Von: mho
Bozen/Graun – Der Preis des Fortschritts, irgendwer muss ihn zahlen. Der Dokumentarfilm „Das versunkene Dorf“ über die Geschichte des Reschenstausees feiert am 12. April Premiere.
Jeder kennt ihn, den versunkenen Kirchturm im Reschensee. Seine Geschichte können aber immer weniger Leute erzählen. Georg Lembergh und Hansjörg Stecher begeben sich auf Spurensuche und lassen in ihrem Dokumentarfilm „Das versunkene Dorf“ die letzten Zeitzeugen von Graun und Reschen zu Wort kommen. Am Donnerstag, 12. April 2018 feiert der Film (produziert von Albolina) um 20.30 Uhr seine Premiere im Ariston-Kino in Meran.
Im August 1949 schließt der Elektrokonzern Montecatini das erste Mal die Schleusen der neuerrichteten Staumauer am Reschenpass. Das Staubecken, in dem das Dorf Graun und viele Häuser von Reschen liegen, wird probeweise und ohne Vorwarnung geflutet. Innerhalb weniger Tage stehen die ersten Häuser und Ställe, Wiesen und Felder unter Wasser, obwohl die meisten Dorfbewohner nach wie vor in ihren Häusern wohnen und immer noch keine neue Heimat gefunden haben. Das letzte Kapitel in der Geschichte von Alt-Graun hat begonnen …
Von der Weltöffentlichkeit unbemerkt, spielt sich Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger auf der Südtiroler Hochebene des Reschenpasses eine menschliche Tragödie ab. Fast über Nacht wird das Dorf Graun durch ein von staatlicher Willkür und Profitdenken geprägtes Stauseeprojekt vollständig unter Wasser gesetzt. Vom blühenden Dorf bleibt nur mehr ein Trümmerhaufen übrig und die Einwohner müssen ohnmächtig zusehen, wie ihre Heimat samt Wiesen und Feldern im neuen Reschenstausee versinkt.
Allein in Graun werden etwa 70 Familien vertrieben, über 100 Häuser zerstört und knapp 400 Hektar fruchtbaren Kulturbodens zerstört. Die Dorfgemeinschaft wird durch diesen rücksichtslosen Akt brutal auseinandergerissen und ein jahrhundertealtes soziales Gefüge findet ein jähes Ende. Nur mehr der romanische Kirchturm von Alt-Graun ragt weithin sichtbar, einem Mahnmal gleich, aus der riesigen Wasserwüste.
Heute, fast 70 Jahre später, steht das neue Graun malerisch über dem Seeufer. Trotz der Postkartenidylle wollen die Wunden der Alten aber nur langsam heilen. Der See ist für sie noch immer Sinnbild für erlittenes Unrecht. Oft fließen Tränen, wenn sie vom alten Dorf erzählen, und nie würden sie mit der „Hubertus“, dem Ausflugsschiff, „über ihre alte Heimat“ fahren, wie es der vertriebene Grauner Paul Warger in Taufers i. M. auf den Punkt bringt.
In berührenden Einzelporträts spüren Georg Lembergh und Hansjörg Stecher den Fragen nach Heimat und Heimatverlust nach, dokumentieren den schwierigen Neubeginn und beleuchten die historisch noch kaum aufgearbeiteten, hochdramatischen Umstände der Seestauung.
Der Spannungsbogen zieht sich bis in die Gegenwart, denn mit der jungen Generation bricht am See eine neue Zeit an. Am Ufer des Stausees aufgewachsen, nutzen die Jungen mit neuem Selbstbewusstsein das schwierige Erbe für ihre Zwecke – als Abenteuerplatz, Erholungsraum oder Tourismuskapital.
Die Premiere des Dokumentarfilms „Das versunkene Dorf“ findet am Donnerstag, 12. April 2018 um 20.30 Uhr im Ariston-Kino in Meran statt und ist im Rahmen des Bolzano Film Festivals Bozen an folgenden Terminen zu sehen: Mittwoch, 11. April um 20.00 Uhr im Forum Brixen, Freitag, 13. April um 17.30 Uhr und Samstag, 14. April um 14.00 Uhr im Filmclub Bozen.