Iwan Martschuk in Wien vor einem Teil seiner Gemälde

Ansturm auf ukrainischen Malerfürst Martschuk im Wiener Exil

Samstag, 13. Mai 2023 | 08:46 Uhr

An seinem 87. Geburtstag hat der Maler Iwan Martschuk am Freitagabend seine bisher erste Ausstellung in Wien eröffnet. Beim gebürtigen Westukrainer, der im März 2022 vor dem Krieg aus Kiew nach Österreich floh, handelt es sich um einen der bekanntesten Künstler der Ukraine. Während eine große Fangemeinde ihn als großes Genie erachtet und seine Entourage ihn ehrfürchtig “Maestro” tituliert, blieb seine Malerei in der zeitgenössischen Kunst der Ukraine jedoch eher marginal.

“Zu einem früheren Zeitpunkt wurde Ihre Kunst ignoriert und verboten, aber Martschuks schöpferische Genie antwortete darauf mit zahlreichen Meisterwerken, denen eine grenzenlose Liebe zur Ukraine innewohnt”, hieß es in einer Grußbotschaft, die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj anlässlich des Geburtstags nach Wien übermittelt hatte. Der Andrang bei der Ausstellungseröffnung am Freitagabend war beträchtlich, viele Ukrainerinneren und Ukrainern wollten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, einer lebenden Legende zu begegnen. Mit seiner weißer Mähne und einem Schnauzbart, der fatal an jenen des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko (1814-1861) erinnert, war der etwas kauzige Martschuk auch kaum zu übersehen.

Mehr als 5.000 Bilder soll der Künstler in knapp sieben Jahrzehnten gemalt haben, er selbst behauptete wiederholt von sich, keine freien Tagen zu kennen. 150 Arbeiten davon sind in der eher lose kuratierten Wiener Ausstellung des “Maestro” versammelt, die nur ein Wochenende lang in der Aula der Wissenschaften zu sehen ist. Präsentiert werden naive Malerei aus dem Frühwerk, verschneite Landschaften in postimpressionistischer Manier, spätsowjetischer Surrealismus, Gemälde im Stil des russischen Avantgardisten Pawel Filonow, Porträts, Blumenbilder und auch Abstraktionen, die an Computerstörungen erinnern. Trotz dieser Vielfalt ist Martschuks künstlerische Handschrift dabei stets gut zu erkennen.

Vielen dieser Arbeiten, zumeist in Acryl auf Leinwand, zeichnen sich durch nationales Kolorit aus, und es finden sich Motive, die Bezüge zum Werk ukrainischer Literaten des 19. Jahrhunderts wie Nikolaj Gogol oder Schewtschenko erahnen lassen. Diese Elemente brachten dem Maler zwar zunächst kaum offizielle Anerkennung ein. Er wurde erst in der Zeit von Michail Gorbatschows Perestroika 1988 in die staatliche Künstlerunion aufgenommen. Gleichzeitig sprach er mit seiner Kunst nationalbewusste Eliten der spätsowjetischen Ukraine an, die insgeheim von einem unabhängigen Staat träumten. Teils prominenten Verehrern seiner Kunst, darunter der von Martschuk porträtierte Flugzeugkonstrukteur Oleh (Oleg) Antonow, sei es auch zu verdanken gewesen, dass dem Künstler gröbere Probleme mit dem sowjetischen Staat erspart geblieben seien, erzählte die Kunsthistorikerin und Martschuk-Vertraute Tamara Strypko der APA.

Zu offizieller Anerkennung kam es in den späten 90ern, als der damalige Präsident Leonid Kutschma ihn 1996 zum “Verdienten Künstler der Ukraine” erklärte und Martschuk 1997 mit dem staatlichen Schewtschenko-Preis auszeichnete. Spätestens aus jener Zeit stammt auch ein sich verbreitender Geniekult – ein offiziöses Filmporträt aus dem Jahr 1998, in dem der Künstler bereitwillig den nationalbewussten Malerfürst gab, strotzte von Superlativen. Nachdem er lange Jahre im Ausland gelebt hatte, kehrte der Künstler 2001 in die Ukraine zurück, wo er zwischen 2005 und 2010 unter dem damaligen Präsidenten Wiktor Juschtschenko (2005-2010) einen weiteren einflussreichen Unterstützer fand. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit verkündete Juschtschenko die Schaffung eines Museums, dessen Kern die in Wien präsentierten Gemälde bilden sollten. Realisiert wurde lange Zeit jedoch nichts. Im Mai 2022 ordnete Präsident Selenskyj, der Martschuk zuvor auch offiziell zur “Nationalen Legende der Ukraine” erklärt hatte, aber per Dekret die Zurverfügungstellung einer staatlichen Immobilie an.

Angesichts des russischen Angriffskriegs ist an eine Realisierung einstweilen nicht zu denken. Und auch Martschuk selbst ließ sich nach zwei belastenden Wochen mit permanentem Sirenengeheul im März 2022 aus der ukrainischen Hauptstadt evakuieren. Er kam nach Österreich – ein Freund und Sammler aus Wien hatte seine Unterstützung angeboten. Heimisch wurde er hier bisher jedoch nicht. “Die Atmosphäre ist wunderbar, aber ich fühle mich wie in einem fremden Haus”, sagte er dieser Tage bei einem Pressegespräch.

Trotz seiner staatlichen Anerkennung blieb dem Maler gleichzeitig Wertschätzung durch die zeitgenössische Kunstszene seiner Heimat versagt. War er für den staatlichen Kunstbetrieb der Sowjetunion zu national gewesen, blieb seine Kunst nach der Erlangung der Unabhängigkeit für viele Künstlerkollegen zu sowjetisch und uninteressant – die aktuelle Kiewer Kunstszene und er scheinen in parallelen Welt zu leben. Bei der Ausstellungseröffnung am Freitag wurde jedoch deutlich, dass dieser Umstand seiner Popularität unter Ukrainerinneren und Ukrainern keinen Abbruch tut.

Von: apa