Von: mk
Bozen – Bozen – Der internationale Welt-Autismus-Tag findet seit 2008 jährlich am 2. April statt. „Die UN-Konvention sichert Gleichberechtigung und Inklusion vor, die Realität sieht anders aus“, erklärt die Gleichstellungsrätin und Vorsitzende des Südtiroler Monitoringausschusses für Behindertenrechte, Michela Morandini.
Der Aktionstag möchte ein erhöhtes Bewusstsein für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen und die Akzeptanz derselben in der Gesellschaft erhöhen. An diesem Tag wird darauf hingewiesen, dass die Früherkennung und geeignete Forschungs- sowie Interventionsmaßnahmen für die Entwicklung der Betroffenen von entscheidender Bedeutung sind.
Der Welt-Autismus-Tag 2020 der Vereinten Nationen macht auf Fragen aufmerksam, die im Zusammenhang mit dem Übergang ins Erwachsenenalter von Belang sind, wie die Bedeutung der Teilnahme an der Jugendkultur, der Selbstbestimmung, dem Zugang zu Bildung und Beschäftigung sowie dem Recht auf ein unabhängiges selbstbestimmtes Leben. „Durch die UN-Konvention sind Gleichberechtigung, Inklusion und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen und somit auch für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen, gesichert. Die Realität sieht jedoch oft anders aus“, so die Vorsitzende des Monitoringausschusses Morandini.
In den letzten Monaten haben sich gehäuft Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen an den Monitoringausschuss gewandt. Dabei sahen sie das Recht ihrer Kinder auf regelmäßige und auf die Bedürfnisse des Kindes angepasste flächendeckende Therapiemöglichkeiten nicht gewährleistet. Zudem fordern die Eltern mehr Fachexpertinnen und -experten in Südtirol, um eine frühzeitige Diagnose und weitreichende Begleitung, auch der Familienangehörigen, zu garantieren. Dies sind Voraussetzungen für Inklusion und Selbstbestimmung.
Das Unwissen über Autismus ist groß, die Vorstellung häufig durch Filme geprägt. Dabei ist Autismus eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung. Häufig werden Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen auch als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung bezeichnet Diese wirken sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires aus. „Es ist wichtig, dass Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen die passenden Therapiemöglichkeiten haben, ansonsten bleiben sie und ihre Familienangehörige isoliert, so Morandini.
Was die Zahlen betrifft, so weist in Italien zum Stand 2019 laut dem „Nationalen Monitoringausschuss für die Überwachung der Autismus – Spektrum – Störungen“ (Osservatorio Nazionale per il monitoraggio dei disturbi dello spettro autistico) ein Kind auf 77 im Alter zwischen sieben und neun Jahren eine Störung des Autismus-Spektrums auf, wobei statistisch gesehen mehr Jungen als Mädchen betroffen sind. Auch in Südtirol gibt es viele Betroffene. Laut einer Presseaussendung der Landespresseagentur vom 23. Juli 2019 beläuft sich deren Anzahl auf 407 Personen, wobei Expertinnen und Experten davon ausgehen, dass die Zahl der Personen ohne Diagnose höher ist.
Italien versucht durch das Staatsgesetz Nr. 134 von 2015 den Bedürfnissen der Betroffenen und deren Familien Rechnung zu tragen und regelt die Diagnose, Therapie und Betreuung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung. Mit Beschluss der Landesregierung Nr. 638/2019 wurde dieser auch in Südtirol rezipiert. Es wurde ein landesweites Konzept zur Betreuung von Menschen mit Autismus festgelegt, welches Betroffenen und Angehörigen mehr Unterstützung bietet, die Betreuung und Begleitung verbessert und die Dienste in allen vier Gesundheitsbezirken vereinheitlichen soll.
Nun gilt es diesen Landesplan flächendeckend umzusetzen, um so den Bedürfnissen von Menschen mit Autismus-Spektrum gerecht zu werden und ihnen eine Inklusion und Teilhabe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention zu ermöglichen.
„Selbstständig Wohnen“ – ein Lebensprojekt
Im komplexen Übergangsprozess zum Erwachsenenleben auf dem Weg zur Selbstbestimmung des Individuums stellt das Wohnen an einem alternativen Ort zu dem der Familie eine grundlegende Etappe dar. Für Erwachsene mit Autismus-Spektrum-Störungen kann es oft kompliziert sein, ohne angemessene Vorbereitung, dieses wichtige Ziel zu erreichen. Wesentliche Schritte sind dabei der Erwerb spezifischer propädeutischer Fähigkeiten, sowie die Unterstützung der eigenen Familie im Trennungsprozess.
In diesem Rahmen ist im April des letzten Jahres das Pilotprojekt ” Selbstständig Wohnen” der Sozialgenossenschaft “Il Cerchio – Der Kreis, Südtiroler Fachzentrum für die Behandlung von Autismus-Spektrum-Störungen” entstanden. Am Projekt nehmen zwei junge Erwachsene mit Autismus teil, die tagsüber arbeiten und im April 2019 noch bei den eigenen Familien gelebt haben.
Dank der Zusammenarbeit vom Verband Lebenshilfe Onlus, der Menschen mit Beeinträchtigung in ihrem Bestreben nach einem selbstbestimmten Leben unterstützt, ist den Betreuten eine geförderte Wohnung zur Verfügung gestellt worden. Im Laufe des letzten Jahres haben die Teilnehmer – mit Unterstützung und Betreuung des multidisziplinären Teams des Fachzentrums – alle notwendigen Fähigkeiten erworben, um die gesamte Arbeitswoche in der eigenen Wohnung zu verbringen.
Heute, nach einem erfolgreichen Abschluss des ersten Projektjahres, ist die Rolle der beteiligten Fachleute in der Wohnung zunehmend geringer geworden, und die Betreuten beginnen, sich in ihrer Wohnung zu Hause zu fühlen. Mehrmals haben sie sogar beschlossen, auch an Wochenenden und ohne die Unterstützung der Fachleute oder der Familien Zeit in der Wohnung zu verbringen.
„Der Erfolg dieses Pilotprojekts bestätigt, wie wichtig es ist, die Wohnautonomie des Einzelnen zu fördern und unterstützen, und sie als integralen Bestandteil des strukturierten Lebensprojekts eines jeden Menschen zu verstehen. Wo die Wohnautonomie das Ergebnis eines Wachstumsprozesses ist, der durch angemessene und personalisierte Eingriffe umgesetzt wird, kann diese eine große Gelegenheit für alle Beteiligten darstellen“, betont die Sozialgenossenschaft. Das Ziel der Wohnautonomie stellt die wichtigste Voraussetzung für den Aufbau dieses Modells dar, welches in Zukunft standardisiert werden soll, damit es auch andere Menschen mit Autismus miteinbeziehen kann.
Heute, anlässlich des Welt-Autismus-Tages, der jährlich am 2. April stattfindet, teilt “Il Cerchio – Der Kreis” die positiven Erfahrungen dieser jungen Menschen, um zu beweisen, dass es durch eine strukturierte und gezielte Netzwerkarbeit möglich ist, Hilfsmodelle zu schaffen, die die besonderen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen und eine positive soziale Eingliederung ermöglichen.
Für weitere Informationen: www.ilcerchioderkreis.it.