Von: mk
Bozen – Neue Orte entdecken, die richtige Müslisorte aus dem Supermarktregal entnehmen oder den eigenen Kontoauszug prüfen – Blinde und sehbehinderte Menschen treffen auf verschiedenste Schwierigkeiten, welche sie täglich bewältigen müssen. Neben diesen Alltagsproblematiken, denen man zum Beispiel mit technischen Hilfsmitteln entgegenwirken kann, gibt es noch Vorurteile, die das Leben vieler Menschen mit Behinderung erschweren. Die Vereinigung der Zivilinvaliden (ANMIC Südtirol) und der Italienische Blinden- und Sehbehindertenverband (UICI Landesgruppe Südtirol) berichten über gegenwärtige Problematiken und was dagegen unternommen werden kann.
In Südtirol gibt es fast 46.000 Menschen, welche aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung anerkannte Zivilinvaliden sind. Viele leben mit einer Sehbehinderung, welche von einer leichten Einschränkung der Sehfähigkeit bis zur völligen Blindheit reicht. Da ungefähr 80 Prozent der menschlichen Wahrnehmung über die Augen erfolgt und Betroffene ohne diesen wichtigsten Sinn auskommen müssen, sind Zivilblinde vielen spezifischen Schwierigkeiten ausgesetzt. Das Spektrum dieser Problematiken ist sehr umfangreich und reicht vom täglichen Einstieg in die richtige Buslinie, über die Betätigung von Touch-Screen-Geräten bis hin zur Suche und Ausübung eines Berufes.
Die meisten dieser Alltagshürden können dank moderner Technik wie Vorlese- und Audiofunktionen behoben werden. Spezifische Apps und in Smartphones standardmäßig integrierte Funktionen wie größere Schriftarten, hoher Kontrast oder haptische Interaktion zwischen Nutzer und Gerät erlauben es auch stark sehbehinderten oder blinden Personen zu kommunizieren oder online einzukaufen. Im Gegensatz dazu erweist sich aber besonders das Thema Arbeit als eine weitaus komplexere Problematik. Denn hier sind sowohl Zivilinvaliden im Allgemeinen als auch sehbehinderte und blinde Menschen mit vielen Vorurteilen konfrontiert. Dazu gehört beispielsweise die Annahme, sie könnten nicht dieselbe Leistung wie eine Person ohne Behinderung erbringen. Dies führt unter anderem dazu, dass diese Menschen häufiger arbeitslos sind, erklärt Thomas Aichner, Präsident der ANMIC Südtirol: „Die Wahrscheinlichkeit, auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden, ist für Zivilinvaliden nur halb so groß wie für Menschen ohne Beeinträchtigung. Zurzeit sind in Südtirol sogar mehr als zehn Prozent aller Zivilinvaliden arbeitslos.“ Die hohe Arbeitslosigkeit hängt vor allem mit falschen Vorurteilen zusammen, so Aichner. „Die Forschung zeigt, dass Menschen mit Behinderung überdurchschnittlich stark motiviert und dem Arbeitgeber gegenüber loyaler sind. Außerdem sind sie oft technisch sehr versiert, da Technologie aufgrund ihrer Behinderung eine wichtige Rolle im Leben einnimmt. Oft reichen schon kleine Anpassungen am Arbeitsplatz aus, um auch schwer beeinträchtigten Personen die Möglichkeit zu geben, zum Erfolg eines Unternehmens beizutragen. Unternehmen mit vielen beeinträchtigten Mitarbeitern sind durchschnittlich erfolgreicher als Firmen, welche diese kategorisch ausschließen.“
Mit der beruflichen Integration und der gesellschaftlichen Gleichstellung befasst sich auch der Beirat für Menschen mit Behinderung der Gemeinde Bozen, welcher sich gemeinsam mit der Stadtverwaltung für eine bessere Lebensqualität von Zivilinvaliden, Blinde und Menschen mit Behinderung einsetzt. „Unser Aufgabenbereich befasst sich besonders mit der Beseitigung von räumlichen, kulturellen, kommunikativen und technischen Barrieren“, berichtet Ines Mair, Mitglied des Beirates für Menschen mit Behinderung und Vorstandsmitglied des Italienischen Blinden und Sehbehindertenverbandes (UICI Landesgruppe Südtirol). „Aufgrund meiner Sehbehinderung bin ich selbst anerkannte Zivilinvalidin und kann deshalb die aktuellen Problematiken sehr gut nachvollziehen. Im Beirat werden gezielte Lösungsansätze vorgebracht, welche auf die Abschaffung dieser Barrieren abzielen. Dadurch möchten wir sicherstellen, dass alle Menschen in die Gesellschaft inkludiert werden und sie ihre Rechte uneingeschränkt wahrnehmen können.“
Neben Ines Mair, die als gemeinsame Vertreterin von ANMIC Südtirol und UICI im Beirat für Menschen mit Behinderung aktiv ist, sind viele weitere Zivilinvaliden vertreten. „Dass dieses beratende Organ selbst aus betroffenen Personen besteht, ist besonders bei der Erarbeitung von neuen Verordnungen und Beschlüssen von großer Wichtigkeit“, sagt Valter Calò, Präsident des UICI. „Dabei sollte der Beirat nicht nur eine beratende Funktion einnehmen, sondern Richtlinien erarbeiten, die verbindlich für neue Bestimmungen anerkannt werden. Besonders wichtig ist auch die Etablierung eines Disability Managers, für den wir uns seit vielen Jahren einsetzen. Der Disability Manager soll als Schnittstelle zwischen Menschen mit Behinderung und der öffentlichen Verwaltung sowie Unternehmen fungieren. Auf diese Weise würden auftretende Probleme schneller behoben und die berufliche und gesellschaftliche Integration von Blinden und anderen Zivilinvaliden gefördert.“
Diese Leitmotive einer inklusiven Gesellschaft sind es, welche die ANMIC Südtirol und die UICI Landesgruppe Südtirol seit Jahrzehnten verfolgen. Damals wie heute kämpfen die beiden Interessensvertretungen, die sowohl auf provinzialer als auch auf staatlicher Ebene anerkannt sind, für die vollständige Inklusion von zehntausenden Südtirolern. „Wir sind stolz darauf, dass sich unsere Arbeit positiv auf das Leben der Südtiroler Zivilinvaliden und Menschen mit Sehbehinderung auswirkt und optimistisch, dass auch Unternehmen das große Potential dieser Arbeitskräfte vollständig erkennen“, fassen Aichner und Calò ihre gemeinsame Anstrengung zusammen.