Von: lup
Bozen – Die Architekturstiftung Südtirol versucht die Bevölkerung Südtirols für das Thema “Bürgerbeteiligung_ Partizipation” zu sensibilisieren, damit diese sich im Rahmen des neuen Raumordnungsgesetzes für Gemeindeentwicklung einbringt. In einer Presseaussendung wird auf den Zusammenhang zwischen Bürgerinitiative und der Entwicklung des Landes verwiesen.
Die Presseaussendung im Wortlaut:
Keine Angst vor Bürgerbeteiligung! Keine Angst vor Baukultur!
Wir leben in einer Zeit der Veränderungen. Klimawandel, Biodiversität, neue Mobilität: Das sind alles Themen, die Lösungen für übermorgen brauchen und dazu müssen wir Neues erlernen, am besten gemeinsam mit Vielen. Roland Gruber von „nonconform architektur vor ort“ hat beim dritten Abend der Reihe „Baukultur für alle?!“ erklärt, wie echte Bürgerbeteiligung ausschaut.
Für ein erfolgreiches und „wohlschmeckendes“ Bürgerbeteiligungsmenü braucht es laut Roland Gruber fünf Zutaten. Die erste ist die Wissensaneignung. Die Rahmenbedingungen müssen untersucht und die Prozesse kennengelernt werden. Auftretende Fragen muss man sich von den Besten erklären lassen und dann muss mit der Arbeit neudenkend begonnen werden. Diese Grundlagenarbeit braucht ungefähr ein Jahr und wird von einer Spurgruppe, die die Türen öffnet und ein begrenztes Arbeitsgebiet absteckt und erledigt. Die zweite Zutat ist die Aktivierung. Es braucht genügend Geld um Ideenkanäle zu öffnen, für Drucksorten, Medienarbeit um Aufmerksamkeit zu erregen.Ideen digital sammeln und gemeinsam weiterdenken
Zutat drei ist die digitale Ideenwand. Online und offline werden Ideen gesammelt und aufgezeigt, Socialmedia-Kanäle sind ein guter Weg der Verbreitung. Eine der zentralen und gleichzeitig auch aufwendigsten Zutaten ist die Nummer vier: Gemeinsam weiterdenken. Gemeinsam mit möglichst vielen Bürgern werden die Ideen weiterentwickelt. Wichtig ist, alle einzubinden, nicht nur die Interessensvertreter. Es muss eine interessante Atmosphäre geschaffen werden, die Zukunftsentwicklung soll Freude machen. Dazu braucht es ungewohnte Arbeitsorte, ungewöhnliche Konstellationen und vor allem interessante, greifbare Themen. Die Arbeit der Bürger muss schon nach wenigen Tagen sichtbar werden.Zutat fünf: Das Ergebnis der Beteiligung ist der schönste gemeinsame Nenner
Das Ergebnis der Bürgerbeteiligung ist kein perfektes architektonisches Projekt, sondern ein erster Weg, die räumliche Zukunft wird durch Visualisierungen dargestellt. Die Ergebnisse müssen vor Ort vermittelt werden, am besten in einem attraktiven Kontext, zum Beispiel mit einem Konzert.
Dann folgt die eigentliche Umsetzung. Es müssen Umsetzungs- und „Kümmerer“-Strukturen vor Ort aufgebaut werden, die auch bezahlt werden müssen, um langfristig funktionieren zu können.Erfolgreiches Beispiel aus Südtirol: Bürgerwerkstatt Sterzing
Architekt Arthur Pichler präsentierte als Beispiel aus Südtirol die Erfolge der Bürgerwerkstatt Sterzing, eine Plattform, die sich für die Belange der Stadt einsetzt und sich um Themen wie „Gemeinwohl des öffentlichen Raumes“ kümmert. Ziel und Zweck der Gruppe ist die Förderung partizipativer Prozesse als Mehrwert für alle Bürger und die Zusammenarbeit mit interessierten Vereinen. Das Interesse in der Gemeinde ist groß. Einige Pilotprojekte, wie etwa die Verkehrsberuhigung eines Straßenzuges in der Nähe einer Schule wurden bereits umgesetzt.Landesrätin Kuenzer betont die Wichtigkeit von Beteiligungsprozessen
Das neue Gesetz für Raum und Landschaft bietet – so Landesrätin Kuenzer – eine große Chance für die Gemeinden, um eine identitätsstiftende Arbeit gemeinsam mit den Bürgern zu machen. Diese Arbeit der Ausrichtungssuche und Planung müsse aber vom Gemeindenverband und dem Ressort Landschaft- und Raumentwicklung unterstützt werden, indem geeignete Instrumente und auch Finanzierungen zur Verfügung gestellt werden.
Aufgabe der Gemeinde sei es, gemeinsam mit den Bürgern Konzepte zu erarbeiten und darauf zu achten diese Prozesse positiv zu leiten. Es ist eine Herausforderung, die technische Planung mit Bürgerbeteiligung zusammen zu führen, aber es sei wichtig – so Landesrätin Kuenzer weiter – keine Angst davor zu haben.Bürgerbeteiligung ist mehr als eine Bürgerversammlung
Der Präsident des Gemeindeverbandes Andreas Schatzer erklärt, dass es inzwischen für alle klar ist, dass für Bürgerbeteiligung neue Formen und Mittel gefunden werden müssen. Gemeindeentwicklungspläne sind ein umfangreiches Programm, für die mit verschiedensten Interessensvertretern umfangreiche Arbeiten vorausgesetzt sind. Dafür sollte es finanzielle Mittel geben, sobald klar ist, wie diese Zusammenarbeit auch mit anderen funktionalen Räumen stattfinden wird. Er kann sich auch vorstellen, dass in den Gemeinden nach Erlernen der Bürgerbeteiligungsprozesse durch die Erarbeitung der Entwicklungsprogramme am Ende auch ein Umdenken entstehen und Beteiligung auch für andere Projekte verwendet werden wird.Breite Beteiligungsprozesse funktionieren nur mit entsprechender Erfahrung
Roland Gruber rät abschließend, die Erwartungen in Südtirol etwas zurückzufahren, da Beteiligungsprozesse für ein Gemeindeentwicklungsprogramm eine zu komplexe Aufgabe seien, um sie ohne längere Erfahrung durchführen zu können.
Er rät hingegen, eine Lernwerkstatt aufzubauen, in der zwei bis drei Mal im Jahr Beteiligungskultur aufgebaut und Moderatoren und Prozessbegleiter ausgebildet werden können. Dazu sollten Patenschaften mit Gruppen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz eingegangen werden, welche bereits jahrelange Erfahrung mit Partizipation aufweisen können. Ein Kompetenzzentrum für Partizipation kann man auf jeden Fall schon jetzt andenken!