Boualem Sansal wird begnadigt

Algeriens Präsident begnadigte Schriftsteller Sansal

Mittwoch, 12. November 2025 | 22:24 Uhr

Von: APA/AFP

Algeriens Präsident Abdelmajid Tebboune ist einer Bitte Deutschlands nachgekommen und hat den inhaftierten Schriftsteller Boualem Sansal begnadigt. Tebboune entspreche damit der Bitte des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, teilte das Präsidialamt in Algier am Mittwoch mit. Der 81-jährige Autor war im November 2024 nach einem Interview festgenommen worden. Ihm wurde eine “Gefährdung der nationalen Einheit” zur Last gelegt.

Steinmeier hatte seinen algerischen Kollegen am Montag gebeten, den französisch-algerischen Schriftsteller angesichts seines hohen Alters und seines “fragilen Gesundheitszustands” freizulassen und ihm eine medizinische Versorgung in Deutschland zu ermöglichen. Eine Begnadigung Sansals wäre “Ausdruck humanitärer Gesinnung und politischer Weitsicht”, hatte Steinmeier erklärt. “Sie würde mein langjähriges persönliches Verhältnis zu Staatspräsident Tebboune und die guten Beziehungen unserer Länder widerspiegeln.”

Sansal traf am Mittwochabend zur medizinischen Behandlung in Deutschland ein. Sansal sei gelandet und schon auf dem Weg ins Krankenhaus, sagte die Sprecherin von Bundespräsident Steinmeier. Nach Angaben seiner Familie ist der 81-jährige Sansal an Prostatakrebs erkrankt.

Sansals Tochter hat immer an Begnadigung geglaubt

Frankreichs Premierminister Sébastien Lecornu bekundete “Erleichterung” über die Begnadigung des 81-Jährigen. Er hoffe, dass Sansal seine Angehörigen baldmöglichst treffen könne und genesen werde, sagte er vor Abgeordneten in Paris. Sansals Tochter Sabeha sagte der Nachrichtenagentur AFP, einerseits sei sie pessimistisch gewesen, was das Schicksal ihres Vaters anging. Andererseits habe sie letztlich “immer daran geglaubt”, dass er begnadigt werde.

Sansal, der 2011 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden war, war im November 2024 bei seiner Rückreise aus Frankreich am Flughafen in Algier festgenommen worden. Anlass der Festnahme war ein Interview, in dem es unter anderem um die Grenze zwischen Marokko und Algerien ging.

Das Verhältnis zwischen Frankreich und der ehemaligen Kolonie Algerien ist derzeit durch mehrere, sich überlagernde Konflikte belastet. Zu den Dauerstreitpunkten zählt das häufige Scheitern von Abschiebungen nach Algerien, weil die algerischen Behörden ihren Staatsbürgern nicht die nötigen Papiere ausstellen.

Macron forderte Freilassung vergeblich

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte vergeblich Sansals Freilassung gefordert und Algerien vorgeworfen, den Schriftsteller “aus reiner Willkür” festzuhalten. Die algerische Justiz verurteilte den Literaten dessen ungeachtet im März zu fünf Jahren Haft. Dem an Krebs erkrankten Schriftsteller wurde eine “Gefährdung der nationalen Einheit” zur Last gelegt.

Sansal hatte im Oktober 2024 dem französischen Rechtsaußenmagazin “Frontières” ein Interview gegeben. Darin sagte er, Algerien seien während der französischen Kolonialherrschaft zu Unrecht Gebiete zugeschlagen worden, die eigentlich zu Marokko gehörten.

In Algerien wird dem Schriftsteller in intellektuellen Kreisen wegen seiner Haltung in Bezug auf die Einwanderung und den Islam eine Nähe zu Frankreichs Rechtspopulisten vorgeworfen. Sein 2008 erschienener Roman “Le Village de l’Allemand” (“Das Dorf des Deutschen”), in dem er eine Parallele zwischen Islamismus und Nationalsozialismus zieht, wurde in Algerien zensiert.

Sansal wurde 1944 in Algerien geboren. Er war 18 Jahre alt, als sein Heimatland 1962 nach einem jahrelangen Krieg mit Frankreich unabhängig wurde. Nach seinem Studium in der Hauptstadt Algier engagierte sich der promovierte Ökonom beim Aufbau des Staatsapparats in seiner Heimat. Er lehrte an der Universität, arbeitete in der Privatwirtschaft und wurde schließlich ranghoher Beamter im Industrieministerium.

Fiel wegen kritischer Haltung in Ungnade

Sansal sei in den “höchsten Kreisen” der staatlichen Macht in Algerien vertreten gewesen, sagte der französisch-algerische Schriftsteller Kamel Bencheikh. 2003 fiel Sansal jedoch wegen seiner kritischen Haltung gegenüber der Regierung und der Arabisierung des Bildungswesens in Ungnade.

In seinem Debütroman “Le Serment des barbares” (“Der Schwur der Barbaren”) hatte der Autor 1999 den wachsenden Einfluss fundamentalistischer Kräfte in Algerien thematisiert. In Frankreich traf das Buch auf wohlwollende Reaktionen.

Für sein literarisches Werk wurde Sansal in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. 2011 erhielt er in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

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