Israelische Truppen ziehen sich hinter Linien zurück (Illustration)

Waffenruhe im Gazastreifen in Kraft

Freitag, 10. Oktober 2025 | 18:18 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters/AFP

Die Waffenruhe im Gazastreifen zwischen Israel und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas ist seit Freitag, 11.00 Uhr MESZ (12.00 Uhr mittags Ortszeit) in Kraft. Mit Beginn der Feuerpause beginnt eine 72-stündige Frist bis zur Freilassung der lebenden Geiseln. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bestätigte in einer Fernsehansprache, dass 20 der aus Israel verschleppten Geiseln am Leben und 28 tot seien.

Netanyahu hofft auf “Tag der nationalen Freude”

Netanyahu äußerte die Hoffnung, dass Israel ab Montagabend “einen Tag der nationalen Freude” nach der Rückkehr aller lebenden und toten Geiseln aus dem Gazastreifen feiern könne. Alle Geiseln würden in den nächsten Tagen zurückkehren. Netanyahu versprach, die Leichen der getöteten Geiseln ein jüdisches Begräbnis zu ermöglichen.

Die israelischen Truppen werden nach den Worten Netanyahus im Gazastreifen bleiben, um Druck auf die Hamas auszuüben, sich zu entwaffnen. “Die Hamas hat dem Abkommen erst zugestimmt, als sie das Schwert an ihrem Hals spürte”, betonte der israelische Premier laut Medienberichten, “und es liegt immer noch an ihrem Hals.” Er fügte hinzu, dass die Hamas dem Abkommen nur zugestimmt habe, als der Plan von US-Präsident Donald Trump sie “auf beispiellose Weise international isoliert” habe.

Palästinenser strömen an Wohnorte zurück

Nach Inkrafttreten der Waffenruhe strömten am Freitag Tausende vertriebene Palästinenser in ihre verlassenen Heimatorte im Gazastreifen zurück. Eine riesige Menschenkolonne bewegte sich durch Schutt und Staub nach Norden in Richtung Gaza-Stadt, nachdem die israelische Armee mit dem Rückzug aus Teilen des Küstenstreifens begonnen hatte. Die Freude über das Ende der Kämpfe war jedoch von dem Ausmaß der Zerstörung nach zwei Jahren Krieg überschattet.

Das israelische Militär rief gleichzeitig die Bewohner auf, die von der Armee kontrollierten Gebiete zu meiden. “Halten Sie sich an die Vereinbarung und sorgen Sie für Ihre Sicherheit”, sagte ein Militärsprecher. Die Hamas sei nicht mehr die starke militante Gruppe, deren Überfall auf Israel den zweijährigen Krieg ausgelöst habe. “Die Hamas ist an jedem Ort besiegt worden, an dem wir gegen sie gekämpft haben”, sagte Militärsprecher Effie Defrin vor Journalisten.

Israel veröffentliche Liste von freizulassenden Häftlingen

Das israelische Justizministerium veröffentlichte am Freitag eine Namensliste von 250 lebenslänglich verurteilten Häftlingen. Sie sollen im Austausch für die im Gazastreifen verbliebenen Geiseln freigelassen werden. In dem am Freitag auf der Website des Ministeriums veröffentlichten Dokument findet man nicht den Namen des populären Palästinenserführers Marwan Barghouti.

Auch weitere hochrangige, wegen Attentaten lebenslänglich verurteilte Palästinenservertreter sind auf der Liste nicht vertreten, darunter Ahmad Saadat, Hassan Salameh und Abbas al-Sayyed. Barghouti war einer der Anführer der zweiten Intifada, des palästinensischen Aufstands in den von Israel besetzten Palästinensergebieten von 2000 bis 2005. Er gilt als einer der populärsten Politiker der Fatah-Partei. Die mit der Fatah rivalisierende islamistische Hamas hatte sich während der Verhandlungen um eine Waffenruhe im Gazastreifen für eine Freilassung Barghoutis eingesetzt. Insgesamt soll Israel laut Vereinbarung mehr als 2.000 palästinensische Häftlinge freilassen.

UNO fordert Öffnung sämtlicher Grenzübergänge

Die Vereinten Nationen fordern die Öffnung sämtlicher Grenzübergänge in den Gazastreifen, wie Sprecher mehrerer humanitärer UNO-Organisationen in Genf sagten. Darunter sind die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF und das von Israel abgelehnte UNO-Hilfswerk für Palästinenser (UNRWA).

Israel hat die Zusammenarbeit mit dem UNRWA Anfang des Jahres beendet, unter anderem wegen seiner angeblichen Nähe zur Terrororganisation Hamas. Ohne das Netzwerk von 12.000 UNWRA-Mitarbeitern im Gazastreifen, die trotz des israelischen Boykotts dort weiter gearbeitet hätten, gehe es aber nicht, sagte UNRWA-Sprecherin Juliette Touma zu Reportern in Genf. “UNRWA ist weiterhin die größte humanitäre Hilfsorganisation im Gazastreifen”, sagt sie.

Viele Fragen noch offen

Ein vollständiger Rückzug der israelischen Soldaten aus dem Gazastreifen, den die Hamas fordert, ist laut Trumps Plan erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen, wenn eine internationale Stabilisierungstruppe (ISF) für Sicherheit vor Ort sorgt. Auch um eine Entwaffnung der Hamas wird es erst zu einem späteren Zeitpunkt gehen.

Es gibt noch mehrere offene Fragen. Die Hamas hat sich unter anderem nicht dazu bereit erklärt, ihre Waffen abzugeben, so wie es der Friedensplan vorsieht.

Auslöser des Gaza-Kriegs war der Überfall der Hamas und anderer islamistischer Terrorgruppen auf Israel am 7. Oktober 2023. Rund 1.200 Menschen wurden dabei getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel reagierte seinerseits mit einer Bodenoffensive im Palästinensergebiet. Seitdem wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 67.000 Palästinenser getötet. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten.

Verletzte bei Siedlerangriffen im Westjordanland

Im Norden des Westjordanlands wurden unterdessen am Freitag bei Angriffen israelischer Siedler nach palästinensischen Angaben Dutzende Menschen verletzt. Laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium in Ramallah wurden insgesamt 36 Palästinenser behandelt.

Siedler hätten in mehreren Ortschaften in der Nähe der Stadt Nablus Menschen bei der Olivenernte angegriffen, berichteten palästinensische Medien. Israels Armee sagte auf Anfrage, sie gehe den Berichten nach.

Verschärfte Lage

Palästinensischen Berichten zufolge wurden die meisten Menschen durch Schläge verletzt, zwei Personen durch scharfe Munition. Unter den Opfern sollen demnach auch zwei palästinensische Journalisten sein, die über einen der Angriffe berichtet hätten. Siedler steckten demnach auch mehrere Autos in Brand.

Die Lage im besetzten Westjordanland hat sich seit dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und dem dadurch ausgelösten Gaza-Krieg verschärft. Seitdem wurden dort nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums bei israelischen Militäreinsätzen, bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschlägen Hunderte Palästinenser getötet.

Zugleich haben radikale israelische Siedler ihre Angriffe auf Palästinenser im Westjordanland ausgeweitet. Palästinensischen Angaben zufolge sollen dabei in diesem Jahr bereits 13 Palästinenser getötet worden sein. Menschenrechtler werfen Israels Militär vor, bei solchen Vorfällen oft nicht einzuschreiten.

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