefen sich auf Kremlangaben vom Freitag, wonach der russische Präsident Wladimir Putin offen sei für Dialog. Russland wirft der Ukraine und dem Westen vor, Verhandlungen zu blockieren. Zugleich lehnt Moskau einen Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ab, der einen russischen Truppenabzug vorsieht. Die Ukraine und auch etwa Deutschland sind gegen ein Einfrieren des Krieges mit den von Russland besetzten Gebieten.

Nach ISW-Einschätzung hat Russland bisher keine Voraussetzungen geschaffen für solche Verhandlungen oder sich von seinem Maximalziel einer Kapitulation der ukrainischen Regierung verabschiedet. Es sei wahrscheinlich, dass der Kreml seine falschen Behauptungen intensiviere, bereit für Gespräche zu sein. Zugleich sehen die ISW-Experten weiter Versuche Chinas, mit seinem Sondergesandten Li Hui den Westen dazu zu drängen, seinen Einfluss auf die Ukraine zu nutzen, um einen Waffenstillstand zu erwirken.

Die EU-Staaten und die USA haben stets betont, ihre Unterstützung der Ukraine fortzusetzen. Das von Russland seit mehr als 15 Monaten angegriffene Land setzt auf schwere Waffen und Munition des Westens, um seine besetzten Gebiete zu befreien. Betont wird im Westen stets, dass die Ukraine selbst über ihre Zukunft entscheiden solle.

Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj, veröffentlichte indes ein Video, das Soldaten bei einem Gebet und der Vorbereitung auf die Großoffensive zeigt. “Es ist Zeit, sich das zurückzuholen, was uns gehört”, heißt es in dem Video. Die Ukraine gehe in die Offensive, um ihre Gebiete von den Besatzern zu befreien und das Banner des Sieges zu hissen. Zuvor hieß es schon aus dem Präsidentenbüro in Kiew, dass die Offensive bereits seit Tagen laufe.

Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer sieht indes Europas Sicherheit dauerhaft durch Russland bedroht – auch wenn im Ukraine-Krieg ein Waffenstillstand erreicht wird. “Wenn man über das Ende dieses Krieges nachdenkt, dann muss man realistisch denken”, sagte der Grünen-Politiker dem “Tagesspiegel” (Samstag). “Es wird ein schmerzhafter Waffenstillstand werden, der beide Seiten nicht zufriedenstellt. Und der für Europa eine dauerhafte Sicherheitsbedrohung bedeutet.”

Ein Waffenstillstand werde “territoriale Kompromisse” erfordern, die für beide Seiten alles andere als einfach seien, führte Fischer aus. “Wenn am Ende für (Russlands Präsident Wladimir) Putin eine Bestätigung in Richtung Krim und einige Korrekturen im Osten herauskämen und er das zu Hause als Erfolg präsentieren muss, wird das sicher nicht leicht. Umgekehrt werden die Ukrainer sich sehr schwertun, territoriale Kompromisse einzugehen.”

Die Mitgliedsstaaten der EU haben insgesamt 200 Milliarden Euro der russischen Zentralbank eingefroren. Das teilte die EU-Kommission auf Anfrage der “Welt am Sonntag” laut Vorabbericht mit. Insgesamt beläuft sich demnach die Zahl des festgesetzten Auslandsvermögens der Notenbank in den G7-Industriestaaten und den EU-Ländern auf rund 300 Milliarden Euro. Die Menge des eingefrorenen Privatvermögens russischer Oligarchen in Europa hat sich im vergangenen halben Jahr kaum erhöht.

So wurden in der Europäischen Union nach Angaben der Kommission Vermögenswerte in Höhe von 24,1 Milliarden Euro festgesetzt. Damit wurden 1473 Oligarchen und 205 Firmen sanktioniert. Ende Dezember hatte die Summe des eingefrorenen Vermögens 18,9 Milliarden Euro betragen. Die deutschen Behörden haben in den vergangenen drei Monaten indes kein zusätzliches Vermögen festgesetzt. Das teilte das deutsche Finanzministerium laut Zeitung auf Anfrage mit.

Russland hat einem Agenturbericht zufolge zwei britische Langstreckenraketen des Typs Storm Shadow abgefangen. Weiters seien in den vergangenen 24 Stunden 19 Drohnen abgeschossen worden, zitierte die Nachrichtenagentur RIA Nowosti das russische Verteidigungsministerium. Außerdem hätten russische Truppen von den USA gebaute Himars- und Harm-Raketen mit kürzerer Reichweite abgefangen.

Zuvor hatte es laut Meinberichten geheißen, Drohnen hätten die Ölpipeline Druschba in Russland angegriffen. Der Vorfall ereignete sich in der Region Twer, meldete die russische Zeitung “Kommersant” unter Verweis auf soziale Medien. Die Region nördlich von Moskau grenzt im Nordwesten an die Region Pskow. Von dort wurde ein Drohnenangriff auf ein Verwaltungsgebäude einer Pipeline gemeldet. Pskow wiederum grenzt an Belarus, Lettland und Estland. Pskow und Twer teilen keine Grenze mit der Ukraine.

Die russische Privatarmee Wagner hat laut britischen Geheimdienstexperten mittlerweile begonnen, Truppen von einigen ihrer Stellungen in der ukrainischen Stadt Bachmut abzuziehen. Das teilte das Verteidigungsministerium in London in seinem täglichen Geheimdienst-Update am Samstag mit. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hatte den Abzug am Donnerstag angekündigt und erklärt, die Stadt solle bis zum 1. Juni komplett den regulären russischen Streitkräften zur Kontrolle überlassen werden.

Die ukrainische Seite hatte einen Truppenaustausch des Feindes um Bachmut bestätigt. Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums sind Truppen der selbst ernannten Volksrepublik Donezk am Mittwoch wahrscheinlich in die Stadt eingedrungen, um mit Räumungsarbeiten zu beginnen.

Teile der 31. Brigade der russischen Luftlandetruppen seien wahrscheinlich von der Linie Swatowe-Kreminna abgezogen worden, um Bachmuts Flanken zu verstärken, hieß es. Dort hatten ukrainische Truppen bis Mitte Mai rund 20 Quadratkilometer eingenommen. Der Austausch der Wagner-Truppen gehe wahrscheinlich in kontrollierten Phasen weiter, um einen Zusammenbruch der Gebiete um Bachmut zu verhindern, hieß es in dem Geheimdienstbericht weiter.

Die Wagner-Truppen werden nach Einschätzung der britischen Experten trotz der Kritik ihres Chefs am russischen Verteidigungsministerium voraussichtlich in Zukunft für weitere Offensivoperationen im Donbass eingesetzt werden.

Von: APA/dpa/Reuters/AFP